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Verfassungschutzchef Hans-Georg Maaßen
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Update

Netzpolitik-Affäre: Harald Range musste gehen - was ist mit Hans-Georg Maaßen?

In der Landesverrat-Affäre um Netzpolitik.org hat Justizminister Heiko Maas Generalbundesanwalt Harald Range in den vorzeitigen Ruhestand geschickt. Die Opposition schießt sich derweil auf Verfassungschutzchef Hans-Georg Maaßen ein.

Justizminister Heiko Maas schickt Generalbundesanwalt Harald Range unverzüglich in den Ruhestand. "Ich habe ihm heute mitgeteilt, dass mein Vertrauen in ihn nachhaltig gestört ist", sagte Maas am Dienstagabend. Die Entscheidung sei in Rücksprache mit dem Kanzleramt gefallen. Er habe beim Bundespräsidenten die Versetzung Ranges in den vorzeitigen Ruhestand beantragt. Nachfolger Ranges soll der Münchner Generalstaatsanwalt Peter Frank werden.

Am Morgen hatte Range Justizminister Heiko Maas (SPD) scharf angegriffen. Er berichtete, dass ein von ihm in Auftrag gegebenes externes Gutachten die Auffassung seines Hauses sowie des Bundesamtes für Verfassungsschutz bestätigte, wonach es sich bei den vom Blog Netzpolitik.org veröffentlichten Dokumenten um Staatsgeheimnisse handelte. Dieses Gutachten habe er am Montag an Maas überstellt. Dieser habe ihn dann aber angewiesen, das Gutachten zu stoppen und den Gutachterauftrag zurückzuziehen. Dieser Weisung sei er gefolgt.

Range belässt es aber nicht bei der Veröffentlichung dieses Vorgangs, sondern greift Maas direkt an. "Auf Ermittlungen Einfluss zu nehmen, weil deren mögliches Ergebnis politisch nicht opportun erscheint, ist ein unerträglicher Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz", sagte Range. Die Presse- und Meinungsfreiheit sei ein hohes Gut. "Dieses Freiheitsrecht gilt aber nicht auch nicht im Internet schrankenlos. Es entbindet Journalisten nicht von der Einhaltung der Gesetze." (Die Erklärung von Harald Range gibt es hier im Wortlaut). Es ist in der Geschichte der Bundesanwaltschaft ein bislang einzigartiger Vorgang.

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD)
Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD)
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Maas betonte, dass die Äußerungen Ranges "nicht nachvollziehbar" seien und der Öffentlichkeit einen falschen Eindruck vermittelten. Er habe dem Generalbundesanwalt keine Weisung erteilt. Vielmehr sei der Rückzug des Gutachtens gemeinsam verabredet gewesen.

Bereits am Nachmittag deutete viel auf eine Entlassung von Range hin. In Regierungskreisen hieß es, Range habe sich schon am Freitag bereit erklärt, den Gutachter-Auftrag zurückzuziehen und die angekündigte Bewertung des Justizministeriums abzuwarten. Eine „Weisung“ habe es nie gegeben. Am Montag habe Range dann das Ergebnis des Gutachtens mitgeteilt, zugleich aber im Telefonat mit dem Ministerium die Verabredung bestätigt, davon keinen Gebrauch zu machen.

© Karikatur: Klaus Stuttmann

Union verteidigt Range

Der Vorsitzende des NSA-Untersuchungsausschusses, Patrick Sensburg (CDU), unterstützte Range. "Herr Range hat Recht, wenn er sich gegen eine Einflussnahme der Politik wehrt", sagte Sensburg dem Düsseldorfer "Handelsblatt" vom Mittwoch. Er habe kein Verständnis dafür, "dass hier ein öffentlicher Schlagabtausch stattfindet", sagte Sensburg. "Herr Maas hätte den Vorgang intern mit Herrn Range besprechen können."

