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Der CSU-Generalsekretär Edmund Stoiber (r.) unterhält sich während des CSU-Parteitags im Mai 1980 in Berlin mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß.
© picture-alliance /dpa

Edmund Stoiber über Franz Josef Strauß: "Heute wollen Politiker immer cool sein"

100 Jahre Franz Josef Strauß: Edmund Stoiber, einst der junge Generalsekretär des legendären Bayern, spricht im Interview über dessen Grundsätze und Charakterschwächen. Und warum er mit Helmut Kohl ein Grundsatzproblem hatte.

In der neuesten Strauß-Biografie von Peter Siebenmorgen wird Strauß mit dem Satz zitiert: „Für mich ist Stoiber unentbehrlich.“ Was haben Sie nur getan?
Er hat einmal gesagt: Der Stoiber hält auch da den Kopf hin, wo es ihm ihn wegreißen kann…

...seine Art der Komplimente.
...Er wusste, dass ich seine politischen Überzeugungen verstehe, teile und er sich auf mich verlassen konnte. Er vertraute mir. Es ging schließlich um eine sehr grundsätzliche Politik.

Es war doch immer grundsätzlich bei ihm.
Vorsichtig. Ironie ist hier fehl am Platz. Es waren grundsätzliche Dinge, die er vertrat: Soziale Marktwirtschaft, Westbindung, Nato-Beitritt, Neuaufstellung der Bundeswehr, europäische Verteidigungsgemeinschaft. Die andere Seite, der politische Gegner, wollte eher Neutralität, mehr staatliches Eingreifen, eher eine sozialistisch geprägte Gesellschaft.

Es fing früh an…
…drei Jahre nach Kriegsende saß der jüngste Vertreter Bayerns, Franz Josef Strauß, 32 Jahre, an der Seite Ludwig Erhards, im Frankfurter Wirtschaftsrat. Der stellte Weichen für die künftige Gesellschaftsordnung. Hier wurde debattiert, soziale Marktwirtschaft oder nicht, kann man in einem zerstörten Land dem Spiel der freien Kräfte so viel Raum geben?

Existenzielle Fragen…
…auch weil sich die Spaltung Deutschlands schon abzeichnete. Strauß war einer der Wegbereiter unserer Demokratie. Das ist der Grund, warum ich ihn ungern nach anderen als nach diesen politischen Eigenschaften messe.

Andere Eigenschaften gehören dazu. Er stritt nicht nur leidenschaftlich, er machte auch Freund und Feind nieder.

Ich habe in ihm in erster Linie die Person gesehen, die auch meine politischen Überzeugungen am besten vertrat. Er war kraftvoll und voller Leidenschaft, sie konnten sich dem nicht entziehen. Das war für mich entscheidend.

Haben Sie ihm widersprochen?
Ja, natürlich. Er wollte das auch. Es bedurfte allerdings eines gewissen Mutes, man musste sich seiner Sache sicher sein. Strauß hat schnell gemerkt, ob einer Ahnung hatte oder nicht. Er konnte sehr unwirsch werden, bisweilen verletzend. Heute ist man da eben geschmeidiger, konsensfreudiger, kompromissbereiter.

Ein Beispiel für seine politische Hartnäckigkeit?
Die größte Debatte, die Strauß als Oppositionsführer zu verhandeln hatte, war 1972 der Grundlagenvertrag, der ein Bestandteil der Ostpolitik der sozialliberalen Koalition unter Brandt war. Strauß war überzeugt, dass dieser Grundlagenvertrag nicht der Verfassung entsprach. Er argumentierte, der Grundlagenvertrag zementiere die deutsche Teilung. Das Verfassungsgericht machte dann aufgrund der Klage Bayerns deutlich, dass das Wiedervereinigungsgebot weiterhin für alle Verfassungsorgane bindend ist.

Was war das Besondere dieses Streits?
Es verdeutlicht, wie Strauß tickte: Er kämpft gegen den Mainstream, die eigene Bundestagsfraktion war nicht gewillt, ihm zu folgen, er zieht sich nach München zurück und diskutiert stundenlang mit einem unwilligen und nicht zur Konfrontation bereiten Alfons Goppel, damals Ministerpräsident Bayerns. Er bleibt solange sitzen, bis er eine Mehrheit zusammen hat. Er geht mit der Klage den Weg gegen die breite veröffentliche Meinung in der Welt, nicht nur in Deutschland. Das war wohl die einsamste Situation, die er zu meistern hatte.

Fehlte ihm „soziale Intelligenz“, wie der Buchautor Siebenmorgen schreibt?
Nein. Er konnte Wärme ausstrahlen, sonst hätte er die Menschen ja gar nicht erreicht.

