14 Milliarden für die Kommunen: Große Rechtsverwirrung bei der Reform der Grundsteuer
Die Koalition streitet über die Grundsteuerreform, die sich immer mehr verzögert. Eine Rolle spielen Verfassungsfragen. Aber worum geht es eigentlich?
Sie sollte schon im Herbst stehen, dann im Februar, es wurde aber März, schließlich kam der April – und nun spricht man vom Mai als entscheidendem Datum. Die Reform der Grundsteuer wird immer mehr zu einer Geschichte von Pannen, Verzögerungen und Zeitdruck. Der neueste Grund, dass das Bundeskabinett den Entwurf von Finanzminister Olaf Scholz (SPD) vorerst nicht beschließen wird: Man braucht noch ein verfassungsrechtliches Symposium, um den Koalitionskonflikt zwischen Union und SPD aufzulösen.
Der begann vor einigen Wochen, als Scholz und das Gros der Länderfinanzminister sich auf einen Kompromiss verständigten, der keinen wirklich befriedigte. Am allerwenigsten die bayerische Staatsregierung, weshalb die CSU die Berliner Koalitionskarte zog und den CDU-Teil der Bundestagsfraktion zum Mittun bewegte.
Seither ist aus der verschleppten Reform endgültig eine Hängepartie geworden. In der Union meint man, der Entwurf von Scholz beruhe zu stark auf Grundstücksbewertungen - Bodenrichtwerte und Nettomieten sind im Modell des Vizekanzlers in der Tat die entscheidenden Stellschrauben.
In CSU und CDU wird dagegen ein Flächenmodell ohne Wertbasierung (oder jedenfalls mit einer geringeren Gewichtung von Bodenwerten und Mieten) favorisiert, das aber die SPD ablehnt – darin unterstützt von allen Kommunalverbänden und einer klaren Ländermehrheit.
Länder sollen eine Rolle spielen
Bei der Frage, wie man aus der Konfrontation herausfindet, sind die Streitparteien nun beim Grundgesetz gelandet und damit beim Verfassungssymposium im Hause Scholz. Da auch in der Union eigentlich niemand ein Scheitern der Reform riskieren möchte, schließlich geht es um gut 14 Milliarden Einnahmen für die Kommunen, soll eine Regelung die Lösung sein, in der die Länder irgendwie eine Rolle spielen dürfen. Und zwar nicht über den Bundesrat, dort mischen sie ja ohnehin mit, sondern eigenständig.
Am liebsten möchte man in München ein eigenes bayerisches Grundsteuergesetz haben, das einfacher und weniger bürokratisch sein solle, wie Ministerpräsident Markus Söder und sein Finanzminister Albert Füracker (beide CSU) gerne betonen – aber eben auch alle Grundstücke gleich behandeln würde, da es die Steuer nur nach Fläche bemessen würde, ohne jede Wertkomponente.
Füracker wirbt für das Modell auch mit dem Argument, dass steigende Bodenpreise und steigende Mieten automatisch zu einer steigenden Grundsteuer und damit – über die Nebenkostenumlage – auch höheren Mieten führen würden. Allerdings lässt sich das über den bei der Grundsteuer üblichen kommunalen Hebesatz, der natürlich auch im Scholz-Modell vorgesehen ist, dämpfen.
Freigabe? Öffnungsklausel?
Doch die Bayern sind hartnäckig. Füracker will entweder eine gesetzliche Freigabe für eigenständige Länderregelungen durchsetzen oder zumindest eine Öffnungsklausel im Bundesgesetz. Schnell hat sich gezeigt, dass die Koalition hier in schwieriges verfassungsrechtliches Gelände geraten ist. Das fängt schon damit an, dass gar nicht klar ist, wer vernünftigerweise die Gesetzgebungszuständigkeit hat – der Bund oder die Länder?
Das Bundesverfassungsgericht ließ das in seinem Urteil vor einem Jahr, in dem die Reform bis Ende 2019 verlangt wurde, offen. Bis zu einer Verfassungsänderung 1994 war der Bund eindeutig Herr des Verfahrens, seither muss er gute Gründe finden, um die Grundsteuer per Bundesgesetz zu regeln – zum Beispiel eine drohende Gefährdung der Rechts- und Wirtschaftseinheit. Was natürlich bei einer Steuer, bei der die Kommunen seit jeher über ihre Hebesatzautonomie die Höhe festlegen, nicht ganz einfach ist. Zudem kann der Bund die Grundsteuer nur noch fortschreiben, also als wertbasierte Steuer wie bisher modifizieren, nicht aber völlig neu konzipieren – ein Flächenmodell ginge per Bundesgesetz somit gar nicht.
