Trotz Wohnungsmangel: Warum Berlin sich mit Hochhäusern so schwertut
Hochhäuser könnten dabei helfen, in Berlin schnell Wohnraum zu schaffen. Die Quartiere gelten als seelenlos, doch zeigen andere Metropolen, was möglich ist.
Ach, hätte Berlin doch nur mehr Lust an der Gestaltung und die Kraft, den Stadtumbau unter den Zeichen von Zuzug und Klimawandel beherzt anzugehen. Dann wären Leitbilder wie die jüngsten aus der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen mehr als Feigenblätter, die eine große Unlust verdecken.
Die Dinge werden einmal mehr auf die lange Bank geschoben. Mehrstufige Verfahren, Wettbewerbe, Bürgerbeteiligung. Man kennt das. Erst einmal muss das Hochhausleitbild beschlossen werden, was dauern kann. Eine Stadt verwaltet ihren Mangel. Mit Milieuschutz und Mietendeckel. Als würde Berlin sich gegen Veränderungen wehren: „Ich will so bleiben, wie ich bin.“ Von den rot-rot-grünen Senatsbänken schallt es zurück: „Du darfst.“ So gewinnt man Wähler, nicht aber die Zukunft.
Berlin blieb nie so, wie es war. Höchste Zeit für eine Debatte über die Ästhetik der Stadt, die sich in neue Höhen schwingt. Anlässe gefällig? Man muss sich gar nicht mit planerischen Dauerbaustellen wie dem „Blankenburger Süden“ oder dem „Pankower Tor“ befassen. Es genügt ein Blick in die neuen, aber öden Straßenzüge der Heidestraße und an der Jannowitzbrücke, um zu sehen, dass die Hauptstadt derzeit keine Gestaltqualität und Urbanität herstellen kann. Deutschlands größte Stadt ist am Limit. Wir sehen Stein gewordene Excel-Tabellen.
Hochhäuser könnten dazu beitragen, dass die Hauptstadt schneller vorankommt: mit dem Wohnungsbau im Allgemeinen und den fehlenden Wohneinheiten für Singles und Sozialschwache im Besonderen. Nachverdichtung lautet das Zauberwort. Laut einer aktuellen Prognose des Statistischen Amts der Europäischen Union werden im Jahr 2030 rund 84 Millionen Menschen in Deutschland leben – gut eine Million mehr als heute. Europas Hauptstadtregionen haben fast immer eine prognostizierte Bevölkerungsveränderung über dem nationalen Durchschnitt, so auch Berlin. Die meisten Menschen werden in die Großstädte ziehen. Junge Familien, die es sich leisten können, ziehen in die Speckgürtel.
Hochhausviertel mit zusätzlichen kleinen Gebäuden
„Städte müssen immer mehr leisten und immer mehr bieten“, sagt der Berliner Architekt Eike Becker, der sowohl weltweit als auch in Berlin Hochhäuser plant. Gemeinsam mit Hadi Teherani Architects hat das Büro „Eike Becker_Architekten“ im März den ersten Preis im internationalen Wettbewerb für die neue Zentrale der National Iranian Gas Company in Teheran gewonnen. Der Zuschlag für den Bau steht noch aus.
Eine Nummer kleiner, aber einen Schritt weiter ist Eike Becker in Neukölln. Im Jahr des 100-jährigen Bauhaus-Jubiläums und des 50-jährigen Todestages von Walter Gropius plant der Architekt aus Oldenburg in Gropiusstadt ein genossenschaftliches Projekt am Theodor-Loos-Weg/Ecke Wutzkyallee. Bauherrin ist die Genossenschaft des Beamten-Wohnungs-Vereins zu Berlin.
Der Entwurf orientiert sich an Gropius Masterplan, der die Integration kleinerer Gebäude in das Hochhausviertel vorsah: Das 20-geschossige Hochhaus ist über einen gemeinsamen Sockel mit einem fünfgeschossigen Stadthaus sowie einem eingeschossigen Pavillon verbunden. „Aktuell sind wir als Architekten gefordert, städtebauliche Antworten auf die fortschreitende Digitalisierung, Globalisierung, Individualisierung und Urbanisierung zu finden“, sagt Becker.