Lesen Sie, was Strauß über Helmut Kohl dachte

Franz-Josef Strauß (li.) und Edmund Stoiber beim Empfang der CSU-Landesleitung in München im Jahr 1987.
Franz-Josef Strauß (li.) und Edmund Stoiber beim Empfang der CSU-Landesleitung in München im Jahr 1987.
© imago

Warum diese extreme Rhetorik, wie etwa die von „Ratten- und Schmeißfliegen“?
Es war damals direkter, aggressiver, unversöhnlicher. Nicht nur er. Heute ist die Grundstimmung eine andere. Der Umgang ist anders, nicht so frontal.

Siebenmorgen nennt Ihre Formulierungen als Generalsekretär „rhetorische Arschbomben“, die Strauß 1980 als Kanzlerkandidat eher geschadet hätten, etwa der Satz, dass „Nationalsozialisten in erster Linie Sozialisten waren“. Hatten Sie und Strauß eine Arbeitsteilung in Sachen Krawall?
Nein. Ich habe die Dinge aus meiner eigenen Leidenschaft heraus so formuliert, das gab natürlich wieder riesige Debatten. Heute würde ich das nicht sagen. Es war eine Zuspitzung. Im Übrigen hat er die Wahl mit 44,5 Prozent gewonnen, auch wenn er nicht Kanzler geworden ist.

Profitiert hat Helmut Kohl. Gab es ein Grundproblem, das Strauß mit Kohl hatte?
Das Grundproblem war, dass Strauß grundsätzlicher dachte als Kohl. Er konnte es auch, weil die CSU hinter ihm geschlossen war.

Was störte Strauß genau an Kohl?
Strauß war sehr am Detail interessiert, wollte inhaltlich in die Tiefe gehen. Es störte ihn, dass Kohl diese Liebe zum Detail nicht teilte. Kohl war der bessere Taktiker, der politischere Kopf war Strauß.

Strauß war klug, Kohl schlauer?
Ja. Schlau und geschickt, im Knüpfen von Netzwerken, die machttaktisch wichtig für ihn waren. Strauß hat dem Zeitgeist stärker widerstanden.

Strauß wollte immer mit dem Kopf durch die Wand, vorbei an Freund und Feind.
Er war Überzeugungstäter, Grundsätze aufgeben, konnte er nicht leiden.

Ein Beispiel?
Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl 1983: Strauß fragt Kohl, ob es stimme, dass dieser die Einladung an Erich Honecker, die Helmut Schmidt ausgesprochen hat, aufrechterhalte? Es gibt heftigsten Streit, aber Strauß kann es nicht verhindern. Kohl hat pragmatisch entschieden, für Strauß war es eine Grundsatzfrage: Man konnte nicht das tun, was man im Wahlkampf am politischen Gegner kritisiert hatte.

Der bayerische Ministerpräsident und Kanzlerkandidat der CDU/CSU, Franz Josef Strauß (r.), und der CDU-Vorsitzende Helmut Kohl unterhalten sich kurz vor Beginn einer Gesprächsrunde der Parteivorsitzenden zum Wahlausgang in einem Bonner Fernsehstudio. Bei den Wahlen zum 9. Deutschen Bundestag am 5. Oktober 1980 wurde die Regierungskoalition aus SPD/FDP bestätigt. Sie erreichten 42,9 (SPD) und 10,6 (FDP) Prozent der Stimmen. Die CDU/CSU mußte Verluste hinnehmen und kam zusammen auf 44,5 Prozent.
Der bayerische Ministerpräsident und Kanzlerkandidat der CDU/CSU, Franz Josef Strauß (r.), und der CDU-Vorsitzende Helmut Kohl unterhalten sich kurz vor Beginn einer Gesprächsrunde der Parteivorsitzenden zum Wahlausgang in einem Bonner Fernsehstudio. Bei den Wahlen zum 9. Deutschen Bundestag am 5. Oktober 1980 wurde die Regierungskoalition aus SPD/FDP bestätigt. Sie erreichten 42,9 (SPD) und 10,6 (FDP) Prozent der Stimmen. Die CDU/CSU mußte Verluste hinnehmen und kam zusammen auf 44,5 Prozent.
© dpa

Aber Strauß hat seine Macht auch sehr gezielt eingesetzt.
Natürlich. Das Machtmittel „Ohne mich geht's nicht“ setzte er während der Koalitionsverhandlungen ein. Er kam mit der Maxhütte, mit dem Rhein-Donau-Kanal, hat gefochten wie ein Löwe. Er hat Genscher gesagt, wenn er eine Koalition wolle, müsse er regionale Wünsche akzeptieren.

