EU-Streit mit Frankreich: Gute Schulden, schlechte Taktik
Macron macht den Franzosen Geschenke und überschreitet damit die Schuldenquote. EU-Kommissar Oettinger will das strafen. Er liegt falsch. Ein Kommentar.
Die Kommissare der Europäischen Union werden nach einem Länderproporz ernannt. Einmal bestätigt, darf ihre Nationalität keine Rolle mehr spielen. Sie sind dann Teil der Exekutive eines Staatenbundes von (noch) 28 eigenständigen Ländern, und sollten ihre Entscheidungen sach- und nicht herkunftsorientiert fällen. Das ist natürlich reine Theorie, denn niemand kann seine Bindungen und Mentalitäten einfach abschütteln. Wenn also EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici, ein ehemaliger französischer Finanzminister, keine Notwendigkeit sieht, Frankreich wegen eines absehbar zu hohen Staatsdefizits offiziell mit einem Verfahren zu überziehen, ist diese Milde vielleicht nicht ganz korrekt, aber vorhersehbar.
Wenig überraschend ist auch, dass Günther Oettinger, der aus Deutschland stammende Haushaltskommissar, die Weitherzigkeit seines französischen Kollegen nicht gefällt. Denn Oettinger ist ja nicht nur Schwabe, er kommt eben auch aus dem Land, das Verstöße gegen die Haushaltsdisziplin, es sei denn, man begeht sie selber (Kanzler Schröder) besonders schlimm findet.
Europa hat es nicht gern, wenn Deutsche Disziplin einfordern
So verbindet sich in ihm eine gewisse grundsätzliche Penibilität mit einer ungeschnörkelten Diktion. Was heißt: Wenn Oettinger argumentiert, ist für Zwischentöne wenig Platz.
Das ist in diesem Fall besonders schade. Nicht nur, weil man in Europa immer ziemlich genau hinhört, wenn Deutsche Disziplin einfordern. Sondern weil Frankreich wirklich ein Sonderfall ist. Sein junger Präsident hat einen beherzten Anlauf genommen, sein von überholten Verwaltungsstrukturen gelähmtes Land in die Moderne zu führen, ihm damit tatsächlich auch wirtschaftlich jene Größe zurückzugeben, die Frankreich einmal hatte. Leider hat er dabei übersehen, dass man die Menschen nur in Diktaturen zwingen kann, zu tun, wovon sie nicht überzeugt sind. Jetzt versucht er, die von ihm mental verletzten Franzosen durch Zugeständnisse zu beruhigen. Dass ihm das gelingt, dass weder Marine Le Pen noch die extreme Linke diese wirklich große Nation überrollen, muss jeder Europäer im gemeinsamen Interesse wünschen.
Im Mai 2016 wurde EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in einer ähnlichen Situation gefragt, warum er Paris gegenüber so milde sei. Seine Antwort lautete damals: „Weil es Frankreich ist“.