Energiewende: Haben Sie Mut
Die Verwaltungsrechtlerin Ines Zenke blickt in ihrem Standpunkt auf den rasanten Wandel der Energiewelt und die künftigen Herausforderungen der Energiewende.
Sie sind eine Führungskraft in der Energiewirtschaft und stets willig und bemüht, alles mitzumachen, was up to date oder schlicht zu erledigen ist? Sie schauen tagein tagaus auf den mageren Energiepreis, organisieren eine compliance-konforme Struktur, die menschliche Fehler oder bewusst unzulängliches Verhalten nicht vermeidet, aber Ihnen im Zweifel den Vorwurf des Organisationsverschuldens vom Hals hält? Und Sie ertragen die Nachrichten Ihrer Rechtsanwälte, die Ihnen wieder einmal (scheinbar mitleidlos) mitteilen, dass eine neue Meldepflicht ansteht, ein neues Gesetz Ihr gerade getätigtes Investment relativiert oder zum Beispiel die Bundesnetzagentur die Eigenkapitalzinssätze Strom und Gas für Neuanlagen auf 6,91 Prozent und für Altanlagen auf 5,12 Prozent reduziert hat und Sie hiergegen rechtliche Schritte einleiten müssten, wenn Sie damit nicht leben können?
Sie haben meine Sympathie. Und noch eine Menge zu tun. Die Energiewende ist noch lange nicht gestemmt, die Digitalisierung hat erst zaghaft an die Tür geklopft. Vom Pariser Wunsch nach mehr Klimaschutz, der zunehmenden Übergriffigkeit Europas und den vielen weiteren Wünschen an Sie ganz zu schweigen. Positiv gewendet werden Sie die nächsten Jahre viel Arbeit haben. Und das ist – bei aller Einschätzung, dass Deutschland Arbeitnehmermarkt ist – ja auch etwas wert. Halten wir einen Moment inne und ziehen Bilanz:
Die Energiewelt vor 20 Jahren
Vor 20 Jahren war der Energiemarkt streng monopolisiert und über langfristige Lieferbeziehungen, Demarkationen, Konzessionen und eine Freistellung vom Kartellrecht sauber aufgeteilt. Die Akteure kannten einander und waren vielfach miteinander auch gesellschaftsrechtlich verwoben. Das Freund-/Feindbild war klar definiert und es gab noch Weihnachtsgeschenke (in Form von hoch ansprechenden Präsentkörben zum Beispiel, Weinthermometern oder edlen Vistenkartensets). Und selbst die Folgefragen aus dem fundamentalen 1992er Stromstreit um die ostdeutsche Versorgung waren geklärt. Die auf Energierecht spezialisierten Rechtsanwälte langweilten sich ein bisschen miteinander. Man kannte die wenigen relevanten Rechtsnormen und jedes Urteil, das einen Energieversorger betraf. Die Literatur beschränkte sich auf eine Regalreihe in der Bibliothek.
Die Liberalisierung der Strom- und Gasmärkte
1998 wurde es schlagartig turbulent. Der deutsche Gesetzgeber nahm die europäisch verlangte Liberalisierung der Strom- und Gasmärkte ernst und ermöglichte auch solchen Unternehmen den Marktzugang, die bis dato nicht „zur Familie“ gehörten. Demarkationen, langfristige Lieferverträge mit Gesamtabnahme und Vorkaufsrechte verstießen nun gegen das Kartellrecht. Konzessionen mussten ernsthaft ausgeschrieben werden. Der Energieverbraucher konnte seinen Anbieter wechseln und bekam einen Anspruch auf Durchleitung von Strom und Gas gegen den betroffenen Netzbetreiber. Der Strompreis sank rapide; das große Stadtwerkesterben bei ständigen Zusammenschlüssen zu wenigen Super-Energieversorgern wurde orakelt. Jeder, der etwas von sich hielt, stieg in den Energiehandel ein. Fix-for-Floating-Swaps, Caps und Floors, Forwards und Futures waren zu kennen und (mit der Finanzmarktaufsicht BaFin) zu managen. Nichtstun wurde als Risiko identifiziert. Weihnachtsgeschenke gab es immer noch. Anwälte auch.
