Doppelte Wut in Serbien: Haben Geheimdienste Hooligans zu den Demos in Belgrad geschickt?
Womöglich versucht Präsident Vucic, die Proteste zu diskreditieren. Aber auch der echte Ärger gegen ihn wächst. In der Nacht zu Samstag gibt es neue Krawalle.
Der Sitzstreik ließ den Schlägern keine Chance. „Hinsetzen und Kapuzen runter!“, riefen die vor Serbiens Parlament kauernden Demonstranten den etwas ratlos wirkenden Trupps der durchtrainierten Maskenmänner in den schwarzen T-Shirts zu. „Schlagt nicht euer Volk, verhaftet die Hooligans!“, lautete die Botschaft an die Polizei.
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Fliegende Steine, vermummte Schläger, Dutzende Verletzte und wie von Sinnen auf Demonstranten prügelnde Polizisten: Zwei Nächte hatten die Bilder der heftigen Corona-Krawalle aus Belgrad die Welt schockiert. Die Schadensbilanz am Freitagmorgen, des dritten Tags der sich im ganzen Land ausbreitenden Proteste, fällt hingegen auffällig bescheiden aus: Zwei von Hooligans verprügelte Journalisten, eine von den unerbetenen Demonstrationsgästen in die sitzende Menge gefeuerte Rakete. In Belgrad mehren sich Hinweise, dass die heftigen Ausschreitungen in den Nächten zuvor inszeniert sein könnten sind.
Es ist nicht nur die Wut über die von Präsidenten Aleksander Vucic erst angekündigte und dann wieder abgeblasene Ausgangssperre, die die Demonstranten auf die Straßen treibt. Kritiker werfen dem autoritären Landesvater vor, für die Parlamentswahl am 21. Juni das Versammlungsverbot aufgehoben, das Ausmaß der Epidemie vertuscht zu haben – und die Verantwortung dafür nun bei seinen Landsleuten abzuladen.
Auch seine Versicherung, dass die Epidemie „besiegt“ sei, kehrt angesichts überfüllter Kliniken und steil steigender Todeszahlen nun wie ein Bumerang zurück. Doch haben Geheimdienste zur Diskreditierung der Proteste gar ihre Hooligan-Hilfstruppen in den Kampf gegen die eigene Polizei geschickt?
Von der Politik gesteuerte Hooligan-Gewalt hat in Serbien schon seit den Jugoslawien-Kriegen der 90er Jahre Tradition. Von dem Abfackeln der Barjakli-Moschee (2004) und den Belgrader Botschaftsbränden (2008) über die generalstabsmäßig vorbereiteten Krawalle bei der Pride-Parade 2010 bis hin zu von den mit Baseballschlägern bewaffneten Maskenmännern, die im April 2016 den illegalen Abriss einer ganzen Straßenzeile für das umstrittene Großprojekt „Belgrad am Wasser“ absicherten: Zufällig setzen sich die Schlägerhorden abseits der Fußballstadien selten in Bewegung.
„Vucic und die Hooligans – ein Pakt, der schon seit Jahren andauert“, erinnert das Portal „Nova“ an die „Ordnungsdienste“ polizeibekannter Hooligans, die Journalisten nicht nur bei dessen Amtseinführung 2017 zu spüren bekamen: Berichterstatter unabhängiger Medien und Oppositionspolitiker wurden an den beiden ersten Protesttagen auffällig oft zu Opfern von Prügelattacken vermeintlicher Demonstrationsteilnehmer. Die Regierung habe die Hooligans geschickt, um unter den Demonstranten für „Chaos“ zu sorgen, sagt Ex-Außenminister Vuk Jeremic: „Sie wollen uns gegeneinander aufhetzen.“
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Analyst Djordje Vukadinovic warnt vor einem „schwarz-weiß-Bild“. Nicht alle Jugendlichen, die sich in den vergangenen Tagen heftige Scharmützel mit der Polizei geliefert hätten, seien „Vucic-Hooligans“. Die Androhung der Verhängung der Ausgangssperre sei nur der Anlass für die Proteste, denen eine grundlegende Unzufriedenheit über die Alleinherrschaft von Vucic zugrunde liege: „Man muss einen Unterschied machen zwischen eingeschleusten Regime-Provokateuren und jungen Leute, die selbst zum Kampf gegen das Regime bereit sind.“
Hinweise auf eingeschleuste Schlägertrupps
Doch nicht nur die Gruppen von Maskenträgern in schwarzen T-Shirts, die sich schon vor Protestbeginn in den Seitenstraßen und hinter dem Parlament zu versammeln schienen, deuten darauf hin, dass die entscheidende Initiative bei den Krawallen von gut instruierten Berufsschlägern ausging. Es sei offensichtlich, dass ein Teil der Demonstranten unter „direktem Einfluss des Sicherheitssektors“ gestanden habe, um die Proteste zu diskreditieren, sagt Momir Stojanovic, der frühere Chef des Militärgeheimdienstes VBA.