Bund nur noch eingeschränkt zuständig
Das bedeutet, dass der Bund als Gesetzgeber in einen Rahmen gezwängt ist – völlig frei bei der Gesetzgebung wären nur die Länder, ließe man sie denn ran. Doch verlangt das Grundgesetz (der Artikel 125a ist entscheidend) hierfür eine ausdrückliche Freigabe durch den Bund.
Damit entsteht die merkwürdige Situation, dass die Grundsteuer praktisch gar nicht mehr geregelt werden könnte, gäbe es Ende 2019, wie von Karlsruhe verlangt, kein neues Grundsteuergesetz. Das alte Gesetz würde dann formell fortbestehen, könnte aber wegen Verfassungswidrigkeit nicht angewendet werden - und würde dennoch eigene Gesetze der Länder blockieren (so wie schon bei der Vermögensteuer). Es sei denn, der Bund würde sein Gesetz zügig aufheben, damit die Länder bis Ende 2019 eigene Gesetze machen könnten, wofür es jetzt ein bisschen spät ist. Das gilt letztlich aber auch für das Vorgehen über ein Freigabegesetz, die Lieblingsvariante der Bayern.
Daher wird es eher auf Öffnungsklauseln im Bundesgesetz hinauslaufen. Solche Klauseln sind problemlos möglich, grundsätzlich jedenfalls. Scholz ist dafür sogar offen, auch wenn er Zweifel hat, dass sie den Ländern tatsächlich viel bringen würden. Aber auch hier steckt der Teufel nicht nur im Detail, sondern in der grundsätzlichen Frage: Wie weit kann man gehen?
In München und der Unionsfraktion wäre man zweifellos begeistert, ginge die Öffnung sehr weit – so dass Bayern ein Flächenmodell umsetzen könnte. Damit würde der Bund sozusagen die Neukonzeption, die ihm verwehrt ist, den Ländern ermöglichen. Aber geht das, wenn er doch eigentlich bei Neukonzeption seine Zuständigkeit verliert? Also wird eine Öffnungsklausel wohl nur Eigenständigkeit im Rahmen eines Wertmodells zulassen, was immerhin ermöglichen könnte, die einzelnen Komponenten im Gesetz anders zu ordnen. Damit könnte Bayern der Fläche mehr Gewicht geben als Bodenwert und Nettomieten.
Absicherung in der Verfassung?
Doch treibt die Befürworter der Öffnungsklausel noch etwas um: Der Bund kann sie ja einfachgesetzlich immer ändern oder abschaffen, was dann wieder die Ländergesetze hinfällig machen würde. Daher ist man im Unionslager auf die Idee gekommen, die Öffnungsklausel im Grundgesetz zu verankern. Damit wäre sie nur mit Zweidrittelmehrheit von Bundestag und Bundesrat zu kippen. Aber bindet das den Bundesgesetzgeber dann nicht zu sehr?
Eine weitere Variante, die das Grundgesetz bietet, wird offenbar gar nicht erwogen. Im Artikel 72 ist mit der Föderalismusreform 2006 – vor allem auf bayerischen Druck hin – ein so genanntes Abweichungsrecht ermöglicht worden. Das erlaubt eine Art Parallelgesetzgebung. Wenn der Bund etwas geregelt hat, dann können die Länder danach eigene Gesetze machen, die eine andere Tendenz haben können.
Allerdings gilt das bisher nur für wenige Materien: Jagdwesen, Naturschutz und Landschaftspflege oder Raumordnung. Steuergesetzgebung fällt nicht darunter, man müsste also die Grundsteuer per Verfassungsänderung in den Katalog aufnehmen. Aber das Abweichungsrecht ist noch nie in Anspruch genommen worden. Und ob es ausgerechnet bei einer Steuerart erstmals getestet werden sollte, dürfte umstritten sein.
Kurzum: Die Sache ist komplex und wirkt mittlerweile ein wenig absurd. Das Karlsruher Urteil vom April 2018 und der seitherige Gesetzgebungsprozess haben in Verbindung mit einer auch nicht sehr eindeutigen Verfassungslage eher für Rechtsverwirrung als für Rechtsklarheit gesorgt.
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