Nach einigen Jahren Verhinderungsstimmung bei den einen und Aufbruchsstimmung bei den anderen (oft traf beides in Unternehmen, nicht aber Bereichen, wahlweise Personen zusammen), rief der Staat das Prinzip der Deregulierung durch Regulierung aus und begründete 2004 erst einmal neue Regeln für Netznutzung und Netzbetrieb. Außerdem wandte er sich – auch dies europäisch initiiert – dem Emissionshandel zu. Jetzt wurde es langsam kompliziert, auch weil neue Aufsichtsbehörden quasi wie Pilze aus dem Energiemarkt-Boden sprossen. Die Bundesnetzagentur machte ein breites Kreuz und zog in die Schlacht, die Netzentgelte, nicht auf das richtige, sondern auf das niedrigste Niveau zu senken. Die Deutsche Emissionshandelsstelle erklärte den Klimaschutz zum persönlichen Steckenpferd und verteidigte jedes Zertifikat, das sie vergeben sollte, wie das Huhn sein Ei. Zwischendurch wechselten beide Behörden die vom Markt (und den schon lange nicht mehr gelangweilten Anwälten) gerade erlernten Bewertungsansätze. Das Unbundling des Netzbetriebes führte zu einer Verdopplung der bisher integriert geführten Unternehmen, die sich dann auch noch einen neuen Namen geben mussten, um den mündigen Verbraucher auf keinen Fall durch Ähnlichkeiten zum bisherigen Gesamtversorger zu verwirren. Der Strompreis allerdings hatte erfreuliche beziehungsweise weniger erfreuliche Hochs, je nachdem, aus welcher Perspektive man schaute.
Der 3. März 2011
Dann blieb die Welt kurz stehen. Im März 2011 schmolzen drei Reaktoren im Atomkraftwerk Fukushima Dai-ichi, verseuchten große Teile Japans und des Ozeans radioaktiv. Ganze Landstriche wurden dauerhaft unbewohnbar. Deutschland verkündete hierauf den Ausstieg aus der Atomkraft und läutete so die Energiewende ein. Die Bundesregierung schnürte ein Gesetzespaket, das in mehrfacher Hinsicht einzigartig war. Zum einen wurden nahezu alle für die Branche zentralen Gesetze angefasst und/oder umgekrempelt. Zum anderen geschah dies in einem solchen Schweinsgalopp, der einer Notstandsgesetzgebung gleich kam. Vom Kabinettsbeschluss am 6. Juni 2011 bis zum Plenum am 8. Juli 2011, also in kaum mehr als einem Monat, wurden die Weichen der Energiewirtschaft neu gestellt und bekanntlich ganze Unternehmensschicksale neu geschrieben.
Den Großteil der anstehenden Aufgaben sah oder diskutierte man damals aber noch nicht. Insbesondere die gewollt rasante Zunahme und die Volatilität der geförderten erneuerbaren Energieanlagen mauserten sich zu einer Herausforderung. Dabei arbeitet nicht nur das System selbst hart an der Integration von Wind- und Solarstrom. Auch Endverbraucher und Mittelstand knabbern an den so nicht erwarteten Folgen des Wandels. So stieg zum Beispiel die EEG-Umlage von nur 0,19 Cent im Jahr 2000 auf satte 6,88 Cent pro Kilowattstunde Strom im Jahr 2017.
Der Energiemarkt von Heute
Schauen wir auf den Energiemarkt von heute, so sehen wir vor allen Dingen Vielfalt, Komplexität und Hoffnung.
Vielfalt finden wir in Zahl und Couleur der auf dem Markt aktiven Stakeholder. Die traditionelle Wertschöpfungskette Erzeugung, Handel, Verteilung, Versorgung ergänzt sich heute um viele weitere Akteure wie Intermediäre, Aggregatoren, Messstellenbetreiber und andere. Auch die Vielfalt in den Gruppen hat sich multipliziert. Erzeuger sind nicht mehr nur Erzeuger, Netzbetreiber nicht mehr nur Netzbetreiber. Es wird sehr genau zwischen konventionell gefeuerten Anlagen, KWK-geführten Erzeugern und den Betreibern erneuerbarer Energieanlagen unterschieden. Auch im Netzbetrieb sind die Unterschiede zwischen den Übertragungs-, den Flächennetzbetreibern und den Verteilnetzbetreibern größer geworden. Dies betrifft die rechtlichen Bedingungen ebenso wie die Akzeptanz in Bevölkerung und Politik.
Komplexität. Der heutige Energiemarkt ist an Komplexität kaum mehr zu überbieten. Rund 12.350 Rechtsnormen regeln den Rahmen, in dem ein umfassend tätiges Energieunternehmen sich heute bewegt.
Weiter mischen immer mehr Behörden mit und manchmal vermisst man eine zentrale ordnende Hand. Besonders schlimm wird es dann, wenn Normen und Behördenansprüche kollidieren. Wenn die Beschlusskammer für Strom etwas anderes tut als die Beschlusskammer für Gas oder Telekommunikation, obwohl die Prinzipien in der Bundesbehörde Bundesnetzagentur sich gleichen sollten. Oder wenn der Contractor aus der Sicht des Erneuerbare-Energien-Gesetzes etwas tun muss, was die Finanzmarktaufsicht BaFin auf den Plan ruft (so geschehen, aber erfreulich und ohne Strafbarkeiten gelöst bei der Frage der Einflussnahme auf den Anlagenbetrieb). Oder aber, wenn das Bundesministerium für Finanzen (BMF) einen Gesetzentwurf zur Strom- und Energiesteuer vorlegt, der sowohl das Umweltministerium (BMUB) als auch das Wirtschaftsministerium (BMWi) auf die Palme bringt, weil das europäische Beihilfenrecht so extensiv ausgelegt wird, dass die betroffenen Industrien Konkurs anmelden hätten müssen (auch gelöst, dank offener Diskussion des Themas im BMF).
