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Gärten in luftiger Höhe. Das Parkroyal Hotel verbindet spektakuläre Architektur mit Nachhaltigkeit.
© PATRICK BINGHAM-HALL/Woha

Neues Berliner Leitbild: „Hochhäuser sind ein ökologisch attraktiver Vorschlag“

Mehr Hochhäuser in Berlin? Der Architekt Matthias Sauerbruch fände das gut. Nicht nur aus ökonomischen Gründen – auch weil es der Umwelt hilft. Ein Interview.

Herr Professor Sauerbruch, Sie bauen in aller Welt Hochhäuser: Welche Leitbilder begegnen Ihnen? Wie ordnen Sie das neue Berliner Leitbild ein?
Es ist schon eher eine europäische Angelegenheit, dass man sich Gedanken macht über die Rolle und die Platzierung von Hochhäusern in der gesamten Stadtstruktur.  In außereuropäischen Ländern wird das eher über die Bauordnungen geregelt -  über Abstandsregeln, Höhenverordnungen, Lichtrechte, Zoning-Pläne.

Leitbilder entspringen einer stadträumlichen Herangehensweise und das ist verständlich, denn Hochhäuser sind sehr sichtbar und im Stadtraum dominant. Je höher, desto mehr. Deshalb macht es in der eher niedrigeren europäischen Stadt schon Sinn darüber nachzudenken, wo man Hochhäuser platziert. Vor allem dann, wenn man noch nicht so viele davon hat.

Ist Berlin mit Blick auf die Bodenpreise überhaupt reif für Wohnhochhäuser?
Wenn wir hier vor dreißig Jahren gesessen hätten, dann hätte man gesagt: Wohnhochhäuser kommen überhaupt nicht in Frage. Denn für West-Berlin gesprochen – ich erinnere an Christiane F. vom Bahnhof Zoo – hatten Wohnhochhäuser einen extrem schlechten Ruf.

Es gab alle möglichen pädagogischen und soziologischen Untersuchungen, wie sehr Kinder unter diesem Bautyp leiden. Das hat sich stark geändert und hat auch damit zu tun, dass wir in Berlin mehr als 50 Prozent Singlehaushalte haben. Die Lebensstilerwartung und die Mobilität haben sich stark geändert und da passt das Hochhaus in vielen Fällen sehr gut.

Wohnhochhäuser sind heute beliebter, als man damals angenommen hätte. Ein Hochhaus mittendrin mit tollem Umfeld ist dabei natürlich noch einmal etwas anderes als ein Hochhaus im Grünen. Relativ neu in Berlin ist der Wunsch nach der Nutzungs-Mischung: Dass man im Sockelbereich kommerzielle oder kulturelle, öffentliche Nutzungen hat und darüber Wohnungen oder Büro ist schon relativ normal, aber, dass man quasi ein Haus teilt – das ist schon etwas ungewöhnlich und auch nicht ganz einfach.

Denn die Nutzergruppen müssen ja getrennt werden, zum Beispiel durch unterschiedliche Aufzuganlagen - alles wird komplizierter.

Hochhäuser gelten in der öffentlichen Wahrnehmung als eher unbehauste Orte, in denen es gelegentlich asozial und anonym zugeht. Sind das Zuschreibungen, die mit den Kulturen, den Gesellschaften oder eher mit den Konzeptionen der Baukörper zusammenhängen?
Ich glaube, da geht es eher um spezifische Erfahrungen. In unseren Breitengraden wurde dieser Bautyp mit dem Massenwohnungsbau der Nachkriegszeit assoziiert. Es handelte sich meist um einfachen Wohnungsbau, häufig auch sozialen Wohnungsbau und damit werden mit Hochhäusern auch bestimmte Bevölkerungsgruppen assoziiert. Aus der DDR wissen wir, dass vor allem innerstädtische Hochhausstandorte wie z.B. Fischerinsel/Leipziger Straße privilegierte Wohnorte waren. Sie waren beliebt und die Menschen haben sich um diese Wohnungen gestritten.