Das Hochhaus erscheint hier als gemeinschaftsorientierter Baustein für eine durchmischte Stadt besonders geeignet. Denn wer sagt denn, dass Hochhäuser immer ein- und denselben Grundriss haben müssen, der einhundert Mal übereinander gestapelt wird? Politische, ökonomische, ökologische und soziale Aspekte sprechen für eine kompaktere Bauweise.
Infrastruktur effizient nutzen
„Es geht ja nicht nur um die Versiegelung des Bodens und den Erhalt von landwirtschaftlichen und Erholungsflächen im Umland“, sagt Beckers Architektenkollege Matthias Sauerbruch: „Es geht auch um die effiziente Ausnutzung der bestehenden Versorgungs- und Verkehrsinfrastruktur. Beides muss im Grunde genommen nicht großartig verändert werden, wenn zum Beispiel im Hansaviertel oder im Umfeld der Karl-Marx-Allee neue Strukturen in den noch vorhandenen Zwischenräumen entstehen. Da ist ein Hochhaus manchmal ein guter Vorschlag: Sie haben einen geringen ,Fußabdruck’ und bringen in der Höhe eine große Menge Wohnungen unter. Das Hansaviertel hält viele tolle Beispiele dafür bereit. Die Wohnungen sind absolut beliebt.“
Hinzu kommt: Der Boden in der Großstadt ist knapp und teuer. So rückt die vertikale Verdichtung in den Fokus von Stadtplanern, Projektentwicklern und Investoren. Wenn man sie denn lässt.
Am Halleschen Ufer in Kreuzberg scheiterte zuletzt der Umbau des ehemaligen Postscheckamtes Berlin-West in ein „vertikales Dorf“. Das lag nicht an den von Eike Becker vorgelegten und von dem Investor Christoph Gröner (CG Gruppe) mehrfach überarbeiteten Plänen für den 23-Geschosser oder an dem Ergebnis eines städtebaulichen Wettbewerbs. Daraus war das Büro „SauerbruchHutton“ 2014 mit seinem Masterplan zur Umnutzung des Hochhauses aus den siebziger Jahren siegreich hervorgegangen. Zwar hatte Sauerbruch das kooperative städtebauliche Workshopverfahren gewonnen, und es wurde zur Realisierung empfohlen.
Auch ließ sich Gröner auf das Hin und Her des Bezirks unter Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) ein – mal mehr Wohnungen, mal weniger und mehr Gewerbe, mal mehr Atelierflächen. Doch das Ergebnis fiel dann so aus: Im Tower bleibt alles, wie es ist. Berlin eben. So werden auf dem Postbank-Areal weniger Wohnungen errichtet als von der CG Gruppe ursprünglich vorgesehen. Die Bezirkspolitiker hatten gesiegt, die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen zog das Projekt nicht an sich.
Hochhaus als Ausnahmeerscheinung
Leitbild hin oder her: Im Zweifelsfalle sind Berlins Bezirkspolitiker immer noch mit eigenen Prioritätenlisten unterwegs. Oliver Schruoffenegger (Bündnis 90/Die Grünen), Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung, Bauen und Umwelt in Charlottenburg-Wilmersdorf, ist Hochhäusern grundsätzlich nicht abgeneigt. „Sie bringen die Dichte, die wir brauchen, um die letzten Naturräume in der Stadt zu schützen.“
Schruoffenegger gehört zu denen, die eher positiv mit Hochhausentwicklungen umgehen. Es kommt eben darauf an, wie sie gebaut sind und welche Funktionen sie erfüllen. „Wir werden in Zukunft eine völlig andere Stadt haben, mit anderen Verkehrssystemen. Die aktuellen Klimafragen müssen beantwortet werden. Denn Gebäude werden achtzig bis einhundert Jahre alt“, sagt Schruoffenegger. „Es kommt auf den Mix an.“ Der Politiker legt für Hochhausentwicklungen vier Kriterien an: klimaneutrale Baumaterialien, Bezahlbarkeit, öffentlich nutzbare Erdgeschosszonen und die Vernetzung mit nachhaltigen Verkehrssystemen.
