Die deutsche Rolle im UN-Sicherheitsrat: Haltung oder Enthaltung
Wir übernehmen Verantwortung in der Welt - das ist das Mantra der deutschen Außenpolitik. Aber wird sie dem Anspruch gerecht, wenn es schwierig wird?
Versteckt sich die Bundesregierung trotz vollmundiger Ansprüche hinter dem Bundestag, wenn es um gefährliche internationale Aufgaben wie Auslandseinsätze der Bundesregierung geht? Mit diesem Vorwurf musste sich nun Christoph Heusgen, Deutschlands Botschafter bei den Vereinten Nationen (VN) in New York, auseinandersetzen. Der langjährige Vertraute von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), der ihr bis zu seinem Wechsel nach New York 2017 zwölf Jahre lang als außenpolitischer Berater gedient hatte, wurde am Mittwochabend auf einer Veranstaltung in Berlin mit der Forderung konfrontiert, das Engagement von Bundeswehr und deutscher Polizei bei VN-Einsätzen auszubauen. Die Antwort des Diplomaten: Er glaube nicht, dass der Bundestag in kommender Zeit seine Zustimmung geben werde "für tausende von Soldaten, die sich langfristig in Afrika engagieren". Wegen des Parlamentsvorbehalts muss der Bundestag über jeden Auslandseinsatz der Bundeswehr abstimmen.
In der Debatte zum Thema "Haltung oder Enthaltung – Deutschlands Profil im UN-Sicherheitsrat" provozierte der Spitzendiplomat damit Gegenreden auf dem Podium, das die Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen und die Deutsche Atlantische Gesellschaft zusammengestellt hatten. Deutschland müsse sich als "zentrale Mittelmacht in den VN, die Verantwortung hat", militärisch stärker engagieren, als es das bislang getan habe, forderte der Politikwissenschaftler Johannes Varwick von der Universität Halle. Es sei zum Beispiel nicht nachvollziehbar, dass die Bundesregierung den militärischen Einsatz gegen die Terrormiliz Islamischer Staat im Irak und in Syrien gutheiße, selbst aber keine militärische Gewalt anwenden wolle und stattdessen nur Aufklärungstornados schicke.
Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Franziska Brantner versuchte das Bild eines jedem Auslandseinsatz gegenüber ablehnenden Bundestags zu korrigieren, das Heusgen an die Wand gemalt hatte. Es habe im Parlament in der Einstellung gegenüber solchen Einsätzen der Bundeswehr längst einen "Wandel" gegeben, sagte sie.
Von 2019 an wird Deutschland zwei Jahre lang dem Sicherheitsrat als nichtständiges Mitglied angehören. Er ist das wichtigste Gremium innerhalb der Institution und kann völkerrechtlich verbindliche Entscheidungen treffen. Gerade in Großkonflikten wie dem Krieg in Syrien blockierten in den vergangenen Jahren die Veto-Mächte Russland oder China Resolutionen, die ihren nationalen Interessen widersprachen.
"Wasch' mir den Pelz, aber mach' mich nicht nass!"
Der Veranstaltungstitel "Haltung oder Enthaltung" spielt an auf eine Entscheidung der schwarz-gelben Bundesregierung während der letzten deutschen Mitgliedschaft im Sicherheitsrat. Anders als wichtige westliche Partner enthielt sich Deutschland im März 2011 bei der Abstimmung über eine Resolution, die Luftangriffe auf die Truppen des libyschen Diktators Muammar al Gaddafi ermöglichte. Auch Russland und China enthielten sich. Länder wie die USA, Großbritannien und Frankreich nutzten die Resolution zum Schutz aufständischer Libyer vor der Militärmacht Gaddafis dann allerdings, um ihn zu stürzen. Viele Außenpolitikexperten, darunter Ex-Außenminister Joschka Fischer, kritisierten die deutsche Enthaltung scharf.
Heusgen verteidigte die Entscheidung. "Haltung und Enthaltung müssen kein Gegensatz sein", sagte er in Anspielung auf den Titel der Debatte. Er sei nach wie vor der festen Überzeugung, dass die Enthaltung richtig gewesen sei. Schon damals hatten deutsche Regierungsvertreter die Skepsis gegen ein militärisches Eingreifen mit der Befürchtung begründet, ohne einen politischen Plan für eine Machtübergabe und die Zeit nach Gaddafi werde das Land unkontrollierbar. Tatsächlich destabilisierten das folgende Machtvakuum und die massenhafte Verbreitung von Waffen aus ehemals libyschen Beständen dann nicht nur Libyen selbst, sondern auch Länder in Westafrika.
Auch die Schilderung der damaligen Entscheidungssituation durch Heusgen provozierte Widerspruch. Der Diplomat erklärte die Vorgabe der Bundeskanzlerin im März 2011 nun so: Wenn sich damals abgezeichnet hätte, dass die westlichen Befürworter der Luftangriffe gegen Gaddafi im Sicherheitsrat keine Mehrheit bekommen hätten, hätte Deutschland mit Ja gestimmt und die Resolution der Partner damit gerettet. Enthalten habe sich Deutschland nur, weil die Mehrheit auch ohne Berliner Hilfe zustande kam. Von einer "Haltung" der damaligen Bundesregierung könne man deshalb nicht reden, kritisierte Politikprofessor Varwick. Ihn erinnere ein solches Verhalten an die paradoxe Aufforderung "Wasch‘ mir den Pelz, aber mach mich nicht nass."
Heusgen machte deutlich, dass in turbulenten Zeiten der Weltpolitik im Sicherheitsrat auch nun durchaus schwierige Entscheidungen auf Deutschland warten könnten. „Da wird einem schon ein bisschen Angst und Bang“, sagte der Rheinländer und fügte hinzu: „Aber schauen wir mal.“