Hochhäuser sind teuer. Sie müssen entweder sehr hoch werden, damit sie sich in Deutschland wegen der baurechtlichen Vorgaben wie Brandschutz etc. noch rechnen oder bleiben unter 60 Metern Höhe. Sollten wir für Berlin nicht eher an zentralen Umsteigepunkten der Stadt über eine Erhöhung der vorhandenen Blockrandbebauung nachdenken, wie das Ihr Kollege Karl Theo Brenner mit seinem „Stadt Hoch Drei“-Konzept getan hat?

Ja, da gibt es unterschiedliche „Eskalationsstufen“. In München zum Beispiel startete der OB Kronawitter seinerzeit eine Initiative, die die Höhe der Frauenkirche als Maß nahm. Hochhäuser sollten nicht höher als 100 Meter sein. Die nächst niedrigere Größenordnung sind 60 Meter – da ändern sich die Brandschutzvorschriften. Höher wird es aufwendiger. Die nächste Stufe darunter sind 22 Meter für den Fußboden der obersten Etage. Ab dann reden wir von einem Hochhaus, baurechtlich gesprochen.

Brenners Konzept ist schon vernünftig, denn das, was man in München „profilüberragende Gebäude“ nennt, gehört noch zur Sockelbebauung. Das ist räumlich verträglicher, und man kann viel besser mit den Abstandsflächen umgehen als bei freistehenden Hochhäusern. Mit deutschen Abstandsregeln kann man in einem Block bei fünf bis sechs Geschossen die optimale Ausnutzung pro Fläche hinbekommen. Wenn Sie diese Blöcke als Grundlage nehmen und sie dann noch lokal erhöhen, erreicht man die optimale Verdichtung.

Wir sehen, dass Punkthochhäuser in anderen Teilen der Welt mit niedrigeren Bauten umstellt werden und so neue Stadtteile entstehen können. Ein Beispiel ist das Projekt, das Ihr Kollege Eike Becker in Teheran umsetzen will.  In Berlin fehlt aber innerhalb des S-Bahn-Rings dafür der Platz. Wie lassen sich dennoch Bezüge zur unmittelbaren Nachbarschaft herstellen, die über die Architektursprache hinausgehen? Will fragen: Hilft denn ein Hochhausleitbild, wenn die Standorte, die ihre eigenen Prägungen und Nutzungen haben, gar nicht einbezogen werden?

Dass die Standorte im Leitbild nicht benannt werden, dafür habe ich schon eine große Sympathie. Denn was das für Konsequenzen auf dem Immobilienmarkt hätte, ist ja klar. Zwischen den Zeilen werden schon Zonen angedeutet, die infrage kommen…

Ach ja! Wo liegen die denn?
In München wurde klar gesagt, dass das Netzwerk des öffentlichen Nahverkehrs eine Leitlinie ist. Je größer die Dichte der öffentlichen Verkehrsmittel, desto wahrscheinlicher, dass dort ein Hochhaus genehmigt werden wird. Also vorzugsweise dort, wo mehrere Linien sich treffen. Der Alexanderplatz ist das Paradebeispiel dafür.

Leider können sich Architekten ihre Welt nicht selbst bauen. Bauherren manchmal auch nicht. Sie sind auf Investoren und Flächen angewiesen und da geht es auch um das Thema Finanzierung und Rendite. Viele kleine Wohnungen auf engem Raum rechnen sich besser als größere. Ein Hochhaus ohne große Gemeinschaftsräume oder Gartengeschosse, wie es sie in Asien gibt, dürfte profitabler sein als das in die Realität gewendete Bild einer vertikalen Stadt mit Marktplatz und Observatorium auf dem Dach oder das Bild einer vertikalen Landschaft. Kurz gefragt: Sollten wir vom Hochhaus aufgrund der gemachten Erfahrungen nicht einfach Abschied nehmen? Sehen Sie positive Neudefinitionen des Hochhauskonzeptes, denen nachzugehen sich lohnte?

Es gibt weltweit schon viele interessante Gebäude, wo es Durchmischungen der Nutzungen gibt. Die WOHA-Architekten aus Singapur haben das im sozialen Wohnungsbau fantastisch vorgeführt. Es gibt über 100 m hohe Gebäude die alle neun Geschossen von einem Gartendeck unterbrochen sind, und das funktioniert. So etwas kann man sich auch eingehaust für Berlin vorstellen.

