Wer will was im Corona-Schulstreit: Heftige Diskussion über Maskenpflicht im Unterricht
Nur in NRW ist die Maske im Unterricht Pflicht, doch das könnte sich ändern. Währenddessen wehren sich Schulleiter, Schüler wollen mehr Pausen – ohne Maske.
Angesichts steigender Corona-Zahlen rücken mögliche strengere Maskenvorschriften in Schulen in den Blickpunkt. Die Debatte über die Einführung einer solchen Vorschrift für den Unterricht wird immer heftiger geführt.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte im Deutschlandfunk, er werde sich für eine einheitliche Maskenpflicht einsetzen. „Wir müssen sogar überlegen, ob wir die Maskenpflicht an einigen Stellen jetzt gerade noch einmal in den nächsten ein, zwei Monaten vielleicht noch verstärken können.“
Wenn das obligatorische Tragen von Masken im Unterricht dazu führe, die Schließung der Schulen zu umgehen, solle man darüber nachdenken, meint auch CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer. „Die Erfahrungen in Nordrhein-Westfalen scheinen nicht so schlecht zu sein.“
NRW ist bisher das einzige Bundesland, das eine Maskenpflicht im Schulunterricht eingeführt hat. Vorerst bis Ende des Monats müssen Schüler ab der fünften Klasse auch am Platz im Klassenraum Mund-Nasen-Schutz tragen. Eine solche Anordnung hatte zuletzt auch Offenbach in Hessen wegen erhöhter Ansteckungszahlen getroffen.
Ansonsten beschränkt sich die Maskenpflicht an den Schulen in Deutschland bisher vorwiegend auf Bereiche außerhalb des Klassenzimmers. Nicht ohne Grund: Schüler, Eltern- und Lehrervertreter machen teils heftig Front gegen strenge Vorgaben - und auch die Justiz ist skeptisch. Ein Überblick.
Maskenpflicht im Unterricht: Das sagt die Justiz
Ein Gerichtsurteil in NRW zeigt, wie heikel eine Maskenpflicht im Unterricht juristisch sein kann. Denn wie geht man mit Maskenverweigerern um?
Zwei nordrhein-westfälische Schüler, die das Tragen einer Gesichtsmaske im Klassenzimmer verweigerten, dürfen nicht dauerhaft vom Unterricht ausgeschlossen werden, so das Urteil. Zwar hätten die Schüler die bestehende Corona-Betreuungsverordnung verletzt, urteilte das Verwaltungsgericht Düsseldorf am Dienstag im Eilverfahren. Jedoch enthalte die Verordnung keine Ermächtigung der Schule, Schüler mit einem Unterrichtsausschluss zu bestrafen.
Auch auf der Grundlage des Schulgesetzes von Nordrhein-Westfalen könnten die Schüler nicht einfach vom Unterricht ausgeschlossen werden, weil sie Mund und Nase nicht bedecken wollten. Das Schulgesetz erlaube dies nur dann, wenn eine konkrete Gesundheitsgefahr für andere bestehe, zum Beispiel durch eine akute Infektion.
Grundsätzlich sei ein Unterrichtsausschluss wegen einer sogenannten Pflichtverletzung zwar möglich, urteilte das Gericht. Dies gelte jedoch nur für einen konkreten Zeitraum zwischen einem Tag und zwei Wochen. Die Schulleitung müsse den Ausschluss in solchen Fällen zudem hinreichend begründen. Das sei im Fall der beiden Schüler nicht der Fall gewesen.
Einem Antrag der Schüler, sie von der Maskenpflicht zu befreien, gab das Verwaltungsgericht nicht statt. Hierfür fehle ein nachvollziehbarer gesundheitlicher Hinweis durch einen Mediziner. Ein solches Attest konnten die Schüler weder in der Schule noch vor Gericht vorlegen.
In Hamburg lehnte das Verwaltungsgericht einen Eilantrag ab – dabei wollten die Antragsteller eine strengere Maskenpflicht erwirken. Sie forderten, dass Schüler und Lehrer auch im Unterricht und nicht nur auf den Fluren und in der Pause Masken tragen sollen. Das Verwaltungsgericht Hamburg konnte jedoch nicht feststellen, dass der Staat seine Schutzpflicht verletzen würde, und lehnte den Antrag ab.