Man könnte es auch Erpressung nennen.
Das ist Machtpolitik, und Strauß hat es spektakulär verstanden, sie für sich und Bayern zu nutzen. Er wollte diese Aufholjagd unbedingt: vom schwächsten zum stärksten Bundesland.

Die Kehrseite dieser Medaille ist, dass große Unternehmen wussten, wie sehr sich Strauß für sie einsetzen würde. Siebenmorgen weist nach, wer in den 60er Jahren alles für die Scheinfirma Eureco, deren Gesellschafter Strauß und seine Frau Marianne waren, Geld für angebliche Beratung gezahlt hat: Maxhütte, BMW, Daimler-Benz, Flick, Bertelsmann, Kirch.
Im aktuellen Bundestag haben 156 Abgeordnete Einkünfte aus Nebentätigkeiten. Viele sind beratend tätig. Bei Strauß soll das 50 Jahre später skandalisiert werden.

Gut, aber Sie können es jetzt beurteilen.
Ich lese da, es war juristisch alles korrekt, das Geld wurde angegeben und versteuert.

Es gab Geld für angebliche Beratung. Legal war das, aber politisch mehr als anrüchig. Es gab auch Sonderkonten, schwarze Kassen, die von Strauß' Schwester beaufsichtigt wurden. Das Geld für die Firma war Geld für die Familie Strauß, das Sonderkonto war Geld für die CSU.
Ich halte mich an den renommierten Historiker Professor Möller, der in seiner Strauß-Biografie zu anderen Ergebnissen kommt: Sonderkonten gab es in allen Parteien, und sie waren auch nicht per se illegal. Die Parteiengesetze, die Offenlegungspflichten auch der einzelnen Abgeordneten waren nicht wie heute.

Ist das eine Entschuldigung?
Ich bitte Sie, es ist nun mal Realität, dass diese heutigen Maßstäbe damals in den 60er Jahren nicht galten, in allen Parteien nicht.

Hat Kohl in dieser Hinsicht, was die schwarzen Kassen angeht, von Strauß gelernt.
Unsinn.

War Strauß korrupt?
Das schließe ich aus. Korruption ist übrigens ein juristisch klar definierter Tatbestand, wir sollten da alle sehr vorsichtig sein. Der „Spiegel“ hat jüngst in seiner Überschrift vom korrupten Strauß geschrieben. Im Text heißt es: Korruption im strafrechtlichen Sinne war es nicht. Also, was jetzt?

Lesen Sie, was Stoiber über den Alkoholkonsum von Strauß sagt

Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß unterhält sich am 9. November 1962 im Bundestag in Bonn mit Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) während der Debatte. Am 9. November 1962 fand die dritte "Spiegel-Debatte" im Deutschen Bundestag statt. Der am 8. Oktober 1962 im "Spiegel" veröffentlichte Artikel "Bedingt abwehrbereit" von Conrad Ahlers führte zur Durchsuchung der Verlagsräume der "Spiegel"-Redaktionen in Hamburg und Bonn und zur Verhaftung mehrerer Personen, unter anderem "Spiegel"-Herausgeber Rudolf Augstein und Chefredakteur Claus Jacobi, wegen "Landesverrats". Die Anschuldigungen erwiesen sich als haltlos, Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß verlor sein Amt.
Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß unterhält sich am 9. November 1962 im Bundestag in Bonn mit Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) während der Debatte. Am 9. November 1962 fand die dritte "Spiegel-Debatte" im Deutschen Bundestag statt. Der am 8. Oktober 1962 im "Spiegel" veröffentlichte Artikel "Bedingt abwehrbereit" von Conrad Ahlers führte zur Durchsuchung der Verlagsräume der "Spiegel"-Redaktionen in Hamburg und Bonn und zur Verhaftung mehrerer Personen, unter anderem "Spiegel"-Herausgeber Rudolf Augstein und Chefredakteur Claus Jacobi, wegen "Landesverrats". Die Anschuldigungen erwiesen sich als haltlos, Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß verlor sein Amt.
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Ist das nicht Haarspalterei?
Nein. Es geht um die historische Wahrheit. Der „Spiegel“ hat zwei Grundvorwürfe fünf Jahrzehnte lang suggeriert: Erstens, Strauß hat das Parlament belogen, einer der schwerwiegendsten Vorwürfe, die man einem Politiker machen kann, und deshalb musste er zurücktreten. Zweitens, Strauß habe aus politischen Gründen die Verfahren gegen die Redakteure angeordnet. Im „Spiegel“ vor 14 Tagen wird festgehalten, er habe den Bundestag nicht belogen, sondern sei an der Lüge vorbeigeschrammt. Und die Ermittlungen liefen bereits.

