Eine Friedenspartei rüstet auf: Grüne Jugend nennt Bundeswehr-Milliarden „Hauruckaktion"
Ausgerechnet ein Bundesregierung mit Grünen-Beteiligung verkündet das größte Aufrüstungsprogramm seit dem Zweiten Weltkrieg. In der Partei wird Kritik laut.
Die kippende Stimmungslage der Grünen war am Sonntag in der Sondersitzung des Bundestags während der Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz zu beobachten. „Wir müssen deutlich mehr in die Sicherheit unseres Landes investieren, um unsere Freiheit und Demokratie zu schützen“, sagte der Kanzler und alle Grünen-Abgeordnete klatschten. Dann wurde Scholz konkreter. Man brauche eine „leistungsfähige, hochmoderne Bundeswehr“. Verhaltener Applaus von den Grünen.
Schließlich nannte der Kanzler den Preis für die Sicherheit: 100 Milliarden Euro werde man im Haushalt 2022 via Sondervermögen der Bundeswehr zur Verfügung stellen, in Zukunft mehr als zwei Prozent des Bruttosozialprodukts in die Verteidigung investieren. Im Parlament brandete großer Applaus auf, auch die Unions-Politiker klatschten zufrieden. Die Grünen-Abgeordneten saßen versteinert auf ihren Stühlen, von ihnen klatschte niemand.
Bei den Grünen fühlen sich in diesen Tagen viele von der Geschichte eingeholt. Schon in ihrer ersten Regierungsbeteiligung musste die Partei über Grundwerte ihrer DNA diskutieren, damals die Beteiligung der Bundeswehr am Kosovokrieg. Nun, nur 82 Tage nach Regierungsantritt, Waffenlieferungen an die Ukraine und das größte Aufrüstungsprogramm seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.
Dabei sehen in der pazifistischen Partei längst nicht alle die Lage so alternativlos wie Vizekanzler Robert Habeck. „Wer einer militärischen Vergewaltigung zuschaut, der macht sich schuldig daran“, sagte der Realo-Grüne in seiner Rede im Bundestag.
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Habeck hatte sich schon bei einem Ukraine-Besuch im Wahlkampf für Waffenlieferungen ausgesprochen und war dafür auch aus seiner eigenen Partei hart kritisiert worden. Er empfinde Hochachtung vor einer "Position des unbedingten Pazifismus", sagt er am Sonntag im Bundestag. Er fügte aber hinzu: "Ich achte sie, aber ich halte sie für falsch." Der russische Überfall auf die Ukraine erfordere konkrete Gegenmaßnahmen.
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Doch vor allem dem linken Parteiflügel geht die Kehrtwende viel zu schnell. Kritik kommt beispielsweise von der Grünen Jugend: „Das von Scholz vorgeschlagene Sondervermögen ist eine mittel- bis langfristige Grundsatzfrage der Ausrichtung der Bundeswehr und leistet keinen Beitrag zur Lösung des russischen Angriffskriegs“, sagte Timon Dzienus, Co-Chef der Nachwuchsorganisation, dem Tagesspiegel.
Man sei von Scholz‘ Vorschlag irritiert. „Statt einer übers Knie gebrochenen Hauruckaktion samt Grundgesetzänderung braucht es eine breite politische und gesellschaftliche Debatte", sagte Dzienus.
Auch inhaltlich äußerte er Kritik an der Entscheidung der Bundesregierung. „Der vermeintliche Investitionsbedarf bei der Bundeswehr resultiert insbesondere aus Missmanagement und Fehlplanung, nicht aus fehlendem Budget“, sagte Dzienus.
Etwas zurückhaltender äußerte sich Agnieszka Brugger, Verteidigungsexpertin der Grünen und stellvertretende Fraktionsvorsitzende. "Die Sicherheit auf unserem Kontinent muss uns mehr wert sein als bisher", sagte sie dem Tagesspiegel.
Es brauche zwar eine gut ausgestatte Armee, „doch die Probleme bei der Bundeswehr sind nicht allein mit mehr Geld zu heilen“, sagte sie. „Es mangelt an klaren Prioritäten und es gibt noch viel zu verbessern beim Management der Rüstungsprojekte, von den Verträgen bis zum Materialerhalt.“
Lang: "Wir reden über alles noch"
Für die neue Parteichefin Ricarda Lang, die sich ebenfalls dem linken Flügel zuordnet, keine leichte Situation. Sie muss den grünen Ministern in der Bundesregierung den Rücken stärken und gleichzeitig die Basis beruhigen. "Die Grünen sind für mich eine Friedenspartei", sagt die 28-Jährige am Montag auf einer Pressekonferenz. Das bedeute aber nicht, dass man jedes militärische Mittel ablehne. "Es geht darum, dass Frieden immer das Ziel ist."
Doch auch Lang lässt am Montag durchblicken, dass ihre Partei noch Gesprächsbedarf habe. "Wir werden ganz sicher unsere Parteibasis einbinden", verspricht die Grünen-Chefin und kündigt interne Debatten dazu an.
Und auch innerhalb der Ampel-Regierung sei der Kurswechsel in der Sicherheitspolitik nicht abgeschlossen. "Wir sind uns gemeinsam einig, dass die Verteidigungsausgaben steigen müssen." Über die Details müsse man sprechen. Die Grünen wollen die Gelegenheit nutzen, um die Schuldenbremse aufzuweichen und außerdem mehr Geld für die Energiewende. Auf die Frage, ob die 100 Milliarden Euro fix seien, sagte Lang: „Wir reden über alles noch.“