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Grünen-Abgeordnete Franziska Brantner und der FDP-Parlamentarier Otto Fricke ; fotografiert beim Streitgespräch über Europa im Bundestagsbüro von Frau Brantner, Unter den Linden 50 in Berlin-Mitte.Foto: Thilo Rückeis
© Thilo Rückeis

Streitgespräch über Europa: "Haushalt für die Euro-Zone wäre sinnvoll" - "Das ist das alte Schema"

Die Grünen-Europaexpertin Franziska Brantner und der FDP-Haushaltsfachmann Otto Fricke haben unterschiedliche Auffassungen zu Macrons EU-Plänen und zur Lage in Italien. Im Streitgespräch erklären sie, warum.

Frau Brantner, Herr Fricke, welche persönlichen Erfahrungen verbinden Sie mit Europa?

BRANTNER: Ich bin in einer deutsch-französischen Grenzregion in Baden-Württemberg aufgewachsen. Von Neuenburg am Rhein bin ich mit dem Bus nach Freiburg zum deutsch-französischen Gymnasium gefahren. Das war ein Militärbus, der zur französischen Garnison in Müllheim gehörte. Die Grenzkontrollen zwischen Deutschland und Frankreich, die ich als Kind noch erlebt habe, gibt es nicht mehr. Aus der französischen Garnison in Müllheim ist die deutsch-französische Brigade geworden. In Frankreich, wo ich studiert habe, habe ich bis heute viele Freunde. Von daher bedeutet Europa auch viel Lebensgefühl für mich.

FRICKE: Ich bin ein bekennender Niederlande-Fan. Am Niederrhein, wo ich herkomme, gab es eine offene Grenze. Die Niederlande gehörten damit einfach zu meiner Umwelt dazu. Im Fernsehen konnte man als Jugendlicher die amerikanischen Serien im Original mit niederländischen Untertiteln anschauen. Später, in meiner Zeit bei der Bundeswehr, war ich drei Monate lang im niederländischen Budel stationiert.

Frau Brantner, Sie unterstützen die Forderung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, einen gemeinsamen Haushalt für die Euro-Zone einzurichten. Warum?

BRANTNER: Wir Grüne teilen nicht alles, was Macron sagt. Aber ein Haushalt für die Euro-Zone und alle, die mitmachen wollen, wäre sinnvoll. Er soll unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklungen in der Währungsunion abfedern und stabilisieren, damit die Währungsunion nicht in schlimme Notlagen kommt. Um es gleich vorweg zu sagen: Die Sorge, dass sich Frankreich damit einen Vorteil auf Kosten Deutschlands verschafft, ist unbegründet. In ein gemeinsames Budget würde Frankreich ja auch einzahlen. Wenn Deutschland zahlt, zahlt Frankreich auch immer.

FRICKE: Das hängt von der jeweiligen Konstruktion ab. Die FDP lehnt ein eigenes Budget für die Euro-Zone allein schon deshalb ab, weil die Frage der parlamentarischen Kontrolle eines solchen Etats nicht geklärt ist. Wenn ein eigenes Parlament für die Euro-Zone, wie es Macron bereits ins Spiel gebracht hat, über die Gelder entscheiden würde, dann würden die Stimmen der Vertreter aus Luxemburg darin mehr wiegen als die Stimmen der Deutschen. Das ist das alte Schema, und das kann nicht funktionieren. Hinzu kommt: Wir haben doch schon genügend Instrumente, mit denen wir einzelne Länder unterstützen können: unter anderem den Haushalt der Europäischen Union und den Euro-Rettungsschirm ESM. Wir können gerne darüber reden, ob der ESM zu einem Europäischen Währungsfonds weiterentwickelt wird und künftig im Krisenfall einzelner Länder früher eingreift als bisher.

BRANTNER: Das Problem ist, dass wir nie in eine inhaltliche Diskussion über den Euro-Zonen-Haushalt kommen, weil Parteien wie eure da sofort das Etikett „Transferunion“ draufkleben. Wir wollen übrigens eine Kontrolle durch das Europaparlament. Es geht aber um etwas anderes: Macron will mit einem gemeinsamen Haushalt für die Euro-Zone beispielsweise gemeinsame Aufgaben wie den Grenzschutz oder Investitionen in Klimaschutz fördern.