Was heißt das für Sie?
Ich will es nur erklären: Die „Spiegel“-Affäre hat Strauß getroffen wie später der Tod seiner Frau. Beide Ereignisse haben ihn nachhaltig erschüttert. Immer wieder hat er, wenn es um die Affäre ging, seine Sicht ausführlich erläutert. Diese, aus seiner Sicht, Unrechtsbehandlung war ein großes Problem für ihn.

Alkohol war auch ein Problem. Das wissen wir nun auch aus den Kalendernotizen seiner Frau. Offenbar war es die Ausnahme, dass er nicht betrunken, „illuminiert“, wie Marianne Strauß schreibt, von Bonn ins heimische Rott kam.
Auch da wird aus einigen Notizen ein Gesamtbild konstruiert. Richtig ist: Diese Politikergeneration, die aus dem Krieg gekommen ist, hat anders als heute weder auf ihren Alkoholkonsum noch aufs Gewicht und auch nicht auf die übrige Gesundheit geachtet.

Es war keine Sucht, kein verzweifeltes Ablenken vom schweren politischen Alltag?
Es war bei ihm mit Sicherheit keine Sucht. Nochmal: Es ist damals mehr geraucht, mehr gegessen und auch mehr gesoffen worden.

Hat Sie, den Asket, das nicht angewidert?
Er hat gesessen, bis in die Nacht, manchmal zwei oder drei Uhr, und es wurde auch Alkohol getrunken, aber um sieben Uhr war er wieder fit auf der Matte. Das hat mich beeindruckt.

Was fehlt Politikern, was Strauß hatte?
Strauß war leidenschaftlich und emotionsreich. Heute versuchen die Politiker, ihre Emotionen sehr stark zu kontrollieren, und wenn es mal ausbricht, ist es eher ein Problem. Sie wollen heute immer cool bleiben, ganz sachlich. Das ist ein Kennzeichen der Politik und sicher auch ein Qualitätsmerkmal.

Kein Aber…
Doch. Denn so wird Politik auch langweiliger. Wenn sie den Bauch heute nicht mehr erreichen wollen oder können, dann macht sich das bemerkbar. Politik kommt dann an viele Menschen nicht mehr ran, Politik darf nie nur sachlich sein, es geht auch um Verknappung, Zuspitzung, kurz: Wir brauchen mehr Emotionen in der Politik.

Die großen Auseinandersetzungen, Gut und Böse, sind vorbei.
Das stimmt. Aber wir haben auch verlernt, leidenschaftlich miteinander zu ringen, um den richtigen Weg, die richtige Entscheidung. Das zähe, harte Ringen ist ein Wesen der Demokratie.

Peter Siebenmorgen, der Journalist und Politikwissenschaftler, hat ein fast 800 Seiten umfassendes Buch über Franz Josef Strauß auf den Markt gebracht.
Peter Siebenmorgen, der Journalist und Politikwissenschaftler, hat ein fast 800 Seiten umfassendes Buch über Franz Josef Strauß auf den Markt gebracht. Siebenmorgen hat auch für den Tagesspiegel gearbeitet.
© dpa

Strauß war Soldat, aber er und sein Elternhaus hielten stets Distanz zu den Nazis. Hat er vom Krieg erzählt?
Ja. Immer wenn es zu Grenzsituationen kam, zum Beispiel nach dem Tod seiner Frau im kleinen Kreis. Auch als wir beide 1979 zusammengesessen und auf das Ergebnis gewartet haben, ob Albrecht oder Strauß Kanzlerkandidat wird, war es so. Es waren persönliche Geschichten über den Soldaten Strauß.

Was hat der Krieg aus ihm gemacht?
Er war geprägt davon, ganz klar. Aber er war auch ein freier Mann, weil er sich in diesem Krieg und in Bezug auf die Nazis nichts vorzuwerfen hatte. Strauß kommt aus einer Handwerksfamilie, dann studiert er als bester Abiturient Bayerns, diskutiert später auf Augenhöhe mit Nobelpreisträgern und den renommiertesten Wissenschaftlern. Er war ein Intellektueller – aber immer war er auch der volksnahe Sohn des Metzgermeisters.

Der Autor des Interviews ist Redakteur für besondere Aufgaben im Tagesspiegel. Im letzten Jahr erschien auf der Reportageseite Die Dritte Seite sein großes Porträt über Edmund Stoiber und seinen Europagedanken. Folgen Sie Armin Lehmann auch auf Twitter.

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