Massenproteste in Italien: Hunderttausende gegen Reformen der Regierung
Die geplanten Arbeitsmarktreformen von Italiens Regierungschef Matteo Renzi stoßen auf heftigen Protest der Straße. An der Abschlusskundgebung am Samstag nahmen hunderttausende Menschen teil.
So viele rote Luftballons, rote Fahnen, rote T-Shirts hat man in Rom lange nicht mehr gesehen. Die drei vom linken Gewerkschaftsbund CGIL organisierten Demonstrationszüge mussten am Samstag früher aufbrechen als geplant, weil aus allen Teilen Italiens überraschend viele Teilnehmer nachströmten. „Wir sind eine Million!”, rief CGIL-Chefin Susanna Camusso triumphierend in die Menge – das war zwar übertrieben, weil der traditionelle Platz für gewerkschaftliche Großkundgebungen, der vor der Lateran-Basilika, zusammen mit den angrenzenden Straßen nur Raum für höchstens 250.000 Menschen bietet, aber dennoch: Bei ihrem Kampf für „Arbeit, Würde, Gleichheit“ hat Italiens Linke mal wieder Muskeln gezeigt.
Die Kundgebung richtete sich gegen Ministerpräsident Matteo Renzi und gegen dessen Pläne zur Schaffung neuer Arbeitsplätze. Die Regierung plant nicht nur bürokratische Erleichterungen und steuerliche Anreize für Unternehmer, sondern auch – am stärksten umstritten und großenteils schon wieder zurückgenommen – eine Aufweichung des in Italien rigorosen Kündigungsschutzes. Eines der größten Probleme ist die Jugendarbeitslosigkeit. Sie liegt in Italien bei 44,2 Prozent. Viele Berufseinsteiger erhalten überdies nur Verträge mit kurzer Laufzeit.
Renzi war mit vollmundigen Versprechen angetreten, sein Land zu überholen und aus der schweren Wirtschaftskrise zu führen. Zwar entging das Land knapp der dritten Rezession in den vergangenen sechs Jahren. Die Gesamtverschuldung wird der Prognose zufolge im kommenden Jahr aber eine Quote von 133,4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes erreichen - mehr als doppelt so hoch wie zulässig. Wegen des begrenzten Spar- und Reformeifers muss Rom fürchten, dass der Haushaltsentwurf von der EU-Kommission abgelehnt wird und Nachbesserungen notwendig werden.
Italien hat große Probleme mit der Staatsverschuldung
Pikant war, dass an den Protesten auch bedeutende Vertreter von Renzis sozialdemokratischer Partei PD teilnahmen: der linke Flügel, der dem Premier und Parteichef vorwirft, programmatisch ins Lager der Rechten gewechselt zu sein. „Renzusconi“ stand denn auch auf einem Transparent. Da war der Hauptverdacht auf den Punkt gebracht: Renzi sei in Wahrheit nur ein verkappter Silvio Berlusconi oder dessen bester Handlanger. Das Ziel der Proteste, Matteo Renzi also, hatte zur gleichen Zeit in Florenz seine eigene Kundgebung einbestellt. Es kamen zwar nur 12.000 Leute und die halbe Regierung. Dafür aber konnte der Premier seine Reformen mit einem ihm gewogenen Personenkreis diskutieren: mit Intellektuellen und mit Erfolgsunternehmern. Sie ließ Renzi auf die Bühne treten: „So wie sie es gemacht haben, so schafft man Arbeitsplätze. Nicht aber mit Großkundgebungen”, sagte er.
Am 8. November soll es die nächsten Proteste gegen die Pläne von Matteo Renzi geben
Und doch ließ ein leicht nervöser Renzi sich lückenlos darüber informieren, was in Rom erklärt wurde: Würde Camusso den angekündigten Generalstreik sofort ausrufen? Sie tat es nicht und sagte nur, man sei „bereit dazu“. Camusso konnte schlecht zum großen Kampf gegen eine Regierung blasen, die zum ersten Mal seit Jahren vom strengen Sparkurs abrückt, die Steuern senken und mit neuen Schulden den Staatshaushalt aufblähen will, damit Familien mehr Geld für den Konsum und Firmen mehr investieren können. Zumindest aber kündigte sie für den 8. November den nächsten Aktionstag an. Renzis Vorschläge "reichen nicht, um den Weg zu ändern, auf dem Italien ist", erklärte sie weiter. „Ich gebe nicht nach. Keine Großdemo wird mich aufhalten“, sagte sagte Renzi in Florenz, während die Gewerkschaftsmassen in Rom traditionelle Lieder sangen wie jenes: „Genossen, nehmt Sichel und Hammer, dann geht auf die Straßen und haut damit zu.“
Das große Theater durfte natürlich nicht fehlen
Wobei – in Italien – auch das große Theater nicht fehlen durfte. Der von der römischen Oper komplett entlassene Chor glänzte bei der Gewerkschaftsdemo mit einer Arie aus Giacomo Puccinis „Turandot“. Sie beginnt mit “keiner schlafe!” und endet mit einem dreimaligen „Vincerò – am Morgen werde ich siegen!“
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