Komplex wird das Thema Energie auch deswegen, weil Instrumente nicht wirklich aufeinander abgestimmt sind oder mit ihnen andere Ziele verfolgt, andere Teaser gesetzt werden, als kommuniziert oder ihnen ursprünglich zugedacht. Den nächsten Energie-Award wird derjenige gewinnen, der erklären kann, wie Regel- und Ausgleichsenergie, Kapazitätsreserve, demand response und abschaltbare Lasten eigentlich optimal miteinander funktionieren.
Schließlich trägt auch die vermehrte Präsenz der Europäischen Kommission nicht zur Vereinfachung bei. Ging es dieser (entsprechend des EG Vertrages) bislang um das Setzen von Rahmen und Leitlinien, tummelt sich die Kommission nun mittlerweile in Einzelfallentscheidungen und setzt konkretes Recht, auch in Bereichen, in denen sie gar nicht zuständig ist (wie Energiepolitik). Die Industrie kennt das Thema unter dem Stichwort besondere Ausgleichsregelung/Leitlinien nur zu gut. Im Emissionshandel führt dieses Selbstverständnis teils zu kafkaesken Zuständen, unter denen der Anlagenbetreiber leidet.
Hoffnung
Ja, es gibt sie noch, die Hoffnung auf ruhigere Zeiten, in denen vor allen Dingen eines herrscht. Rechtsfrieden, Verlässlichkeit und Investitionssicherheit. Auch der Umstand, dass die Finanzierbarkeit der erneuerbaren Energien diskutiert wird oder aber die Tatsache, dass die Bedeutung der Verteilnetze gesehen wird, lassen hoffnungsfroh in die Zukunft blicken.
Was Sie noch erwarten müssen
Sie wissen, dass noch einige Herausforderungen auf Sie warten (wäre ja auch langweilig sonst).
Nehmen wir nur das sogenannte Winterpaket, das die EU-Kommission am 30. November 2016 veröffentlicht hat. Das weit über 4000 Seiten umfassende Dokument haben Sie natürlich schon gelesen und wissen daher, dass die Kommission ihren Vorschlag als das größte und umfangreichste Gesetzespaket einordnet, das jemals für einen einzelnen EU-Wirtschaftssektor geplant wurde. Betroffen scheint jedes Glied der Wertschöpfungskette.
Weiter wird Ihnen die allgemeine Digitalisierung noch einiges abverlangen. Schon jetzt redet jeder über Blockchain. Und auch wenn die Distributed Ledger Technologie immer noch nicht wirklich allgemeinverständlich ist, als disruptiv wie das Internet wird sie gleichwohl eingeschätzt. Sie müssen sich also damit und auch weiteren Entwicklungen aktiv auseinandersetzen. Dabei ist völlig wurscht, ob Sie ein digital native sind.
Bleiben die weiteren Herausforderungen der Energiewende (Belastung der Netze, Finanzierbarkeit der erneuerbaren Energien, niedrige Strompreise und so weiter) und die des allgemeinen Geschäftes. Denken Sie hier bitte an die Compliance-Regeln – ja, Sie brauchen welche – und ihre Wirksamkeit im Haus. Weihnachtsgeschenke der früheren Zeiten gibt es genau deswegen kaum mehr. Versendet werden unter dem Eindruck deutlicher und strenger Compliance-Vorschriften (vor gar nicht langer Zeit noch unter Abwinken in die „Recht-mussten-wir-schon-immer-bedenken-Ecke“ gestellt) elektronische Grußkarten mit dem Hinweis auf unternehmenseigene Spenden an soziale Einrichtungen. Das ist begrüßenswert und löblich, führt aber teilweise zu einer gewissen Entfremdung ehemals eng geliebter oder begeistert verfeindeter Marktteilnehmer. Vielleicht tröstet es Sie ein wenig, dass Sie Ihrem Anwalt immer ein Weihnachtsgeschenk machen dürfen. Das ist ziemlich eindeutig und auch ein bisschen schön, oder …
Ines Zenke ist Fachanwältin für Verwaltungsrecht. Als Partnerin der Kanzlei Becker Büttner Held berät sie vor allem Unternehmen der Energiebranche. Sie war Mitglied der Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs (KFK) und ist Vizepräsidentin des Wirtschaftsforums der SPD. Der Standpunkt von Ines Zenke ist zuerst im neuen Politikbriefing Tagesspiegel Background Energie&Klima erschienen. Mehr Informationen zum Background finden Sie hier: https://background.tagesspiegel.de/
Ines Zenke