Man muss darüber hinaus das Hochhaus im Zusammenhang mit dem gesamten Stadtgebilde sehen. Die Diskussion kommt hier ja auch zustande, weil wir einen Wohnungsnotstand haben und uns fragen, wo bauen wir die 20.000 Wohnungen hin, die jedes Jahr entstehen sollen? Da ist der Gedanke der Nachverdichtung naheliegend - wo immer es noch Lücken in der Innenstadt gibt. Es geht ja nicht nur um die Versiegelung des Bodens und den Erhalt von landwirtschaftlichen und Erholungsflächen im Umland.

Es geht auch die effiziente Ausnutzung der bestehenden Versorgungs- und Verkehrsinfrastruktur. Beides muss im Grunde genommen nicht großartig verändert werden, wenn zum Beispiel im Hansaviertel oder im Umfeld der Karl-Marx-Allee neue Strukturen in den noch vorhandenen Zwischenräumen entstehen.

Da ist ein Hochhaus manchmal ein guter Vorschlag: Sie haben einen geringen „Fußabdruck“ und bringen in der Höhe eine große Menge Wohnungen unter. Das Hansaviertel hält viele tolle Beispiele dafür bereit. Die Wohnungen sind absolut beliebt.

Architekt Matthias Sauerbruch ist Architekt, Stadtplaner und Hochschullehrer
Architekt Matthias Sauerbruch ist Architekt, Stadtplaner und Hochschullehrer
© Kalle Koponen

Welchen Beitrag könnten Hochhäuser in der Zukunft leisten, wenn wir an den Klimawandel denken?
Per se kann man nicht behaupten, dass das Hochhaus der klimafreundlichste Bautyp ist. Aber man kann auch hier einiges tun, um den CO2 Fußabdruck zu verringern. Aber wenn man Hochhäuser im Gesamtzusammenhang mit der Stadt sieht, ist es auch aus ökologischer Sicht ein attraktiver Vorschlag. Die Stadt bleibt kompakt und Infrastrukturkosten und Energiekosten werden deutlich reduziert. Darüber hinaus bleiben freie Flächen inner- und außerhalb der Stadt erhalten.

Nehmen wir an, Sie hätten völlig freie Hand: Sie müssten weder auf das Hochhausleitbild aus dem Hause der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Rücksicht nehmen, noch auf merkantile Aspekte des Immobilienmarktes: Wie sieht Ihr ideales Hochhaus in Berlin aus, wo steht es und woraus wird es gebaut?

Ha! Ich bin ein Stadtmensch und würde mir ein Hochhaus mittendrin vorstellen…

...im Tiergarten?

Nein, eher an der Spree, irgendwo in Mitte, wo man viel um sich herumhat. Wo Kultur ist und Leben. Wo was los ist. Ich würde mir eine schöne große Terrasse bauen und hohe Decken, dann würde ich etwas loftartiges machen. Wo ich flexibel bin, die Räume mal so, mal so aufteilen kann. Ich würde etwas machen, was mit viel Licht zu tun hat. Allerdings darf es sich natürlich nicht aufheizen. Eine Terrasse, die man zur kalten Jahreszeit zum Wintergarten machen kann – dort würde ich schon einziehen.

Wo in der Welt und mit welchem Projekt kommen Sie Ihren Idealvorstellungen am nächsten ?
Die Woha-Architekten haben da sehr sinnvolle Vorschläge gemacht – mit Gemeinschaftsterrassen. Die Woha-Hochhäuser in Singapur haben keine Klimaanlagen, sondern sind durchlüftet. Das funktioniert sehr gut. Es ist da nie sehr windig, und es gibt wunderbare Außenbereiche, sehr idyllisch und sehr urban.

Was wäre denn nach Berlin übertragbar?
In Berlin müsste man vor dem Wind schützen, mit so einer Art von Balkon, der aufgefaltet werden kann. Eine Fassadenbegrünung geht in Berlin auch. Die Pflanzen müssten aber den Winter überstehen können – das Klima hierzulande ist wechselhafter. Aber gehen tut es schon: Es ist natürlich aufwendig, muss geplant und gärtnerisch gepflegt werden.

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