Zudem hätten die Antragsteller nicht zureichend dargelegt, warum das Tragen eines Mund-Nasenschutzes im Unterricht unerlässlich sein sollte.
Was sagen die Lehrkräfte und Schulleiter?
Rund 97 Prozent der Lehrkräfte in NRW haben normalen Unterricht vor Ort erteilen können. 524 Lehrer hätten sich in Quarantäne befunden, bei 30 sei bis Mitte vergangener Woche eine Corona-Infektion bestätigt worden, wie aus einer Umfrage des Schulministeriums hervorgeht.
Der Lehrerverband Bildung und Erziehung hatten zum Schulstart grundsätzlich Verständnis geäußert, dass NRW versuche, mit Maskenpflicht den Schritt zurück ins Schulleben zu wagen. Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger ging noch weiter: Er nannte die Maskenpflicht in Klassenzimmern unabdingbar. „Wer vollen Unterrichtsbetrieb will, kommt an der Maskenpflicht nicht vorbei“, sagte Meidinger der „Passauer Neuen Presse“ zu Beginn des neuen Schuljahres.
„Die Maßnahme ist ganz bewusst vorerst bis Ende August befristet, um bis dahin zu entscheiden, ob die tatsächlich weiterhin nötig sein wird“, erklärte das Schulministerium. Es reagierte mit der Zwischenbilanz zwei Wochen nach dem Ende der Sommerferien auf drastische Kritik der Schulleitungsvereinigung (SLV) NRW.
Dennoch könnte das Landeskabinett die Maskenpflicht noch ausweiten: Nach Gesprächen mit Schüler-, Lehrer- und Elternvertretern will die Landesregierung entscheiden, ob die Maskenpflicht für ältere Kinder im Unterricht verlängert wird.
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Die Schulleitungsvereinigung hatte in einem Offenen Brief an den Ministerpräsidenten kritisiert, unter den gegebenen Bedingungen könne „gar kein normaler Unterricht stattfinden“. Das Schulministerium ignoriere die Voraussetzungen vor Ort - etwa Fenster, die sich in manchen Klassenzimmern gar nicht zum Lüften öffnen ließen.
Drei Schulleitungsverbände distanzierten sich am Dienstag aber ausdrücklich von der „Pauschalkritik“ des SLV.
Das Schulministerium habe „in den coronabedingten Ausnahmezeiten seit März 2020 keineswegs „unreflektiert und oberflächlich“ entschieden und gehandelt“, hielten die Schulleitungsvereinigung der Gesamtschulen in NRW sowie die Rheinische und die Westfälisch-Lippische Direktorenvereinigung in einem eigenen Brief an den Ministerpräsidenten und die Schulministerin dagegen.
Der Vorsitzende des SLV habe fälschlicherweise den Eindruck erweckt, für alle Schulleitungsverbände zu sprechen, kritisierte der Sprecher der Gesamtschulleitervereinigung, Mario Vallana. In dem Brief der drei vom SLV abgerückten Verbände heißt es: „Die aktuell gegebenen schulpolitischen Rahmensetzungen sind richtig, angemessen - und im engen Austausch aller Beteiligten abgestimmt worden.“
Was sagen die Schüler?
Die Landesschülervertretung äußerte zum Schulstart ebenfalls Verständnis für die Maskenpflicht im Unterricht – trotz der „Konzentrationsschwierigkeiten, der Kosten und auch Kommunikationsprobleme, die mit einer Maskenpflicht im Unterricht einhergehen“. Die Regelung sei „unabdingbar“, um den Unterricht zu sichern.
Doch um den Unterricht im Sommer in stickigen und heißen Schulgebäuden erträglicher zu gestalten, fordert die Schülerinnenvertretung mehr Pausen – ohne Maske. Die Schülerinnen und Schüler wünschen sich angesichts der Situation zudem mehr Kreativität von den Lehrkräften: Sie sollen das Schulgebäude häufiger mit den Klassen verlassen, und Exkursionen statt herkömmlichen Unterrichts anbieten.