Sozialbauten von einst schrecken ab
Noch fristen Hochhäuser in Deutschland eher ein Nischendasein, sieht man einmal von Frankfurt am Main ab. Der Grund dafür sind die negativen Erfahrungen aus dem sozialen Wohnungsbau der 60er und 70er Jahre: seelenlose Trabantensiedlungen. Anders dagegen in den USA, Asien oder im arabischen Raum. Dort genießen Hochhäuser eine hohe städtebauliche sowie gesellschaftliche Relevanz und Akzeptanz. Bei der Anzahl von Wolkenkratzern – das sind Gebäude über 150 Metern – liegt China mit 1756 vorn, gefolgt von den USA mit 753 und den Vereinigten Arabischen Emiraten (231). In Deutschland sind in dieser Größenordnung gerade einmal 15 Exemplare zu besichtigen.
Man muss nicht nach New York reisen, um von Hochhäusern fasziniert zu sein. In Manhattan wird der Bautyp inzwischen weiterentwickelt. Bürohochhäuser an der Wall Street werden nach der Lehman-Pleite zu Wohnhochhäusern umgewandelt. Oder es werden gleich neue Unterkünfte für Superreiche gebaut: Am Hudson hat die Ära der „Supertalls“ begonnen, superschlanke Türme auf kleiner Grundfläche.
Berlin: flach und breit gebaut
Dergleichen war und ist in Berlin nicht in Planung. Die Gründe liegen im Stadtplan begründet. „Das Berliner Stadtmodell ist aus seiner historischen Entwicklung heraus betrachtet ein extrem breites und flaches Stadtmodell mit teilweise fragmentarischem Charakter“, sagt der Berliner Architekt Klaus Theo Brenner („Stadtarchitektur“). Sein Masterplan für die Rummelsburger Bucht wurde 2009 mit dem Deutschen Städtebaupreis ausgezeichnet.
Brenner plädiert dafür, die traditionelle Blockrandbebauung Berlins zu reformieren. „StadtHochDrei“ nennt er seinen Vorschlag. Es geht darum, Türme in die Blöcke zu integrieren – idealerweise an den Ecken. „Dies schafft mehr Fläche, aber auch mehr atmosphärische Dichte – unter der Voraussetzung allerdings, dass diese Verdichtung auch eine funktionale Vielfalt aus Wohnen, Büros, Gewerbe, und öffentlichen Räumen vorsieht“, sagt Brenner. „Ein weiterer wesentlicher Gesichtspunkt, wenn wir von einem Hochhausleitbild reden, ist gerade in Berlin die Entwicklung von Höhe aus dem Block heraus mit Vorplatz, Passage, Terrassen und Gärten, in Verknüpfung mit einer, für den jeweiligen Ort normalen Blockdimension.“
Hätten die Berliner ein Mitspracherecht, wenn es um die Nachverdichtung der Stadt geht, würden 41 Prozent mehr Hochhäuser befürworten. Vorausgesetzt, man folgt dem Ergebnis einer repräsentativen Erhebung des Umfrageinstituts info GmbH im Auftrag der Berliner Sparkasse aus dem Mai dieses Jahres. Die Frage jedoch bleibt, ob die Bürger richtig an den Dialogen beteiligt werden. Allzu oft enden als ergebnisoffene Dialoge verkaufte Beteiligungsprozesse als „Partizitainment“. So etwas raubt die Lust an der Mitgestaltung.
In einem Klima aus Angst vor steigenden Mieten und Immobilienpreisen gedeiht indes keine Kreativität für den Stadtumbau. Da braucht es viel mehr als Leitbilder und Leidszenarien.