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Vor einem Jahr, am 20. Januar 2021, wurde Joe Biden als 46. Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt.
© Saul Loeb/Pool AFP/dpa

Bidens Jahresbilanz: Hat der US-Präsident zu viel versprochen?

Joe Biden überzeugt bisher nicht. Mehr als die Hälfte der Amerikaner ist unzufrieden. Was der Demokrat erreicht hat – und was nicht. Eine Bilanz.

Als Joe Biden am Donnerstag vor einem Jahr seine rechte Hand hob, um den Eid als neuer US-Präsident abzulegen, glich der Capitol Hill einer militärischen Sperrzone. Hohe Eisenzäune und tausende Sicherheitskräfte sicherten das Kapitol, in dem 14 Tage zuvor ein Mob getobt hatte. Anhänger von Donald Trump waren gewaltsam in das Kapitol eingedrungen, um den Kongress davon abzuhalten, Bidens Wahlsieg zu zertifizieren.

Als Joe Biden das Wort ergriff und versprach, das Land zu vereinen und ein Präsident „für alle Amerikaner“ sein zu wollen, meinte man, weltweit kollektives Aufatmen zu spüren. Nun werde Chaos und Willkür enden, die Pandemie endlich wirksam bekämpft und Amerika wieder zum verlässlichen Partner in der Welt.

Ein Jahr später fallen die Bilanzen – milde gesprochen – ernüchternd aus. Das Land wirkt gespaltener denn je, die Demokratische Partei ringt mit sich selbst, das Corona-Virus tobt weiter, während die Inflation Rekordstände erreicht und das Ansehen des 79-jährigen Präsidenten und seiner 57-jährigen Vizepräsidentin Kamala Harris in den Keller gefallen ist. Dazu kommen außenpolitische Fehler, die viele gerade von dieser Regierung nicht erwartet hatten.

Dabei lässt sich trefflich streiten: Hat Biden zu viel versprochen, ist er zu schwach oder ist jeder US-Präsident angesichts der gewaltigen Polarisierung der Gesellschaft zum Scheitern verurteilt? Oder versagt das Weiße Haus schlicht in der Vermarktung der Erfolge?

DIE UMFRAGEN

Vertraut man den Umfragen, so ist Bidens erstes Jahr im Weißen Haus eine Enttäuschung. Besonders eine Erhebung wie die der Quinnipiac University vor wenigen Tagen löste Schockwellen aus. In der bewerteten nur noch 33 Prozent die Arbeit des 46. US-Präsidenten positiv, 53 Prozent äußerten sich unzufrieden. Das war zwar ein Ausreißer nach unten.

[Mehr zum Thema: Ein Jahr nach dem Kapitol-Sturm - der Putsch-Versuch und die Gefahr für Trumps Ambitionen 2024 (T+)]

Aber auch im Durchschnitt der Umfrageseite Real Clear Politics sind 52,4 Prozent der Befragten unzufrieden mit seiner Arbeit und nur 41,7 Prozent heißen sie gut. Das erinnert an Trumps Werte (56,1 Prozent negativ, 41,1 Prozent positiv), während Barack Obama im vergleichbaren Zeitraum seiner ersten Amtszeit deutlich besser beurteilt wurde (57,2 positiv, 39,3 Prozent negativ).

Auch wenn Umfragen drehen können: In zehn Monaten werden die Wähler der Partei des Präsidenten bei den Kongresswahlen ein Zwischenzeugnis ausstellen. Derzeit spricht viel dafür, dass die Demokraten ihre Mehrheiten in Repräsentantenhaus und Senat verlieren.

DIE ERFOLGE

Als positiv muss sicherlich die Wiederauferstehung der USA als verlässlicher außenpolitischer Player auf der internationalen Bühne gelten. An Tag eins im Weißen Haus leitete Biden die Rückkehr der USA zum Pariser Klimaschutzabkommen von Paris ein und stoppte den Austritt des Landes aus der Weltgesundheitsorganisation.

Schnell reiste er nach Europa und gelobte eine Abkehr von der „America first“-Doktrin seines Vorgängers. Biden sieht das Erstarken autoritärer Staaten wie China und Russland als zentrale Herausforderung und arbeitet daran, den Westen dafür zusammenzubringen.