FRICKE: Diese Aufgaben unterstützen wir ja auch, aber sie müssen nicht aus einem gemeinsamen Haushalt für die Euro-Zone finanziert werden. Ich habe den Verdacht, dass es bei der ganzen Diskussion um den eigenen Etat für die Euro-Zone darum geht, mehr Einnahmen zu schaffen. Eine weitere Ebene für neue Steuern und Steuererhöhungen darf es aber nicht geben.

BRANTNER: Was Macron für die Einnahmeseite vorschlägt, ist doch sehr intelligent. Beispielsweise will er eine Kohlendioxid-Steuer. Gleichzeitig geht es ihm um eine Harmonisierung der Körperschaftssteuer, was zu einer gleichen, aber fairen zwischenstaatlichen Wettbewerbssituation führen würde. Das müsste eigentlich unser gemeinsames Interesse sein. Grundsätzlich geht es doch bei dieser ganzen Diskussion um Folgendes: Unsere gemeinsame Währung ist gewissermaßen unser gemeinsames Haus. Aber dieses gemeinsame Haus ist einfach nicht für den nächsten Sturm gerüstet. Ein Haushalt für die Euro-Zone soll gemeinsame europäische Aufgaben finanzieren und Ungleichgewichte beseitigen. Es geht um Solidarität unter den Mitgliedstaaten, und die ist nun mal innerhalb einer Währungsunion notwendiger als ohne.

FRICKE: Bei euch Grünen ist Solidarität ein durchgehend positiv besetzter Begriff. Solidarität hört sich ja auch immer gut an. Aber die Gefahr besteht darin, dass mit diesem Begriff einseitig der Anspruch auf immer weitere und immer höhere Leistungen verbunden wird, ohne dabei über den notwendigen eigenen Beitrag nachzudenken.

BRANTNER: Wir Grünen haben immer von Solidarität und Solidität gesprochen. Man kann meinetwegen auch den Begriff der Fairness verwenden. Aber wir müssen nicht auch noch das Image der Deutschen, die nur Erbsenzählerei betreiben, weiter stärken. Es geht nicht darum, einfach einen Blankoscheck beispielsweise nach Italien zu geben. Derartige Vereinfachungen ärgern mich.

FRICKE: Das macht die FDP aber auch nicht.

BRANTNER: Doch. FDP-Chef Lindner hat neulich davon gesprochen, dass Kanzlerin Merkel den französischen Präsidenten Macron in dem Glauben gelassen habe, dass sie „auf einen mediterranenen Kurs einschwenkt“ sei.

FRICKE: Hier geht es um Kommunikation und die passenden Formulierungen, nicht um Vereinfachungen. Aber wenn wir schon bei solchen Begrifflichkeiten sind: Ich halte auch nichts davon, wenn uns immer das Etikett der Neoliberalen umgehängt wird. Wir beide kennen ja Freiburg gut – eine Stadt, mit der sich die Freiburger Schule des Ordoliberalismus verbindet. Ich darf einmal daran erinnern, dass die Neoliberalen die sozial Verantwortlichen sind. Wir Liberalen sagen: Wir müssen erst einmal ein paar Dinge klarstellen, damit wir innerhalb der Europäischen Union helfen können. Und andere sagen: Wir müssen helfen, und erst dann wird sich ein vernünftiger Weg finden.

BRANTNER: Und wir sagen: Wir müssen in Europa gleichzeitig Regeln beachten und auch Hilfe leisten. Aber man kann doch den schwächeren Ländern in der EU nicht mit der Forderung entgegentreten: Ihr müsst erst komplett reformieren, vorher gibt es keine Hilfen. Eine derart starre Haltung führt dazu, dass keiner den ersten Schritt macht.

Was Brantner und Fricke über die Regierungsbildung in Rom denken

Im Fokus. Der Vorsitzende der Fünf-Sterne-Bewegung, Di Maio, verlässt nach einem Treffen mit Lega-Chef Salvini das Parlament.
Im Fokus. Der Vorsitzende der Fünf-Sterne-Bewegung, Di Maio, verlässt nach einem Treffen mit Lega-Chef Salvini das Parlament.
© imago/ZUMA Press

Italien könnte zum nächsten Sorgenkind in der Euro-Zone werden. Wäre es nicht ein Fehler, angesichts der designierten Regierung in Rom, bestehend aus Links- und Rechtspopulisten, auch noch neue Finanztöpfe in Europa aufzumachen?

