Terrorverdacht in Berlin-Schöneberg: Haftrichter sieht keinen dringenden Tatverdacht
Die Nachbarn in Berlin-Schöneberg kannten ihn als Hassan aus Syrien. Er wurde festgenommen, weil er der Terrormiliz IS angehöre. Aber der BGH hat den beantragten Haftbefehl verweigert.
Der am Mittwoch in Berlin wegen Terrorverdachts verhaftete mutmaßliche Syrer war nach Einschätzung des Bundesgerichtshofs (BGH) nicht so gefährlich, wie von der Bundesanwaltschaft befürchtet. Der BGH lehnte den Antrag auf Erlass eines Haftbefehls ab, wie die Bundesanwaltschaft am Freitag in Karlsruhe mitteilte. Die Indizien gegen den 27-Jährigen reichten dem Haftrichter demnach nicht aus.
Die Bundesanwaltschaft hatte gegen den Mann einen Haftbefehl wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) beantragt. Er war am Mittwochabend in einer Wohnung im Stadtteil Schöneberg festgenommen worden. Ausgangspunkt der Ermittlungen gegen den Mann, der aus Tunesien stammen soll, waren nach Angaben der Bundesanwaltschaft Erkenntnisse des Verfassungsschutzes.
Demnach lagen dem Inlandsgeheimdienst nach dessen Einschätzung "glaubhafte Informationen" vor, wonach der Beschuldigte Kontakt zu einem IS-Mitglied in Syrien hatte, das für Operationen der Vereinigung im Ausland zuständig ist. Von dort soll er laut Bundesanwaltschaft "die Erlaubnis erhalten haben, zeitnah einen Anschlag auf Menschen in Deutschland zu planen".
Der Bundesanwaltschaft zufolge reichten dem Ermittlungsrichter die geheimdienstlichen Informationen und weitere Indizien aber nicht für einen dringenden Tatverdacht aus. Dieser sei aber Voraussetzung für den Erlass eines Haftbefehls.
Besonders gesicherter Haftraum
Der Mann sitzt nun in Berlin vorerst weiter in Untersuchungshaft. Da er mit einem falschen Pass unterwegs gewesen sei, werde gegen ihn nun wegen des Verdachts der Urkundenfälschung ermittelt, teilte ein Behördensprecher in Berlin mit. Der 27-Jährige hatte selbst angegeben aus Syrien zu stammen. Er kam 2015 nach Deutschland.
Der 27-Jährige sei in der Anstalt Moabit wegen möglicher Suizidgefahr in einem besonders gesicherten Haftraum und werde überwacht, sagte der amtierende Sprecher der Justizverwaltung, Lars Hoffmann, der Deutschen Presse-Agentur. „Der Raum hat nichts in sich, was lose ist.“ In einem anderen Fall war es Mitte Oktober dem Terrorverdächtige Jaber Albakr gelungen, sich im Gefängnis in Leipzig das Leben zu nehmen.
Der Berliner Justizsprecher sagte, der U-Häftling solle jetzt medizinisch begutachtet werden. Danach werde über die weiteren Haftbedingungen entschieden. In dem gesicherten Haftraum gibt es laut Justiz nur eine Matratze und eine gesicherte Toilette, jedoch keine Steckdosen.
Schöneberger Nachbarn sind fassungslos
Bei den Nachbarn in Schöneberg ist die Verwunderung am Tag nach der Festnahme des Terrorverdächtigen noch immer groß. Hauseigentümerin Martina Fischoeder erinnert sich ein wenig fassungslos an die Ereignisse der vergangenen Nacht. Gegen 21 Uhr hatte der Einsatz der Polizei und des Sondereinsatzkommandos (SEK) begonnen. „Die ganze Kolonnenstraße war abgesperrt. Niemand kam mehr ins Haus rein“, sagte Fischoeder. Erst gegen Mitternacht durften die Bewohner das Gebäude wieder betreten. Die Durchsuchung der Wohnung im Hinterhaus, in der der Terrorverdächtige gelebt hatte, dauerte bis drei Uhr nachts. Polizisten trugen mehrere Kisten aus dem Haus.
Der Verdächtige hatte sich als Hassan vorgestellt, berichtete Fischoeder, die selbst in dem Altbau lebt. Seit einem Jahr wohnt er schon in der Kolonnenstraße, gemeinsam mit einem Deutschen, der sich nach Angaben der Wohnungseigentümerin viel um Flüchtlinge kümmert. Immer wieder habe der deutsche Mieter Syrer bei sich übernachten lassen. Nur Hassan blieb länger. Martina Fischoeder traf ihn fast täglich im Hof, manchmal unterhielten sie sich auf Französisch. Sie beschreibt ihn als „hilfsbereit“ und „gut integriert“, selbst zum Sommerfest der Hausbewohner kam er.