Der innen- und rechtspolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe, Michael Frieser, erklärte, die Einholung eines Gutachtens durch Range mache deutlich, dass die Ermittlungen ergebnisoffen geführt würden. Sollte es aber eine unmittelbare Weisung durch das Bundesjustizministerium zum Stopp des Gutachtens gegeben haben wie von Range behauptet, "wäre dies ein schwerer Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz". Linken-Chef Bernd Riexinger forderte Maas hingegen auf, Range zu entlassen. Dessen öffentliche Vorwürfe seien ein "ungeheuerlichen Affront", mit der Range seine Versetzung in den einstweiligen Ruhestand geradezu herausfordere. Nun sei es an Maas, "endlich die längst überfälligen klaren Konsequenzen zu ziehen".

Jetzt gerät Verfassungsschutz-Präsident Maaßen in die Kritik

Nach der Entlassung von Range könnte nun der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, wieder stärker in den Fokus und in die Kritik geraten. Denn der hatte die Affäre mit seiner Anzeige gegen netzpolitik.org bzw. gegen Unbekannt erst ausgelöst. FDP-Chef Christian Lindner sagte dem Tagesspiegel: "Ich halte unverändert einen Neustart an der Spitze des Verfassungsschutzes für nötig. Herr Maaßen hat die Anzeige gestellt und den Verdacht des Landesverrats in den Raum gestellt, um von Versäumnissen bei der NSA-Affäre abzulenken."

Der Vize-Fraktionschef der Grünen, Konstantin von Notz, hat weitere Aufklärung gefordert. „Harald Range als Bauernopfer reicht nicht. Jetzt muss alles auf den Tisch“, erklärte er am Dienstagabend. „Nach Ranges Rauswurf fokussiert sich die Aufklärung jetzt auf die Minister Maas und de Maizière und auf Verfassungsschutzpräsident Maaßen“, sagte von Notz. Der Bundestag müsse Einblick in alle relevanten Unterlagen erhalten, „um den Landesverrat-Skandal und den inakzeptablen Angriff auf die Pressefreiheit aufklären zu können“, fügte er hinzu. Der Blog Netzpolitik.org hatte über Pläne des Verfassungsschutzes berichtet, Online-Netzwerke stärker zu überwachen. Dazu stellten die Journalisten vertrauliche Unterlagen ins Netz. Der Verfassungsschutz erstattete Anzeige gegen Unbekannt und Range leitete ein Ermittlungsverfahren wegen Landesverrats ein.

SPD-Vize Ralf Stegner weist die Kritik via Twitter umgehend zurück. "Herrn Range fehlen offenbar Maß und Ziel", schreibt er. Die Bundesregierung war schon am Montag auf Distanz zu Generalbundesanwalt Range gegangen. Die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Wirtz betonte, Kanzlerin Angela Merkel (CDU) unterstütze das Vorgehen von Justizminister Maas. Der hatte Zweifel am Vorgehen Ranges geäußert. Zudem war bekannt geworden, dass sein Ministerium offenbar schon frühzeitig vor Ermittlungen wegen Landesverrats gewarnt hatte. Auch Innenminister Thomas de Maizière (CDU) teilt nach Worten seines Sprechers die Skepsis.

Harald Range bei seiner Erklärung.
Harald Range bei seiner Erklärung.
© dpa

Streitigkeiten - früher und heute

Konflikte zwischen Bundesjustizminister und dem Generalbundesanwalt in Karlsruhe sind nicht neu. Schon zwischen Siegfried Buback und dem damaligen Bonner Ministerium soll es geknirscht haben. Als nach den Buback-Morden der RAF Kurt Rebmann übernahm und an vorderster Front gegen den RAF-Terrorismus stand, traute sich kein Justizminister ihn öffentlich zu kritisieren – obwohl Rebmanns Jagdeifer vielen zu weit ging.

Nach Rebmann wurden Spannungen zwischen Karlsruhe und Bonn beziehungsweise später Berlin zum Dauerthema. Rebmanns Nachfolger Alexander von Stahl wurde nach kurzer Amtszeit entlassen. Die Verhaftungsaktion von RAF-Mitgliedern in Bad Kleinen war aus dem Ruder gelaufen und von Stahl  musste seine Darstellung mehrfach korrigieren. Er wirkte überfordert, und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) musste ihren Parteifreund entlassen.

