Pressefreiheit: Auch das Bundeskanzleramt suchte Journalistenquellen
Im Streit um Netzpolitik.org stellt sich Bundeskanzlerin Angela Merkel zwar hinter die Pressefreiheit. Aber das Kanzleramt hat selbst nach Journalistenquellen gesucht. Das geht aus einer Auskunftsklage des Tagesspiegels gegen das Kanzleramt hervor. Kritik kommt von den Grünen.
Nicht nur das Bundesamt für Verfassungsschutz, auch Bundeskanzleramt und Innenministerium haben Medienberichte auf Geheimschutzverstöße untersuchen lassen. So gab es nach Tagesspiegel-Informationen im Jahr 2014 zwei interne „Prüfvorgänge“ der Geheimschutzbeauftragten des Kanzleramts, bei denen Journalistenquellen eine Rolle spielten. Beide stützten sich auf Presseberichte über Dokumente, die amtlich als Verschlusssachen (VS) eingestuft sind.
In einem Fall vom Mai 2014 ging es um nachrichtendienstliche Informationen, die von der Regierung als „geheim“ eingestuft werden, dem zweithöchsten Geheimhaltungsgrad. In einem zweiten Verfahren vom Juni 2014 stand geheimes Material ausländischer Stellen im Mittelpunkt der Berichterstattung. Das Innenministerium meldet für den Zeitraum zwei Pressegeheimschutzverstöße. Die Dokumente dazu seien mit dem niedrigsten Geheimhaltungsgrad „VS – nur für den Dienstgebrauch“ versehen.
Die Bundesregierung gab zu, Strafanzeigen gegen Journalisten zu erwägen
Welche Inhalte und Folgen die Geheimschutzverfahren hatten, teilt die Bundesregierung nicht mit. Auch nicht, auf welche Medienberichte oder Veröffentlichungen welcher Journalisten sie sich beziehen. Dies würde zu einer „Vertiefung des Geheimschutzverstoßes“ führen, heißt es. Es gäbe jedoch „keine Erkenntnisse, wonach Verletzungen von Geheimschutzvorschriften durch Mitarbeiter des Bundeskanzleramts begangen wurden“.
Die Auskünfte zu den Prüfvorgängen im Zusammenhang mit Medienberichten hat das Kanzleramt erst nach einer presserechtlichen Auskunftsklage des Tagesspiegels gegeben. Anlass war die Ankündigung der Bundesregierung, wegen der fortdauernden Veröffentlichung von Geheimdokumenten in den Medien Strafanzeigen zu erwägen. Bei der Verhandlung der Klage Ende Juni vor dem Berliner Verwaltungsgericht hatten sich die Vertreter des Kanzleramts noch überzeugt gezeigt, dass strafrechtliche Ermittlungen gegen Pressevertreter ausgeschlossen seien.
Angela Merkel geht auf Distanz zu Generalbundesanwalt Harald Range
Ob Journalisten dennoch Strafanzeigen aus dem Kanzleramt drohen, ist unklar. Derzeit lautet die offizielle Sprachregelung, dies sei „nicht beabsichtigt“. Ende vergangenen Jahres hieß es dagegen noch: „Die Bundesregierung prüft im Falle der unbefugten Weitergabe VS-eingestufter Informationen an Dritte stets alle in Betracht kommenden rechtlichen und sicherheitsförderlichen Schritte. Dies umfasst auch die Prüfung einer Strafanzeige.“
Die Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag, Renate Künast (Grüne), kritisierte das Vorgehen des Kanzleramtes und sagte dem Tagesspiegel: "Das Kanzleramt hat 2014 ganz ungeniert vorgemacht, wie man trotz Pressefreiheit gegen Journalisten vorgeht."
In der Affäre um Landesverratsermittlungen gegen den Journalistenblog Netzpolitik.org ist die Bundesregierung derweil auf Distanz zu Generalbundesanwalt Harald Range gegangen. Kanzlerin Angela Merkel unterstütze „ausdrücklich das Vorgehen des Bundesjustizministers“, sagte eine Sprecherin. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hatte zuvor Zweifel am Vorgehen Ranges geäußert.