Debatte um Israels Armee: Heftiger Streit nach gezielter Tötung eines Palästinensers
Die gezielte Tötung eines verletzten palästinensischen Attentäters durch einen israelischen Soldaten hat in Israel eine heftige Kontroverse ausgelöst.
Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu hat am Sonntag Zweifel am Ethos der Streitkräfte seines Landes zurückgewiesen. Er reagierte damit auf eine heftige Debatte, die von der offensichtlichen Hinrichtung eines verletzten palästinensischen Attentäters durch einen später hinzugekommenen israelischen Soldaten ausgelöst worden war. Rechtsradikale Politiker und ihre Anhänger setzten sich für den Schützen ein, dessen Tat von der Armeeführung und Bürgerrechtlern scharf verurteilt wurde.
Während Netanjahu kurz nach dem Vorfall am Donnerstag noch selbst von einem Verstoß gegen die Einsatzregeln gesprochen hatte, ruderte er am Sonntag angesichts der rechten Proteste zurück: "Jegliches Anzweifeln der Moral unserer Armee ist empörend und inakzeptabel", sagte er zu Beginn einer Kabinettssitzung.
Von einem Anwohner gedrehte Videoaufnahmen des Vorfalls in Hebron, im Süden des besetzten Westjordanlands, wurden online verbreitet und lösten eine erbitterte Debatte über die Verhältnismäßigkeit des Vorgehens von israelischen Sicherheitskräften nach Messerangriffen aus. Es zeigte wie der 21-jährige Palästinenser, der zuvor gemeinsam mit einem Komplizen einen Soldaten attackiert und leicht verletzt hatte, zehn Minuten lang angeschossen auf der Straße lag. Dann schoss ihm ein hinzugekommener Militärsanitäter ohne ersichtlichen Grund in den Kopf.
Der Todesschütze war noch am Tatort unter Mordverdacht festgenommen worden; seine Untersuchungshaft wurde am Wochenende bis mindestens Freitag verlängert. Sarit Michaeli, Sprecherin der israelischen Bürgerrechtsgruppe B'Tselem, die das Video veröffentlichte, nannte das Vorgehen eine "Exekution". Der örtliche UN-Koordinator Nickolay Mladenov bezeichnete die Tat als "grausam, unmoralisch und ungerechtfertigt".
Auch der israelische Verteidigungsminister Mosche Jaalon und Generalstabschef Gadi Eisenkot sicherten zu, der Fall werde "mit äußerster Strenge" untersucht. Das rief am Sonntag rechtsradikale Politiker, darunter Bildungsminister Naftali Bennett, Chef der Siedlerpartei Jüdisches Heim, auf den Plan, die den Beschuldigten in Schutz nahmen.
Bennett übernahm die Verteidigungslinie der Anwälte des Schützen, die vorgaben, dieser habe geglaubt, der angeschossene Attentäter habe vielleicht einen Sprengstoffgürtel getragen. "Er ist kein Mörder. Wir sind im Krieg, einem Krieg gegen brutalen Terror", schrieb er am Sonntag auf seiner Facebookseite. Die ersten Ermittlungsergebnisse ergaben allerdings, dass ein Truppführer den Verletzten bereits untersucht hatte und klar war, dass er ungefährlich war. Andere Soldaten und ein Kommandeur sagten zudem laut israelischem Armeeradio aus, der Schütze habe vor und nach der Tat erklärt, "der Terrorist verdient es, zu sterben".
Im Raum Tel Aviv tauchten am Wochenende hunderte Plakate auf, die den Rücktritt von Generalstabschef Eisenkot forderten, der Jaalon und Netanjahu gleich mitnehmen solle. In den vergangenen sechs Monaten haben Palästinenser mehr als 300 Anschläge auf Israelis verübt, zumeist mit Stichwaffen. Zahlreiche Angreifer wurden am Tatort erschossen.
In mehr als einem Dutzend Fällen wurde den israelischen Sicherheitskräften eine unverhältnismäßige Gewaltanwendung gegen bereits kampfunfähige Palästinenser vorgeworfen. Sofern in solchen Fällen Untersuchungen eingeleitet wurden, führten sie in Israel bislang zu keinen Beschuldigungen wegen Fehlverhaltens. (AFP)