Reaktionen zum Aus für "Dau": Grütters fordert mehr Mut zum Experiment
Kulturstaatsministerin Monika Grütters bedauert die "Dau"-Absage. Es gehe aber auch darum, die Gesellschaft „vor Trägheit und Einförmigkeit zu bewahren“.
Einer ist sehr froh, dass der russische Regisseur Ilja Khrzhanovskij das Kunstprojekt „Dau“ in diesem Jahr nicht realisieren kann. „Jetzt können wir das Fest der Einheit am 3. Oktober unbeeinträchtigt feiern, ohne uns in der Mitte Berlins eine neue Mauer ansehen zu müssen“, sagte der kulturpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Frank Jahnke. Es gebe Experimente, die verzichtbar seien. „Einen zweiten Anlauf für das Projekt brauchen wir nicht.“
Einen Zweck hat die geplante Kunstinszenierung in einem ummauerten Areal rund um das Kronprinzenpalais offenbar erfüllt, auch wenn es vorerst nicht stattfinden kann: Es polarisiert. Auch der Kulturexperte der FDP, Florian Kluckert, gehört zu den entschiedenen Gegnern. Er begrüßte die Absage nicht nur, sondern forderte Rot-Rot-Grün auf, „den Veranstaltern klar zu machen, dass dieses Projekt in Berlin keine Chance auf Realisierung hat“. Der CDU-Kulturpolitiker Robbin Juhnke kann mit der Absage von „Dau“ ebenfalls gut leben. „Je mehr ich davon hörte, desto mehr Fragezeichen tauchten für mich auf.“
Grütters beklagt "bedenklich hitzig" Züge in der Debatte
Juhnke hält es aber unter bestimmten Umständen für möglich, dem spektakulären Vorhaben, das international Aufmerksamkeit erregt hat, eine zweite Chance zu geben. Aber nur unter der Voraussetzung, dass die Öffentlichkeit über die Inhalte des Kunstprojekts besser informiert und der inszenierte Mauerbau mit einem didaktischen Konzept verbunden werde. „Im Vorfeld müssen sich die Künstler auch mit den Kritikern offen auseinandersetzen.“ Ansonsten, so der CDU-Mann, verkomme das Projekt zur Klamotte.
Der eine so, die andere so: Juhnkes prominente Parteifreundin Monika Grütters, Kulturstaatsministerin und Vorsitzende des CDU-Landesverbands, bedauerte die Absage sehr. Für Sicherheitsbedenken müsse man Verständnis haben, für eine lebendige Auseinandersetzung über Kunstwerke aber auch, teilte sie mit. Aus ihrer Sicht hat die öffentliche Kontroverse im Vorfeld „bedenklich hitzige und von Vorurteilen geprägte Züge“ angenommen. Nur wer den Mut zum Experiment habe, „wer also bereit ist, vorhandene Grenzen in Frage zu stellen, schafft Fortschritt und ist Avantgarde im besten Sinn“, sagte Grütters. Es sei eine vornehme Eigenschaft der Künstler und Intellektuellen, die Gesellschaft „vor Trägheit und Einförmigkeit zu bewahren“.
Grütters ist enttäuscht, dass das Projekt in Berlin derzeit nicht ermöglicht werden könne. Und der Chef des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, sagte: „Ich hoffe, selbst wenn das ,Dau‘-Projekt in diesem Jahr in Berlin nicht stattfinden kann, die Diskussion über dieses ungewöhnliche Kunstprojekt weiter geht.“ Ähnlich reagierte Berlins Kultursenator Klaus Lederer (Linke). Das Projekt hätte aus seiner Sicht gut nach Berlin gepasst. „Und ich finde auch, dass die Kontroversen das eher bestätigt als widerlegt haben“, sagte er am Freitag.
