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Kenias Präsident Uhuru Kenyatta (links) unterhält sich beim AU-Gipfel in Addis Abeba mit seiner Außenministerin Amina Mohamed und dem Chefankläger Githu Mungai.
© AFP

Afrika und der Weltstrafgerichtshof: Afrikanische Lösungen

Die Wahrscheinlichkeit, dass sich Kenias Präsident Kenyatta vor dem Internationalen Strafgerichtshof wegen seiner Verantwortung für die gewalttätigen Ausschreitungen nach der Wahl 2007 verantworten wird, ist gering. Die westliche Diplomatie scheint kapituliert zu haben.

Die Chancen des kenianischen Präsidenten Uhuru Kenyatta, seinem Prozess vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag doch noch zu entgehen, sind am Wochenende gestiegen. Die Afrikanische Union (AU) hat bei einem außerordentlichen Gipfel beschlossen, den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen aufzufordern, die Prozesse gegen Kenyatta und seinen Stellvertreter William Ruto aus „Sicherheitsgründen“ für ein Jahr ruhen zu lassen. Zudem fordert die AU vom IStGH sein Statut  zu verändern, damit  Prozesse gegen amtierende Präsidenten oder andere Offizielle  in Zukunft ausgeschlossen wären.

Das allein würde Kenyattas Lage möglicherweise noch nicht grundlegend verändern. Doch seine diplomatische Offensive seit dem Amtsantritt im März zeigt inzwischen auch im Westen Wirkung. Nach Informationen der britischen Tageszeitung „Telegraph“ bereiten Großbritannien und Frankreich eine  Resolution an die UN-Sicherheitsrat vor. Der UN-Sicherheitsrat kann  ein Ruhen von Fällen vor dem IStGH beschließen, wenn das für die Erhaltung von „Frieden und Sicherheit in der Welt“ notwendig erscheint. Dieses Ruhen könnte mehrfach verlängert werden. Nach dem Terroranschlag auf das Westgate-Einkaufszentrum in Kenias Hauptstadt Nairobi vor drei Wochen scheint dieses Argument in der westlichen Diplomatie mehr Widerhall zu finden als zuvor.

Drei Wochen nach dem Westgate-Geiseldrama sind viele Fragen offen

Drei Wochen nach dem Anschlag mit mindestens 70 Toten zeichnet sich allerdings immer mehr ab, wie sehr der kenianische Staat und seine Sicherheitskräfte versagt haben. Noch immer werden knapp 40 Menschen vermisst. Das viertägige Geiseldrama hätte wohl kürzer ausfallen können, wenn sich Polizei- und Militärführung nicht einen Tag lang darüber gestritten hätten, wer den Einsatz leitet. Außerdem haben die Soldaten, die das Gebäude schließlich ohne vertiefte Informationen von den  bereits vorher angerückten Spezialeinheit der Polizei stürmten, die Luxusläden, Banken und das Casino während des Einsatzes geplündert. Allerdings musste bisher niemand zurücktreten, weder die unmittelbar für den Einsatz Verantwortlichen noch der offenkundig überforderte Innenminister Joseph Ole Lenku.

Kenias Regierung hat in ihrem Kampf gegen den IStGH  zudem eine Art „diplomatischen kalten Krieg“ angezettelt, sagt Katrin Seidel, Büroleiterin der grün-nahen Heinrich-Böll-Stiftung in Nairobi. Der neue deutsche Botschafter in Kenia, Andreas Peschke, hat bisher kein Einreisevisum für Kenia bekommen. Und er ist nicht der einzige.  Frankreichs, Ungarns, Österreichs und Italiens Botschafter warten bisher vergeblich darauf, akkreditiert zu werden. Der japanische und der iranische Botschafter konnten ihren Dienst in Nairobi auch nicht antreten. Die kenianische Tageszeitung „The Star“ berichtet, dass  Kenyattas Büro die Verzögerung mit dem „vollen Terminkalender“ des Präsidenten begründet. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Ablehnung der bisherigen  Botschafterin in Kenia, Margit Hellwig-Boette, als  Botschafterin in Tansania vor wenigen Wochen ebenfalls mit der Unzufriedenheit afrikanischer Regierungen mit dem IStGH zu tun hat.