Der Mann, den alle im Haus als Hassan kannten, wird nun nach Angaben der Bundesanwaltschaft verdächtigt, der Terrormiliz IS anzugehören. „Hassan“ kam im Jahr 2015 als Flüchtling nach Deutschland. Bei den Behörden gab er an, vor 27 Jahren in der syrischen Stadt Aleppo geboren zu sein. Er stellte einen Asylantrag in Deutschland. In Sicherheitskreisen geht man jedoch davon aus, dass er nicht in Syrien, sondern in Tunesien geboren wurde. Es handele sich um einen „wichtigen Fall“, sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) am Donnerstag. „Dieser Mann stand längere Zeit im Fokus der Sicherheitsbehörden.“
Hinweis von einem ausländischen Geheimdienst
Die deutschen Behörden wurden nach Angaben aus Sicherheitskreisen durch einen ausländischen Nachrichtendienst auf den Mann aufmerksam gemacht. Er sei dann längere Zeit überwacht worden. Schließlich wurde der Fall an die Polizei übergeben, die dann auch den Mann festgenommen und die Wohnung durchsucht hat.
Nach rbb-Informationen soll der Mann der Berliner Polizei zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt gewesen sein. Er habe eine Zeit lang in der Flüchtlingsunterkunft in den Hangars des Flughafens Tempelhof gelebt. Dort sei er in Gewalttätigkeiten verwickelt gewesen und durch Alkoholeskapaden aufgefallen, woraufhin er aus der Einrichtung verwiesen worden sei. Das berichtete der Sender am Donnerstag unter Berufung auf Sicherheitskreise. Ein Sprecher der Berliner Polizei wollte sich dazu nicht äußern. Er verwies auf die Bundesanwaltschaft, die die Ermittlungen in dem Fall übernommen hat.
Nun gab es laut Sicherheitskreisen vage Hinweise darauf, dass der Mann einen Anschlag geplant habe. Anders als bei dem vor wenigen Wochen in Leipzig festgenommenen syrischen Terrorverdächtigen Jaber Albakr habe man allerdings keine Hinweise auf Sprengstoff oder gar konkrete Anschlagsziele gehabt. Man wisse derzeit weder, was für einen Anschlag der Mann geplant habe, noch wo. Mehr Erkenntnisse, auch über mögliche Kontaktpersonen, erhoffen sich die Ermittler nun durch die Auswertung der sichergestellten Kommunikationsmittel.
„Focus Online“ berichtete am Donnerstagabend jedoch von einem für kommenden Montag geplanten Messerattentat in Berlin. In einem Telefonat mit seinem IS-Kommandanten habe der Terrorverdächtige darum gebeten, endlich zuschlagen zu dürfen, und eine Freigabe für ein Attentat bekommen. Der US-Geheimdienst habe das Gespräch abgehört und das Bundesamt für Verfassungsschutz informiert. In der „Abendschau“ des RBB hatte der Berliner Verfassungsschutzchef Bernd Palenda bereits angedeutet, dass außer Sprengstoffanschlägen auch Taten mit einfacheren Mitteln möglich seien. Eine Bestätigung für den Bericht von „Focus Online“ gab es zunächst jedoch nicht.
"Keine direkte Verbindung zu Albakr"
Eine Verbindung des am Mittwochabend festgenommenen Terrorverdächtigen zu Albakr gibt es nach bisheriger Kenntnis der deutschen Sicherheitsbehörden nicht. „Ich gehe nach aktuellem Stand davon aus, dass es ein Einzeltäter war“, sagte der Verfassungsschutzchef Palenda dem Tagesspiegel. Allerdings gebe es in der Szene immer Verbindungen untereinander, und es sei noch zu früh, eine abschließende Bewertung abzugeben. „Es scheint zumindest so zu sein, dass es keine direkte Verbindung zu Albakr gibt“, sagte Palenda.
Der Syrer Jaber Albakr war im Oktober in Leipzig ebenfalls nach Hinweisen eines ausländischen Nachrichtendienstes festgenommen worden. In seiner Wohnung fanden Ermittler eine größere Menge Sprengstoff. Er soll zuvor Anschlagsziele in Berlin ausgespäht und vermutlich einen Terrorangriff auf einen Flughafen geplant haben. Zwei Tage nach seiner Festnahme im Oktober beging Albakr in der Justizvollzugsanstalt Leipzig Selbstmord. Bei der Überwachung seiner elektronischen Kommunikation vor der Festnahme waren Kontakte ins Ausland, vermutlich zum IS, festgestellt worden. Allerdings reichte die Beweislage gegen ihn nicht aus, um Albakr die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland zur Last zu legen. Gegen ihn wurde wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat ermittelt.
„Focus Online“ will erfahren haben, dass der Terrorverdächtige aus Schöneberg nach seiner Festnahme im Polizeigewahrsam seinen Kopf gegen die Zellenwand gestoßen habe. Daraufhin hätten ihm Beamte einen Schutzhelm aufgesetzt und gefesselt. Der Suizid Albakrs habe die Ermittler in Berlin sensibilisiert.
Die Hauptstadt steht seit Längerem im Fokus der islamistischen Terrormiliz. Gegen einen weiteren syrischen Terrorverdächtigen hatte die Bundesanwaltschaft im Oktober Anklage erhoben. Der 19-Jährige war im März in Brandenburg festgenommen worden und soll ebenfalls mögliche Anschlagsziele in Berlin ausgespäht haben. (mit dpa, AFP)
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