Der parteilose Kay Nehm folgte. Justizministerin Herta Däubler-Gmelin, Schnarrenbergers Nachfolgerin, wollte Nehm nicht. In Berlin steckte sie Journalisten bei jeder Gelegenheit, dass sie nichts von ihm hielt. Damals wurde gezielt lanciert, Nehm werde das Ende seiner Amtszeit nicht erleben. Dann stolperte aber Däubler-Gmelin über sich selbst und musste zurücktreten. Nehm ging 2006 ganz regulär. Monika Harms hatte als gut vernetztes CDU-Mitglied  weniger zu befürchten, denn in ihrer Amtszeit war die CDU immer an der Macht. Auch wenn es Kritik an ihr gab, eskalierte sie nie.

Ranges Karriere verlief gut, bisher

Nun also Range, seit seiner Jugend FDP-Mitglied. Range steht am Ende einer bisher tadellosen Karriere. Die Ermittlungen zum NSU liefen hervorragend, im Prozess in München ist die Bundesanwaltschaft in ihrer Rolle als Ankläger unangefochten – ganz im Gegensatz zur Verteidigung.

Die rechtsterroristisch motivierten Morde des Münchner Oktoberfests  lässt Range neu untersuchen. Das hat er auf der Habenseite. Kritik hagelt es, seit er die Vor-Ermittlungen wegen Spionage des NSA einstellte. Auch die Ausspähung des Handys der Kanzlerin hat keine strafrechtlichen Folgen. Die vorliegenden Dokumente seien nicht authentisch und reichten nicht, ließ Range mitteilen. Damit bot Range erstmals Angriffsfläche, zunächst nur für die Opposition. Jetzt ist der Konflikt mit Justizminister Heiko Maas offen entbrannt.

Auch die Kritik am Kanzleramt wächst

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU)
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU)
© dpa

Die Grünen verlangten von der Bundesregierung, im Bundestag Klarheit über die Landesverrats-Ermittlungen zu schaffen. "Die Politik der organisierten Unverantwortlichkeit der großen Koalition in diesem Vorgang muss sofort ein Ende haben", erklärte Fraktionsvize Konstantin von Notz am Dienstag in Berlin. "Alle Fakten müssen auf den Tisch." Der Bundestag müsse umfassend informiert werden.

Selbstverständlich habe Range Fehler gemacht, kritisierte von Notz. Doch es stelle sich auch die Frage, warum das Innenministerium die "absurde Konstruktion eines Staatsgeheimnisses" als Grundlage des Landesverratsvorwurfs durch Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen nicht gestoppt habe. Und Maas müsse schlüssig darlegen, warum er nicht schneller eingeschritten sei, forderte von Notz.

Im Zusammenhang mit Medienberichten auf der Grundlage vertraulicher Dokumente wächst auch die Kritik am Kanzleramt. Wie der Tagesspiegel berichtete, gab es dort im Jahr 2014 zwei „Prüfvorgänge“ der Geheimschutzbeauftragten, bei denen der Verdacht auf Geheimschutzverstöße eine Rolle spielte. „Wenn jetzt selbst das Kanzleramt Prüfvorgänge anstößt und Strafanzeigen nicht ausschließt, dann hat der Angriff auf die Pressefreiheit etwas systemisches und ist von ganz oben gedeckt“, sagte André Hahn (Linke), Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums. Die Vorsitzende des Bundestags-Rechtsausschusses, Renate Künast (Grüne), sagte: „Das Kanzleramt hat 2014 ungeniert vorgemacht, wie man trotz Pressefreiheit gegen Journalisten vorgeht.“

Unterdessen finden die Journalisten von Netzpolitik.org immer mehr Unterstützung. In Online-Petitionen fordern sie ein Ende der Ermittlungen. Seit vergangenem Donnerstag erhielt die Plattform auch rund 50.000 Euro Spenden. „Damit sind wir jetzt schon einigermaßen abgesichert, auch um den Rechtsweg beschreiten zu können“, sagte Betreiber Markus Beckedahl der „Berliner Zeitung“. Im letzten Jahr hätten sie insgesamt nur knapp 180.000 Euro an Spenden eingenommen. Das Schönste sei, wenn es nicht zu einem Prozess käme und sie mit dem Spendengeld ein bis zwei weitere Stellen schaffen könnten, sagte Beckedahl. Diese könnten dann dazu beitragen, den Geheimdiensten besser auf die Finger zu schauen. (mit dpa)

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