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Stolz und Freiheitsdrang. María (María Mercedes Coroy) soll heiraten, um ihre Familie aus der Misere führen.
©  Kairos Filmverleih

Im Kino: "Ixcanul": Die Kraft der Maya-Frauen

Unter dem Vulkan: „Ixcanul“ von Jayro Bustamante, ein energischer, erschütterndes Filmdrama über das Leben und die Ausbeutung der Maya in Guatemala.

Schwarze Erde, schwarzer Berg, grüne Plantagen, die Luft riecht nach Kaffeebohnen. Die bunten Trachten der Frauen bilden einen kräftigen Kontrast, hier am Fuß des Vulkans Atitlán in Guatemala. Die Sprache der Maya kennt drei Wörter für Vulkan, eines davon ist Ixcanul. Der Filmtitel bedeutet so viel wie „die Kraft im Inneren des Bergs, die brodelt und ausbrechen möchte“, so Regisseur Jayro Bustamante. Genau lässt es sich nicht übersetzen.

Darum geht es, um den Reichtum und die Tücken einer indigenen Kultur. Um die Gewalt. Und um Übersetzungsprobleme. Wer kein Spanisch kann, hat das Nachsehen. „Ixcanul“ ist in Cakchiquel gedreht, dem Idiom der im Hochland lebenden Maya. Auch die Untertitel stellen nur ungefähre Übertragungen dar. Lost in Translation, eben das wird den Protagonistinnen zum Verhängnis. Der 17-jährigen María, einem strengen und schönen Mädchen, das mit Ignacio verheiratet werden soll, dem verwitweten Vorarbeiter auf der Kaffeeplantage. Und ihrer Mutter Juana, die eine derartige Tüchtigkeit und unverbrüchliche Liebe zu ihrem einzigen Kind an den Tag legt, dass man sie sich fast selber zur Mutter wünschte.

Marías Gesicht, das erste Bild. Ernst, beinah unwirsch, sie lächelt überhaupt selten. Die Mutter schmückt ihr Haar, richtet sie her, hier stimmt was nicht, das Schweigen der Frauen kündet von Unglück. Der Tragödie geht die Komödie voraus, wie die Rückblende zeigt: María und Juana füllen ein quiekendes Schwein mit Rum ab. Der Alkohol macht es brünstig, und schon schwängert es die Sau, bevor es geschlachtet wird, zu Marías Verlobungsfest.

Auf der Berlinale gewann "Ixcanul" einen Silbernen Bären

„Ixcanul“ ist die erste guatemaltekische Produktion, die je im Berlinale-Wettbewerb lief, ausgezeichnet mit einem Silbernen Bären 2015. Ein Ethno-Film? Bisschen Folklore samt Naturreligion mit kolonialen Einsprengseln – der Muttergottes und dem Vulkan werden gleichermaßen Opfergaben geweiht? Mit indigenen Weisheiten und Frauenstolz – allein wie die beiden riesige Holzstapel auf den Köpfen tragen, kleine, stämmige, aufrechte Gestalten? Und mit solidarischer Kritik an einer überkommenen Tradition, die María in ihr Schicksal zwingt, wie das Schwein, das zur Schlachtbank geführt wird?

Nein, dieser Film ist anders, vielschichtiger, er entfaltet selber brodelnde Kraft. Was der Präsenz und herben Aura von María Telon und María Mercedes Coroy als Mutter und Tochter zu verdanken ist. Und der Konsequenz, mit der das Cinemascope-Format die spröde, archaische Vulkanlandschaft und deren imposante Schwärze, die alles Licht schluckt, den Nahaufnahmen seiner Protagonisten gegenüberstellt, die in einer winzigen Holzhütte hausen. Und mit der Bustamante die Erzählung nach und nach politisiert.

Traum von einer besseren Zukunft: Amerika, sagt Pepe, liegt gleich hinter dem Vulkan

Die Heirat mit Ignacio stellt die einzige Chance für Marías Familie dar; ihre Haupteinnahmequelle, das Kornfeld, wird neuerdings von Giftschlangen bevölkert. Dummerweise hat María ein Auge auf Pepe geworfen, einen Trinker und Taugenichts. Mit ihm erträumt sie sich eine Zukunft in Amerika, ein besseres Leben. Amerika, sagt Pepe, liegt gleich hinter dem Vulkan, nur mit Mexiko dazwischen, ein Katzensprung. Juana hält dagegen: Hinter dem Vulkan ist die Kälte, sagt sie.

Die Arbeiter beim Trinken in der Kneipe, einem Bretterverschlag, großspurig, naiv: Bei aller Energie und Tatkraft der Frauen haben doch die Männer in diesem uralten Volk der Maya bis heute das Sagen. Also setzt María den Rum bei sich selbst ein, denn Pepe will Sex von ihr, einer der traurigsten Momente des Films. Es nützt nichts, er macht sich alleine davon.

Die schwarze Vulkanlandschaft und die Trachten der Frauen, hier María (María Mercedes Coroy) mit ihrer Mutter Juana (María Telon), bilden einen starken Kontrast.
Die schwarze Vulkanlandschaft und die Trachten der Frauen, hier María (María Mercedes Coroy) mit ihrer Mutter Juana (María Telon), bilden einen starken Kontrast.
© Kairos Film

Eine schwangere Braut? Das war’s mit Ignacio. Manuel, der sich abrackernde Vater, ist überfordert, und das Kind im Mutterleib erweist sich als derart robust, dass es all die Kräutertinkturen und heftigen Sprünge übers Lavabrocken-Feld übersteht. Die Familie als Solidargemeinschaft hält trotzdem zusammen. Bis María eines Tages das Giftschlangen-Feld betritt, sie trägt ja die Flamme des Lebens in sich und kann Dämonen vertreiben. Sie wird trotzdem gebissen, muss in die städtische Klinik, Ignacio fährt die drei mit dem Truck.

Das Drehbuch erarbeitete Regisseur Bustamante gemeinsam mit den Mayas

Aberglaube, Ausbeutung, Unterdrückung, es ist nichts gegen das, was in der Stadt geschieht. Das Auto steckt im Stau, keiner schert sich um ein sterbendes Indiomädchen. Regisseur Bustamante, selber in der Region aufgewachsen und als Sohn einer weißen Ärztin mit dem Leben der Maya vertraut, hat in Europa studiert und den Plot nach Meldungen von gekidnappten, verkauften Maya-Babys entwickelt. Seit den neunziger Jahren gilt Guatemala als Hotspot für illegalen Kinderhandel, vor allem in die USA. Das Drehbuch erarbeitete er in Workshops gemeinsam mit den Mayas, sie spielen sich selbst.

Was ist mit Marías Baby? In der Klinik spricht man nur Spanisch, geizt mit Informationen. Ignacio kann dolmetschen, spart aber vieles aus und übersetzt falsch, zum eigenen Vorteil. Die Ärzte, die Pfleger, die Sozialarbeiter, sie leugnen, lügen, zucken mit den Achseln, da können María und ihre Mutter noch so sehr insistieren. „Ixcanul“ kündet vom großen Unglück der kleinen Leute, vom vergeblichen Kampf der indigenen Bevölkerung um Gerechtigkeit und Teilhabe an der Moderne. Keine flammende Anklage, nur ein stiller, lange nachhallender Schrei.

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