Katrin Seidel berichtet, dass der gegen den IStGH gewonnene Wahlkampf von Kenyatta und Ruto sowie das Bemühen der beiden ihren Prozessen in Den Haag zu entgehen, die Stimmung in Kenia gedreht hätten. In der Öffentlichkeit würden die Prozesse, der gegen Ruto hat Anfang September begonnen, der gegen Kenyatta soll am 12. November eröffnet werden, inzwischen als Einmischung des Westens in innere Angelegenheiten angesehen. Die Prozesse würden „stark politisch ausgenutzt“, sagt sie. Für die Opposition wiederum gäbe es in dieser Stimmungslage auch wenig zu gewinnen, wenn sie den IStGH verteidigen würde.

Kenyatta sieht den Strafgerichtshof als "Spielzeug niedergehender imperialistischer Mächte"

Uhuru Kenyatta sagte vor dem AU-Gipfel am Wochenende, der IStGH sei ein „Spielzeug niedergehender imperialistischer Mächte“ geworden. In der Abschlusspressekonferenz bezeichnete Äthiopiens Außenminister Tedros Adhanom Ghebreyesus die gemeinsame Kandidatur von Kenyatta und Ruto in Kenia als „Beitrag zur Versöhung“ nach den tödlichen Unruhen nach der Wahl Ende 2007. Damals hatten sich Rutos und Kenyattas Ethnien, die Kalenjin und die Kikuyu, gegenseitig massakriert. Mehr als 1200 Menschen starben, eine halbe Million wurde vertrieben. Ruto und Kenyatta sollen auf ihrer jeweiligen Seite mitverantwortlich für die Ausschreitungen sein. Deshalb stehen sie in Den Haag vor Gericht.

Ghebreyesus sagte in Addis Abeba, zum Abschluss des AU-Gipfels, dass ein Entwicklungsland nicht funktionieren könne, „wenn die Anführer nicht da sind“. Doch der IStGH habe es abgelehnt, Kenyatta zu erlauben, lediglich über Video-Link am Prozess teilzunehmen. Nun aber müsse Afrika gehört werden, verlangte  er sichtlich erbittert. Die AU hat Kenyatta denn auch  aufgefordert, nicht zur Prozesseröffnung am 12. November anzureisen, falls das Staatenbündnis vor dem UN-Sicherheitsrat keinen Erfolg haben sollte. Dann müsste der IStGH eigentlich einen Haftbefehl gegen Kenyatta ausstellen. Bisher gilt Kenia als hinreichend kooperativ. Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass Kenyatta tatsächlich verhaftet würde. Derzeit geht es den westlichen Diplomaten vor allem darum, die Beziehungen wieder zu normalisieren. Trotzdem könnten die für November geplanten bilateralen Verhandlungen zwischen Deutschland und Kenia über ihre künftige Zusammenarbeit ziemlich turbulent werden – wenn sie nicht verschoben werden.

Allerdings gibt es möglicherweise schon vor dem 12. November eine weitere Nagelprobe mit dem Gerichtshof. Denn dieser hat einen Haftbefehl gegen den Journalisten Walter Barasa ausgestellt, der für eine Tageszeitung arbeitet, die teilweise Uhuru Kenyatta gehört. Barasa wird vorgeworfen, Zeugen bestochen zu haben oder es versucht zu haben, damit sie nicht gegen Kenyatta oder Ruto aussagen. Zwar hat das kenianische Parlament beschlossen, dass das Land den IStGH verlassen soll, doch noch gehört Kenia zu den Zeichnerländern. Die kenianische Polizei müsste Barasa also festnehmen und das Land müsste ihn an den IStGH überstellen. Noch läuft ein Widerspruchsverfahren Barasa gegen den Haftbefehl vor nationalen Gerichten. Doch sollte dieses abgelehnt werden, wie es in einer Instanz bereits geschehen ist, müsste Kenia aktiv werden.

Dagmar Dehmer

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