Was tun mit der AfD und ihren Wählern?: Gute Hetzer, böse Hetzer
Im Umgang mit der AfD plädieren Joachim Gauck und Bodo Ramelow für Differenzierung. Dafür werden sie kräftig gescholten. Zu Unrecht. Ein Kommentar
Manfred ist ein mittelalter, weißer Mann. Er fand es falsch, dass im Herbst 2015 mehr als eine Million Flüchtlinge und Migranten oft unkontrolliert ins Land gelassen wurden. Er fand es falsch, dass die Bundesregierung beschloss, sowohl aus der Atom- als auch aus der Kohleindustrie auszusteigen. Manfred plädiert für starke Nationalstaaten, deshalb mag er die Europäische Union nicht. Und dass Gendersternchen benutzt werden, regt ihn auf. „Das stört mich beim Lesen“, sagt er.
Welche Partei soll Manfred wählen? Inhaltlich gibt es die meisten Übereinstimmungen mit der AfD. Doch deren Vertreter werden als rechtspopulistisch, rechtsextrem oder Nazis tituliert. Auch Manfred empört sich über viele Äußerungen von AfD-Politikern. Mit Umvolkungsthesen oder der Einordnung der Nazi-Diktatur als „Vogelschiss“ der deutschen Geschichte will er nichts zu tun haben. Björn Höcke, der Anführer des völkisch-nationalistischen Flügels, ist ihm zu radikal, Rassismus lehnt er ab. Soll Manfred also gar nicht wählen? „Jeder AfD-Wähler ebnet Nazis den Weg an die Macht“, schreibt ein Kollege auf Twitter.
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow hat soeben dem AfD-Kandidaten für das Vizepräsidentenamt im Landtag seine Stimme gegeben. Damit wolle er den Weg freimachen „für die parlamentarische Teilhabe, die jeder Fraktion zugebilligt werden muss“. Dafür wurde Ramelow ebenso heftig kritisiert wie vor 14 Tagen Joachim Gauck, der ehemalige Bundespräsident. Der hatte gesagt, er könne es nicht ab, „wenn alle Wähler der AfD als Faschisten bezeichnet“ werden. Man müsse diese Partei am Diskurs teilhaben lassen. „Sonst gibt es einen Solidarisierungseffekt gerade unter denen, die nicht politisch denken.“
Wenn aus Worten Taten werden
Damit könnte Manfred gemeint sein. Ihm fällt es oft schwer, hinter der Kritik an Äußerungen von AfD-Politikern nicht auch den Versuch zu wittern, alle Inhalte dieser Partei zu diskreditieren. An dieser Stelle ist Manfred empfindlich. Er sieht Deutschland auf einem falschen Weg und möchte zu einer Korrektur beitragen. Jede andere Partei als die AfD vertritt in entscheidenden, für ihn wesentlichen Punkten andere Inhalte als er.
Dürfen Nicht-AfD-Parteien um einen wie Manfred werben und mit ihm diskutieren? Oder sollten sie ihn als hoffnungslosen Fall betrachten, als unverbesserlichen Teil des Rechtsrucks, als Wegbereiter des rassistischen Verbrechens von Hanau, des antisemitischen Anschlags von Halle und des Mordes an Walter Lübcke? Seit 1990 haben Rechtsextreme und Rassisten mindestens 170 Menschen in Deutschland ermordet. Ist Manfred daran schuld? Trägt er eine Mitverantwortung für diese Verbrechen?
Es gibt einen trotzigen Solidarisierungseffekt
Wer Hass und Hetze verbreitet, so heißt es, darf sich nicht wundern, wenn aus Worten Taten werden. Manfred verbreitet weder Hass noch Hetze, manchmal fragt er sich: Darf zwar gegen die AfD gehetzt werden, nur sie selbst darf es nicht?
Der demokratische Diskurs verlangt Differenzierung. Da ist die AfD als Partei, die in Teilen vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Da sind Vertreter der AfD, die mit Rassisten gemeinsame Sache machen. Da sind Wähler der AfD, die einem Höcke voll innerer Überzeugung zujubeln. Aber es gibt eben auch – Manfred, also Wähler der AfD, die keine Antisemiten, Rassisten oder Geschichtsrevisionisten sind.
Wer das leugnet oder bagatellisiert, gerät in Gefahr, jenen trotzigen Solidarisierungseffekt zu provozieren, vor dem Gauck warnt. Genau hinsehen: Das ist das Gebot im Umgang mit der AfD und ihren Wählern. Nur dann besteht die Chance, auch einem wie Manfred gerecht zu werden – und vielleicht sogar einem Politiker wie Bodo Ramelow.
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