Kritik an Festspiele-Chef Oberender: Er die Fristen wissen müssen
Aber auch Lederer zeigte, wie alle anderen Politiker in Berlin auch, Verständnis für die Argumente der Verwaltung. „Die Verantwortung für Genehmigungen, die aus Sicherheitsgründen und zum Schutz anderer Rechtsgüter ergehen müssen, tragen die Ordnungsbehörden – und die kann ihnen auch niemand abnehmen.“ Die Zeit sei offensichtlich zu knapp gewesen. Die Linken-Kulturpolitikerin Karin Kittler akzeptierte die Absage durch die Genehmigungsbehörden auch, aber sie plädierte vehement dafür, es im nächsten Jahr erneut zu versuchen. „Das würde ich spannend finden.“ Schließlich handele es sich um ein Kunstprojekt, das sich eindeutig gegen totalitäre Machtstrukturen richte. Dem Filmemacher Khrzhanovskij und seiner Crew vorzuwerfen, er wolle die Berliner Mauer wieder aufbauen, sei ziemlich kleinkariert gedacht. „Ich habe die Aufregung von Anfang an nicht verstanden“, sagte Kittler. Und wer nicht wolle, der müsse es sich ja nicht anschauen.
Dann gab die Linken-Abgeordnete dem Leiter der Berliner Festspiele, Thomas Oberender, noch eins mit. Die Festspiele hatten sich für das „Dau“-Projekt an vorderster Stelle engagiert. Doch Oberender hätte wissen müssen, so Kittler, „wie rechtzeitig man die Genehmigungsanträge für ein solches Mega-Projekt bei den zuständigen Behörden einreichen muss“. Das sei leider nicht geschehen. Nur die Grünen hielten sich am Freitag, nachdem das vorläufige Scheitern des Projekts bekannt wurde, mit einer wertenden Kommentierung zurück. „Alle Beteiligten müssen sich jetzt schnell entscheiden, ob ,Dau‘ im nächsten Jahr stattfinden soll und kann“, forderte die Grünen-Fraktionschefin Antje Kapek. Vom Senat erwartet sie eine rasche Klärung.
Ein Sowohl-als-auch von der Senatssprecherin
„An der grundsätzlichen Haltung des Senats zu Dau hat sich nichts geändert“, sagte Senatssprecherin Claudia Sünder. Es handele sich um ein herausforderndes, einzigartiges Kunstprojekt, dessen Realisierung Berlin gern unterstützt habe. „Die Enttäuschung der Veranstalter über die Entscheidung ist nachvollziehbar.“ Kunst brauche Freiheit. Die biete Berlin. „Doch es geht auch um Sicherheit – und das darf uns nicht egal sein."
Schon vor vier Wochen hatte der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) das Projekt als „gewöhnungsbedürftig, aber grundsätzlich spannend und interessant“ eingestuft, aber auch auf die genehmigungstechnischen Hürden hingewiesen, die solche Großvorhaben auf öffentlichem Straßenland zu nehmen haben. Hier und da hörte man am Freitag aus Kreisen des Landesparlaments, dass 2019 ohnehin das bessere Datum für „Dau“ sei. Dann ist der Mauerfall in Berlin am 9. November 30 Jahre her. Nicht nur das runde Jubiläum spräche für einen neuen Versuch, sondern auch die realistische Zeitspanne für Bauplanungen, Sicherheitskonzepte und andere notwendigen Genehmigungsverfahren. Außerdem wäre Zeit, über den künstlerischen Inhalt von „Dau“ mehr zu erfahren.
Aus Sicht des Künstlers ist die nachgebaute Mauer in Berlins historischer Mitte wohl eher die Hülle für ein antistalinistisches Filmprojekt, das sich um den genialen sowjetischen Physiker Lew Landau dreht und an dem er seit 13 Jahren werkelt. Die Bedenken der ehemals eingemauerten Berliner versteht Ilja Khrzhanovskij offenkundig nicht. In der FAZ beschwerte sich der ansonsten öffentlichkeitsscheue Russe über die „Hetzkampagne“ gegen die „neuartige Kunst- und Erfahrungswelt“, die er in Berlin präsentieren wollte.