Die Demokraten verweisen zudem auf die wirtschaftliche Erholung, wenn sie die Errungenschaften der Biden-Regierung verdeutlichen wollen. Die Arbeitslosigkeit ist mit einer Quote von nur noch 3,9 Prozent fast wieder auf dem Niveau vor der Corona-Krise, gleichzeitig sind die Löhne gestiegen.

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Wenn sich Biden an diesem Mittwoch in einer seiner seltenen Pressekonferenzen den Fragen der Hauptstadt-Korrespondenten stellt, wird er ziemlich sicher auch schnell auf die billionenschweren Investitionspakete zu sprechen kommen, die er in seinem ersten Jahr durch den Kongress gebracht hat: mehr als eine Billion Dollar für die marode Infrastruktur des Landes.

Das dritte Paket, der bereits auf 1,75 Billionen Dollar zurechtgestutzte „Build Back Better“-Plan für Klimaschutz und Soziales, hängt indes im Kongress fest – und hier beginnen die Schwierigkeiten.

DIE PROBLEME

Ausgerechnet die letzte Woche vor Bidens Amtsjubiläum offenbarte stärker als die 50 zuvor, wie begrenzt der Einfluss des amerikanischen Präsidenten ist – und vor welchen Herausforderungen er im zweiten Jahr steht. Obwohl Biden sein ganzes politisches Gewicht dafür einbrachte, für Wahlrechtsreformen zu werben, verweigern ihm zwei entscheidende Senatoren seiner eigenen Partei in dieser Frage die Gefolgschaft.

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Auch sein Erscheinen in der demokratischen Fraktion am vergangenen Donnerstag konnte Joe Manchin und Kyrsten Sinema nicht umstimmen. Bidens „Dealmaker“-Fähigkeiten sind offenbar doch nicht so groß.

Fast zeitgleich kassierte er zudem eine Niederlage vor dem Supreme Court. Das Oberste Gericht stoppte seine Impfpflicht für Unternehmen mit mehr als 100 Mitarbeitern. Immerhin: Die für Gesundheitsmitarbeiter, die staatlich finanziert werden, blieb bestehen.

Das unter Trump konservativer gewordenere Gericht wird ihm das Regieren aber auch in Zukunft erschweren – und die Pandemie ist noch lange nicht Geschichte.

In die Geschichte will sich auch Bidens Vorgänger einfach nicht einreihen: Dass Trump seine Partei zu mehr als zwei Dritteln hinter der „Big Lie“ der gestohlenen Wahl versammelt hat und seine Anhänger erfolgreich gegen Biden aufhetzt, macht es für diesen unmöglich, sein Land wie versprochen zusammenzuführen.

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In dieser Frage scheint Biden inzwischen zu kapitulieren. In seiner Rede zum Jahrestag des Kapitolsturms ging er Trump und die ihn unterstützenden Republikaner hart an. Kritiker werfen ihm vor, damit zu lange gewartet zu haben.

Auch wenn Biden nicht an allem schuld ist: Dass auch seine Regierung Fehler in der Pandemie macht, wirkt angesichts der großen Versprechen besonders schwer.

Ähnliches gilt für die Verbraucherpreise. Steigt die Inflationsrate wie zuletzt auf das höchste Niveau seit 40 Jahren, machen viele die amtierende Regierung dafür verantwortlich.

Und die Lage an der amerikanischen Südgrenze, wo Vizepräsidentin Harris eigentlich für Entspannung sorgen sollte, ist angesichts der hohen Migrationszahlen weiter dramatisch – auch das ein willkommener Anlass für die Republikaner, der Biden-Regierung Schwäche vorzuwerfen.

Außenpolitisch muss Biden damit leben, für das Chaos beim Afghanistan-Abzug verantwortlich zu sein. Er hatte den bedingungslosem Abzug der US-Truppen angeordnet, der die Taliban zurück an die Macht brachte. Dass sich Verbündete unzureichend informiert fühlten, hat dem Ansehen der USA geschadet. Wie erfolgreich Biden als internationaler Krisenmanager im Umgang mit autoritären Staaten wirklich ist, könnte sich schon bald in der Ukraine-Krise zeigen.

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