BRANTNER: Im Gegenteil. Italien ist ein klassisches Beispiel dafür, was passiert, wenn ein Land über Jahre hinweg Reformen durchführt, ohne dabei die Solidarität anderer europäischer Mitgliedstaaten zu erfahren. Zu Beginn dieses Jahrzehnts hat der damalige Regierungschef Mario Monti Reformen durchgeführt und gleichzeitig einen Sparkurs exerziert, der zur Rezession geführt hat. Das hat langfristig zu einer Enttäuschung bei den Italienern geführt, die jetzt in eine pan-populistische Allianz aus der Lega und der Fünf-Sterne-Bewegung mündet. Angesichts der fehlenden Investitionen in der Vergangenheit ist es kein Wunder, dass sich die beiden Parteien in erster Linie darin einig sind, das „Finanzdiktat des Euro“ zu beenden. Solche Entwicklungen zeigen uns, dass wir in der Euro-Zone nicht so weiter vor uns hinwursteln können wie bisher. Wenn wir nicht bald handeln, zerbröselt uns das Ganze.

FRICKE: Ich bin nicht einverstanden. Tatsächlich ist Monti seinerzeit auch gescheitert, weil er an den falschen Stellen Kürzungen vorgenommen hat. Es ist aber grundsätzlich falsch, angesichts von Problemen, wie sie Länder wie Italien haben, als Erstes mehr Geld ins Schaufenster zu stellen. Der erste Schritt muss in Strukturreformen liegen. Die Erfahrung in Ländern wie Spanien hat gezeigt, dass es darum geht, genau zu schauen, in welchen Bereichen über die Verhältnisse gelebt worden ist – nicht in den Privathaushalten wohlgemerkt, sondern im gesamten Staat. Das bedeutet: Zunächst muss im Krisenfall der Blick darauf gerichtet werden, auf welche Ausgaben der Staat verzichten kann.

BRANTNER: Niemand will Geld ins Schaufenster stellen. Aber der Wohlstand in Deutschland ist nicht nachhaltig, wenn es den anderen Ländern in der EU nicht ebenfalls wirtschaftlich gut geht. Als Exportnation profitieren wir davon, wenn wir verhindern, dass andere Länder in der Europäischen Union zurückfallen. Leider läuft die Diskussion in Deutschland gelegentlich in eine ganz andere Richtung. Hierzulande wird manchmal der Eindruck vermittelt, dass Europa nur zu dem Zweck bestehe, um den Deutschen das Geld wegzunehmen. Das ist aber eine grobe Fehleinschätzung.

Herr Fricke, Sie haben sich zu Beginn des Streitgesprächs als Niederlande-Fan geoutet. In der Europapolitik gibt es derzeit so einiges, was die FDP mit den Niederlanden verbindet. Der niederländische Premier Mark Rutte ist gegen eine Erhöhung des Beitrages seines Landes zur EU, und auch die FDP wendet sich gegen eine Aufstockung deutscher Zahlungen. Warum?

FRICKE: Da bin ich ein typischer Haushälter. Wenn man erst einmal sagt, dass mehr Geld da ist, dann findet man immer eine Begründung, wie man es ausgeben kann.

BRANTNER: Der pauschale Vorwurf, dass die EU in der kommenden Haushaltsperiode einfach nur mehr Geld will, ist nicht korrekt. Die EU-Kommission hat ja klar dargelegt, warum mehr Geld im Finanzrahmen zwischen 2021 und 2027 benötigt wird: In der Außen- und Sicherheitspolitik soll investiert werden, die Digitalisierung soll genauso vorangebracht werden wie eine ressourcenschonende Wirtschaft.

FRICKE: Insoweit einverstanden. Aber dafür muss das Agrarbudget stärker gekürzt werden, als es die Kommission vorgeschlagen hat. Die vorgesehenen Kürzungen im gesamten Agrarhaushalt belaufen sich, aufs Jahr gerechnet, gerade einmal auf 0,7 Prozent. Das ist zu wenig.

BRANTNER: Ja, an den Agrarhaushalt müssen wir ran, vor allem seine inhaltliche Ausrichtung.

Das Gespräch führte Albrecht Meier.

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