In einer genauen, vom Webportal „Dnevnizurnal“ veröffentlichten Analyse der Video-Aufnahmen der Ausschreitungen beim Sturm aufs Parlament vom Dienstag kommt der frühere Polizeibeamte Vladimir Savic zu dem Schluss, dass als „falsche Hooligans“ eingeschleuste Agenten der Sondereinheit OPA des Innenministeriums vor dem Parlament die Krawalle entscheidend initiierten: „Vermummte OPA-Agenten attackierten und provozierten bewusst die Polizei.“
Abgesänge auf Vucic in Serbien scheinen verfrüht
Regierungspolitiker sehen dagegen ausländische Geheimdienste, Rechtsextremisten und die Opposition beim Versuch eines „Staatsstreichs“ am Werk. Gerät drei Wochen nach dem Erdrutschsieg der SNS bei der Parlamentswahl ausgerechnet in Serbien Europas erste Regierung über die Coronakrise im Straucheln?
Die höhnischen Abgesänge der Demonstranten auf Vucic scheinen verfrüht. Doch den steigenden Infektionszahlen dürften spätestens im Herbst die Rezession und Entlassungen folgen. „Die Unzufriedenheit der Leute nimmt zu“, sagt Stojanovic. „Wir werden einen sehr turbulenten Herbst erleben – mit ungewissem Ausgang.“
In der Nacht zu Samstag gibt offenbar 70 Festnahmen
Einen weiteren Vorgeschmack darauf bot der Freitaabend: Eine mehrstündige friedliche Kundgebung in Belgrad gegen die Corona-Politik der Regierung ist nach Angriffen von Randalierern gegen die Polizei erneut von Gewalt begleitet worden.
Eine Gruppe nationalistischer Demonstranten drang gewaltsam in das Parlament ein. Es kam zu Zusammenstößen mit der Polizei, die dann gegen Mitternacht den Ansturm gewaltbereiter Demonstranten mit Knüppeln und Tränengas beendete. Auch Journalisten und fotografierende Demonstranten wurden von Randalierern angegriffen. Nach Medienberichten wurden mindestens 70 Hooligans festgenommen. Mehrere Menschen seien verletzt worden, berichtete die Zeitung „Blic“.
Polizisten wurden mit Flaschen und Fackeln beworfen
Protestierende warfen Steine und Flaschen auf das Parlamentsgebäude. Eine Gruppe junger Männer durchbrach das Metallgeländer vor dem Parlament und drang, patriotische Lieder singend, in das Gebäude ein. Die Randalierer wurden dort jedoch von Polizisten erwartet, die sie wieder aus dem Gebäude herausdrängten und eine Kette um den Eingang bildeten. Die Polizisten wurden daraufhin mit Flaschen und Fackeln beworfen.
Nach etwa zwei Stunden setzten die Beamten Schlagstöcke und Tränengas ein, um die Ansammlung von Randalierern aufzulösen. Kurz darauf beendeten auch die übrigen Demonstranten, die sich friedlich verhalten hatten, ihre Protestkundgebung. Friedliche Proteste habe es auch in einer Reihe anderer Städte in Serbien gegeben, berichtete das Staatsfernsehen. (mit dpa)