Welthunger-Index: Hunger und Ungleichheit sind Geschwister
Der Welthunger-Index 2017 verzeichnet Erfolge im Kampf gegen Unterernährung. In Teilen der Welt allerdings bleibt die Lage katastrophal. Oder wird es erst.
Auf den ersten Blick scheint der Kampf gegen den Hunger eine Erfolgsgeschichte. Seit dem Jahr 2000 sind die entsprechenden Werte um mehr als ein Viertel (27 Prozent) gefallen - gemessen werden die Nahrungsversorgung der Bevölkerung eines Landes, die Kindersterblichkeit dort und die Auszehrungserscheinungen und verzögertes Wachstum von Kindern unter fünf Jahren. Andererseits ist die Lage an vielen Stellen der Welt weiter schlimm oder schlimmer geworden. Die Welternährungsorganisation FAO verzeichnete 2016 sogar wieder einen Anstieg der Zahl Hungernder - auf 815 Millionen. Im Jahr 2015 litten 38 Millionen Menschen weniger an Hunger. Von einem anhaltenden Trend zur Besserung sprach in Berlin jetzt Klaus von Grebmer vom International Food Policy Research Institute (IFPRI) in Washington. Noch sei unklar, ob die höhere Zahl der Hungernden eine Trendwende anzeige oder ein „Ausreißer“ sei.
"Das Ende des Hungers wäre keine Hexerei"
Der Welthunger-Index 2017 (WHI), den Grebmer und die Präsidentin der Deutschen Welthungerhilfe, Bärbel Dieckmann, am Donnerstag vorstellten, ist der zwölfte bisher. Er nimmt jeweils mehrere Jahre in den Blick - im aktuellen Bericht waren es die Jahre von 2012-2016. Demnach hat es in 14 Ländern der Welt drastische Verbesserungen um 50 Prozent und mehr gegeben, etwa in Brasilien, China und Senegal. Gar keine Verbesserung schaffte in 17 Jahren dagegen ein einziges Land, die Zentralafrikanische Republik. Die Herausgeberinnen des Welthunger-Index halten das für symptomatisch. Das Land steckt seit Jahren im Krieg, Staat und Verwaltung gibt es so gut wie nicht. Dabei wäre es, so Grebmer, „keine Hexerei“, den Hunger auszurotten, das UN-Ziel, dies bis 2030 zu schaffen, wäre vielleicht sogar früher erreichbar. Dazu brauche es nur gute Regierungsführung und Maßnahmen, die sich anderswo bereits bewährt haben. Kriege seien hingegen ein sicheres Mittel, oft mit schlimmen bis katastrophalen Werten im WHI zu erscheinen.
Das sind diesmal immerhin 52 der 119 Länder, zu denen Welthungerhilfe und IFPRI ausreichende Daten hatten. In sieben von ihnen ist die Lage sogar sehr ernst. Und oft verschleiert ein nationaler Mittelwert auch die dramatische Lage einzelner Landesteile. So liegt etwa das mittelamerikanische Guatemala kurz vor der Einstufung als mäßig kritisch. In den westlichen Landesteilen aber, die von 36 Jahren Bürgerkrieg (1960 bis 1996) besonders getroffen wurden, sind bis zu 70 Prozent der Kinder wegen Unterernährung nicht altersgemäß entwickelt. Im Westen leben vorwiegend indigene Guatemalteken.
Europa ruiniert Afrikas Landwirtschaft
Der WHI warnt daher in diesem Jahr besonders vor Ungleichheit als Treiberin von Hunger. Ohnehin diskriminierte ethnische Minderheiten, Frauen und Landbewohner treffe er überall in der Welt am härtesten - „drei von vier Hungernden leben auf dem Land“ ,sagte Bärbel Dieckmann. Vor allem um sie müsse sich der Kampf gegen den Hunger drehen und „der Mechanismus ’Arm bleibt Arm und Reich wird immer reicher’ durchbrochen werden“. Sie wies auch auf die Folgen des Klimawandels hin: „In Äthiopien und Kenia waren es Klimafolgen, die die Hungerzahlen 2016 steigen ließen.“
Auf Nachfrage ging Dieckmann auch auf die Verantwortung des Nordens der Welt für den Hunger im Süden ein: „Wir brauchen eine neue Handelspolitik“, die die Agrarmärkte im Süden nicht mehr mit subventionierten Billigimporten aus Europa ruiniere. Zudem müsse der Norden seine „Lebensverhältnisse ändern“. Und auch die Verarbeitung von Lebensmitteln dürfe nicht einfach nach Norden abwandern, etwa wenn aus afrikanischen Tomaten in Italien Konserven produziert würden.
Zurückhaltender äußerte sie sich über die jüngsten Abkommen der EU mit afrikanischen Ländern, um die Flucht nach Europa aufzuhalten. Es sei richtig, Länder so zu unterstützen, dass man dort leben kann und nicht fliehen müsse. „Meine Vorstellung der Stabilisierung von Libyen ist aber nicht, dass man dort Milizen stützt.“
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