Zudem fordert die Schülervertretung mehr hitzefrei für alle Stufen und kostenfreie Masken für Schülerinnen.
Was sagen die Eltern?
Bereits am ersten Schultag in NRW klagten die ersten Eltern gegen die Maskenpflicht im Unterricht. Eltern in Berlin hingegen haben kurz vor dem Start ins neue Schuljahr die Pflicht im Klassenzimmer gefordert, doch die Bildungssenatorin Sandra Scheeres lehnte dies ab. "Gegen eine Maskenpflicht im Unterricht sprechen sich auch Kinderärzte und Kinderpsychologen aus", so das Argument.
Elternausschüsse in Berlin äußerten hingegen Sorge „um eine akut höhere Infektionsgefahr“, besonders durch Reiserückkehrer nach den Sommerferien.
Was sagt die Politik?
Nach Kritik an der Regelung verteidigt Ministerpräsident Laschet (CDU) das Vorgehen. „Wir müssen gerade in diesen Tagen besonders vorsichtig sein“, sagt er. „Die Pandemie ist längst noch nicht vorbei.“
Auch der nordrhein-westfälische Schulstaatssekretär steht hinter der Maskenpflicht im Unterricht. Wegen der gemeinsamen Vorbereitungen sei „der Schulstart gut gelungen“, unterstrich Richter.
Das Recht der Schüler auf Bildung werde mit dem Gesundheitsschutz aller am Schulleben Beteiligter in Einklang gebracht. Das Ziel, trotz Corona möglichst vollständig zum normalen Unterricht zurückzukehren, sei kein NRW-Alleingang, sondern werde von allen 16 Bundesländern verfolgt.
So sagte zum Beispiel auch der Münchener Landkreispräsident Christian Bernreiter, er sehe keine Alternative zur Maskenpflicht im Unterricht. „Wir sind vorbereitet, aber der Vollbetrieb wird eine Herausforderung aufgrund der räumlichen Situation. An der Maskenpflicht im Unterricht wird deshalb kein Weg vorbeiführen“, sagte der CSU-Politiker dem „Münchner Merkur“.
Bernreiter plädiert für bundesweit einheitliche Regelungen in der Corona-Krise. „In den vergangenen Wochen gab es ja eher einen Überbietungswettbewerb bei den Lockerungen“, kritisierte er im Gespräch mit der Zeitung. „Wir müssen jetzt alle demokratischen Kräfte bündeln und nicht so einen Vorwahlkampf führen. Ein zweiter Lockdown wäre fatal für unser Land, das müssen wir unbedingt verhindern.“
Linken-Parteichefin Katja Kipping forderte derweil zur Verhinderung von Corona-Infektionen in Schulen die Bereitstellung von geeigneten Luftfiltern. "Schulen, Büros und Gastronomiebetriebe müssen vor dem Winter Luftfilter zur Verfügung haben, die Aerosole mit Corona-Viren sicher aus der Luft filtern können", sagte Kipping dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Die Bundesregierung müsse dringend die ausreichende Verfügbarkeit solcher Filteranlagen sicherstellen.
"Wir brauchen ein Bundesprogramm zur Bereitstellung von Luftfiltern für Schulen und andere öffentliche Einrichtungen", forderte Kipping. "Der Schulbetrieb in Klassenzimmern mit geschlossenen Fenstern wäre unverantwortlich."
Wie ist der wissenschaftliche Stand?
Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina in Halle veröffentlichte eine Stellungnahme zur Maskenpflicht an Schulen, an der auch Chef-Virologe Christian Drosten beteiligt war. Darin hieß es, es müsse verhindert werden, dass Schulen und Kitas ganz schließen müssten.
Deshalb empfahlen die Wissenschaftler das Tragen von Masken im Unterricht, besonders, wenn kein ausreichender Abstand möglich sei. „Überall, wo es umsetzbar ist“ sollten zudem kleine, feste Kontaktgruppen eingerichtet werden. Im Fall eines Corona-Ausbruchs in einer Kontaktgruppe, müsste nur diese in Quarantäne. (mlk, AFP, dpa)
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