Koalitionskrise entschärft – vorerst: Haseloff kippt 86 Cent höheren Rundfunkbeitrag
Die CDU wird in Sachsen-Anhalt nicht mehr mit der AfD stimmen: Der Ministerpräsident zieht seinen Antrag für einen höheren Rundfunkbeitrag zurück.
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) zieht den Staatsvertrag zur Anhebung des Rundfunkbeitrags zurück. Das teilte die Staatskanzlei am Dienstag in Magdeburg vor der entscheidenden Abstimmung im Parlament mit.
Durch diesen Schritt hat der Landtag keine Entscheidungsgrundlage mehr. Das hat weitreichende Folgen: Ohne grünes Licht aus allen Ländern bis Jahresende tritt der Rundfunkstaatsvertrag samt Beitragsplus nicht in Kraft. Das Vorhaben, zu dem alle anderen Länder bereits ihre Zustimmung erteilt oder angekündigt haben, ist gestoppt. Der Rundfunkbeitrag bleibt auch nach dem 1. Januar 2021 unverändert bei 17,50 Euro.
Und: Die CDU vermeidet es dadurch, gemeinsam mit der AfD abzustimmen. Vor einer solchen Zusammenarbeit hatten die Koalitionspartner SPD und Grüne heftig gewarnt. Den Sendern steht jetzt der Klageweg offen - den sie auch beschreiten wollen.
Das ZDF, die ARD-Anstalten und das Deutschlandradio kündigten am Dienstagabend unabhängig voneinander an, vor das Bundesverfassungsgericht ziehen zu wollen. Der ARD-Vorsitzende Tom Buhrow sagte: „Eine Verfassungsbeschwerde ist leider unausweichlich. Ohne die ausreichende, unabhängig ermittelte Finanzierung wird das Programmangebot, das in allen Regionen Deutschlands verwurzelt ist, darunter leiden.“
ZDF-Intendant Thomas Bellut sagte: „Mit dem heutigen Tag ist klar, dass es in Sachsen-Anhalt keine Zustimmung mehr geben kann. Damit bleibt leider keine andere Möglichkeit, als das Bundesverfassungsgericht anzurufen.“
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Über einen Umweg nach Karlsruhe könnte die Erhöhung also trotzdem kommen, aber zeitverzögert. 2007 kippte Karlsruhe schon einmal einen Eingriff in die Empfehlungen der unabhängigen Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF), weil die Bundesländer bei der Gebührenfestsetzung um 28 Cent unter dem von der KEF empfohlenen Wert geblieben waren – wenn nur ein Bundesland nun ausschert, noch dazu durch eine Nicht-Befassung des Landtags, könnte Karlsruhe ähnlich entscheiden.
Vertreter des Dreierbündnisses aus CDU, SPD und Grünen in Sachsen-Anhalt hatten am Montag zwei Stunden lang mehrere Varianten für ein gemeinsames Vorgehen beraten, erzielten aber keinen Durchbruch. Zuletzt hatte die CDU mehrere Vorschläge gemacht:
- Stimmenenthaltung der Koalition
- Zurückziehung des Staatsvertrags vor der entscheidenden Abstimmung Mitte Dezember
- Nachverhandlungen der Beitragshöhe wegen der Corona-Pandemie
Alle Varianten eint, dass sie auf eine faktische Blockade der Beitragserhöhung hinauslaufen. Denn damit der Staatsvertrag wirksam wird, müssen alle Landesparlamente bis Jahresende grünes Licht geben.
Grüne geben zähneknirschend ihr OK
Die Grünen in dem ostdeutschen Bundesland tragen den Vorstoß Haseloffs zähneknirschend mit. „Unter normalen Umständen wäre dies der Moment, eine solche Koalition zu verlassen. Derzeit sind aber keine normalen Zustände“, teilte Cornelia Lüddemann mit, Vorsitzende der grünen Landtagsfraktion. „Die Pandemielage in Sachsen-Anhalt spitzt sich von Tag zu Tag dramatisch zu.“
Zugleich teilte sie gegen den Koalitionspartner CDU aus. Die Partei habe dem Land großen Schaden zugefügt. „Sachsen-Anhalt ist bundespolitisch isoliert, die Folgen noch nicht absehbar.“
Die CDU in Sachsen-Anhalt spricht sich seit Jahren gegen eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags um 86 Cent aus. Genauso wie die AfD in dem Bundesland. Grüne und SPD - die in Magdeburg gemeinsam mit der CDU regieren - werfen der CDU vor, sich der AfD zu sehr anzunähern und im Zweifel auch mit ihr gemeinsame Sache machen zu wollen.
Ministerpräsident Haseloff entließ wegen des Streits über die Rundfunkgebühr vergangene Woche Landesinnenminister Holger Stahlknecht (CDU). Haseloff begründete dies am Freitag in Magdeburg mit einem schwer gestörten Vertrauensverhältnis. Stahlknecht ist auch als CDU-Landeschef zurückgetreten.