SPD-Wirtschaftspolitiker fordert Groko-Aus: „Ich bin dafür, das Leiden zu beenden“
Es kann kein „Weiter so“ geben, sagt SPD-Wirtschaftspolitiker Christ. Er ruft seine Partei zum schnellen Ausstieg aus der großen Koalition auf. Ein Interview.
Harald Christ (47) ist Präsidiumsmitglied des SPD-Wirtschaftsforums.
Herr Christ, Absturz in den Umfragen auf nunmehr 12 Prozent, Machtkämpfe auf offener Bühne, Rücktritt von Andrea Nahles – geht die SPD zu Grunde?
Die SPD befindet sich in einer ernsthaften existentiellen Krise. Zu Grunde wird die SPD nur dann gehen, wenn sie sich selbst weiter zu Grunde richtet.
Ist Andrea Nahles als Fraktions- und Parteichefin an sich selbst gescheitert?
Den Abstieg der SPD als Volkspartei können wir schon seit vielen Jahren beobachten. Das hat strukturelle und sicher auch personelle Gründe. Dafür Andrea Nahles, die seit 15 Monaten in diesen Ämtern ist, alleine verantwortlich zu machen, war in hohem Maß unfair. Für die Misere der SPD tragen viele Verantwortung.
Wird Vizekanzler Olaf Scholz seiner besonderen Verantwortung für die SPD gerecht?
Olaf Scholz macht eine sehr gute Regierungsarbeit als Vizekanzler und Finanzminister. Ich würde mir aber wünschen, das Olaf Scholz und seine sozialdemokratischen Ministerkollegen klarer Position beziehen. Es muss in dieser für die SPD so schwierigen Phase klar sein, was wir in der Regierung wollen.
Wie sollen die Wähler einer Partei vertrauen, die sich selbst zerfleischt?
Die Wählerinnen und Wähler bekommen einen katastrophalen Eindruck und das ist sicher auch Teil des Problems. Obwohl die sozialdemokratischen Minister eine gute Arbeit machen und vieles in der Groko auf den Weg gebracht haben, traut man der Partei nicht zu, die Herausforderungen der Zukunft zu lösen. Wenn da nicht zügig Ruhe rein kommt und sich der Umgang miteinander umgehend verbessert, werden sich immer mehr Menschen abwenden. Viele Parteimitglieder sind am Verzweifeln und stellen die Sinnfrage.
Wie wirken die SPD-Chaostage auf die Entscheidungsträger in der Wirtschaft?
Im Mittelstand und der Wirtschaft herrscht eine Mischung aus Entsetzen und Sprachlosigkeit darüber, wie es unsere Funktionäre schaffen, die Marke SPD durch mangelnde Geschlossenheit, interne Egotrips und nicht endende Grabenkämpfe derart zu beschädigen. In der Wirtschaft herrscht die Kultur, erst geht es um die Sache und nicht um die Person. Es wird nach innen diskutiert und nach außen ist man sich einig. Die SPD macht hier alles falsch in der Kommunikation nach innen und nach außen.
Haben Sie in den vergangenen Tagen daran gedacht, der SPD den Rücken zu kehren?
Ich bin seit mehr als 30 Jahren Mitglied dieser Partei. Ich war nie gewählter, bezahlter Funktionär, immer nur ehrenamtlich für die Sache engagiert. So wie viele Tausend ehrbare Mitglieder auch. Die haben es verdient, dass Sie jetzt gehört werden. Diese Menschen fühlen sich teilweise nicht mehr repräsentiert. Ich nehme mir nach so vielen Mitgliedsjahren das Recht heraus eine Meinung zu haben und diese auch öffentlich zu äußern. Ich werde so lange für die Sache kämpfen, wie ich es noch vertreten kann. Aber es gibt für mich aber auch klare rote Linien. Leider kann ich aus meiner Position heraus an dem katastrophalen Zustand der Partei nichts ändern – würde ich es versuchen, hätte ich dafür keine Mehrheit. Also bleiben am Ende nur einsame Entscheidungen.
Muss die SPD aus der großen Koalition aussteigen, wie inzwischen auch Genossen vom rechten Parteiflügel fordern?
Klar ist: Es kann kein Weiter so geben. Die SPD leidet als Partei – die Stabilität unseres Landes und die Demokratie tut es am langen Ende auch. Beide Volksparteien zeigen sich den Wählerinnen und Wählern in denkbar schlechter Verfassung. Die SPD sollte deshalb jetzt und nicht erst im Herbst entscheiden, ob sie die große Koalition bis zum Ende fortsetzen kann. Ich bin dafür das Leiden zu beenden.