Kommunen: Hans-Günter Henneke, Lobbyist für die Fläche
Erfahrener Verbandsvertreter mit wissenschaftlicher Schärfe: Der Hauptgeschäftsführer des Landkreistags ist ein Unikum in der Berliner Politikszene.
Hans-Günter Henneke hat einen guten Überblick. Vom 10. Stock im Ulrich-von-Hassell-Haus in der Berliner Lennéstraße lässt sich das Regierungsviertel, hinter dem grünen Band des Tiergartens, gut überblicken. Mit einem Fernrohr könnte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Landkreistages direkt in den Kabinettssitzungssaal im Kanzleramt gucken. Die bundespolitische Szene überblickt er auch von seinem Büro einige Stockwerk darunter ganz gut. Henneke ist seit fast einem Vierteljahrhundert dabei, erst als Beigeordneter im Landkreistag, dann als stellvertretender Hauptgeschäftsführer und seit dem Jahr 2000 als Geschäftsführendes Präsidialmitglied, so der offizielle Titel, den aber in der Presse niemand verwendet.
Mit seinen Hauptgeschäftsführer-Kollegen der anderen Kommunalverbände bildet Henneke ein wirksames Trio. Über fast zwanzig Jahre hinweg waren es drei Gesichter: Stefan Articus vom Städtetag, Gerd Landsberg vom Städte- und Gemeindebund, und eben Henneke. Articus ist mittlerweile in Rente, ersetzt von Helmut Dedy, Landsberg macht noch einige Jahre, Henneke ist bis 2025 gewählt. Von den dreien ist er der am wenigsten bekannte. Der Städtetag ist in Berlin einflussreich über das Kollektiv der Großstadt-Oberbürgermeister, die nicht zuletzt über die Parteien ihr Gewicht einbringen können. Landsberg ist ein gefragter Medienpartner, auf allen Kanälen präsent, weil Kommunales gern mit Städten und Gemeinden identifiziert wird. Der Landkreistag („68 Prozent der Bevölkerung, 96 Prozent der Fläche“) ist das Aschenputtel unter den Kommunalverbänden.
In den Ländern stark
Henneke kümmert das gar nicht so. „Wir versuchen, ein Wahrnehmungsdefizit durch fachliche Arbeit zu ersetzen“, sagt er. Zudem ist Berlin für den Landkreistag nicht die einzige wichtige Einflusszone. Die liegt eher in den Ländern. Dort sind Oberbürgermeister meist Solitäre, Kleinstadt- und Gemeindebürgermeister hingegen treten in Vielzahl auf. Die Landräte aber sind ein Machtfaktor, weshalb Henneke gute Kontakte in die Staatskanzleien und die Landesministerien pflegt (vor allem die für Soziales) und deren Einfluss in Berlin zu nutzen versucht. Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen, weniger das stärker verstädterte Nordrhein-Westfalen sind die Bastionen des Landkreistags. Parteipolitisch ist er von der Union geprägt, Henneke zieht den Begriff „bürgerlich“ vor. Von den 295 Landräten sind die meisten in der CDU (wie Henneke), der CSU oder bei den Freien Wählern, fünf Dutzend sind Sozialdemokraten, es gibt einige Linke, auch zwei Grüne – in der FDP ist keiner.
Sein Netzwerk beruhe weniger auf engen persönlichen Beziehungen, sondern auf sachlichen. „Ich habe keinen Anden-Pakt“, sagt Henneke. Kontakte pflegt er auch zu Leuten, die längst im Ruhestand sind, aber noch Einfluss haben. Auf diesem Weg, sagt Henneke, lässt sich oft mehr erreichen, als man glaubt. Als Interessenvertreter von Kommunen fühlt er sich nicht als Lobbyist. „Ich ziehe das Wort Gemeinwohlvertreter vor“, sagt der Sechzigjährige. Und: „Ich versuche, nicht rein interessenorientiert zu arbeiten.“ Es diene den Interessen des Landkreistages eher, „wenn man das Richtige sagt und nicht das Opportune“.
Gewiefter Verfassungsjurist
Hier kommt der Verfassungsjurist in Henneke durch, der schon mal Ansichten vertritt, die man beim Städtetag oder beim Gemeindebund als etwas zu wenig pragmatisch betrachtet. Zuletzt etwa hat Henneke bei den beiden Milliardenprogrammen des Bundes zur Finanzierung schwacher Kommunen (und für die Schulbauten) die abweichende Meinung vertreten, dass diese den Empfängern nicht unbedingt gut tun werden. Nicht des Geldes wegen (das will er auch) - Henneke missfällt, dass der Bund damit zu sehr das Sagen bekommt bei Kommunalinvestitionen und die kommunale Selbstverwaltung darunter leidet. Außerdem würde die Verantwortung der Länder für ihre Kommunen geschwächt. Statt zweckgebundener Programme wäre es ihm lieber, der Umsatzsteueranteil der Kommunen würde erhöht. Auf dem Weg soll auch die deutliche strukturelle Unterfinanzierung der Landkreise, die Henneke konstatiert, beendet werden.
Seine juristischen Ansichten gelten zwar manchen als eigenwillig, aber sie sind fundiert. In gewissem Sinne führt er ein Doppelleben. Denn er ist nicht nur als Hauptgeschäftsführer der oberste Landkreisfunktionär in Berlin, sondern als auch habilitierter Rechtwissenschaftler und Honorarprofessor an der Uni Oldenburg ein profilierter juristischer Beobachter. Das Tagtägliche des Lobbygeschäfts geht Hand in Hand mit dem Blick aufs Grundsätzliche. Und das macht Henneke zu einem Unikum in der Hauptstadt. Er nimmt nicht nur Einfluss, indem er die Verbandsinteressen ganz profan an Minister, Staatssekretäre, Abteilungsleiter, Referenten und Abgeordnete heranträgt, sondern auch durch seine juristischen Einschätzungen – vorher, parallel zur Gesetzgebung, nachträglich. Dass er an allen vier Verfassungsreformen seit 1990 in dieser Doppelrolle mitbeteiligt war, betrachtet er bescheiden als „Geschenk“ – tatsächlich gibt es wenige, die in der Materie besser drinstecken als er mit seiner Erfahrung in Praxis und Theorie. Wenn ihn etwas antreibt, kann er hartnäckig sein. Allerdings heißt es auch, dass wenige Lobbyisten so unterhaltsam auf die Nerven gehen wie er. Als einen großen Erfolg in seiner Karriere wertet er einen Satz im Artikel 84 des Grundgesetzes: „Durch Bundesgesetz dürfen Gemeinden und Gemeindeverbänden Aufgaben nicht übertragen werden.“ Das hilft allen Kommunen. Henneke hat im Übrigen nicht nur einen beneidenswerten Überblick im Paragraphendschungel, der lebenslange Anhänger von Werder Bremen – er stammt aus einer Landwirtsfamilie aus der Gegend um Syke - hat angeblich auch die exakten Aufstellungen selbst länger zurückliegender Partien parat.
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