Volksentscheid: Große Mehrheit in Irland für die Homo-Ehe
62 Prozent der Wähler sind für die Homo-Ehe. Das ist das amtliche Endergebnis des Referendums über die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe in Irland. Vor 20 Jahren machten sich Schwule in dem katholischen Land noch strafbar.
Die Wählerinnen und Wähler der Republik Irland haben alle Unterschiede zwischen einer heterosexuellen und der gleichgeschlechtlichen Ehe beiseitegefegt. Künftig wird auch der Lebensbund zwischen Schwulen oder Lesben in der Verfassung anerkannt und mit einem besonderen Schutz ausgestattet. Das ist das Ergebnis eines Referendums am Freitag. Es war das erste Mal, dass ein souveräner Staat per Volksentscheid über die Einführung der Homo-Ehe entschieden hat.
Viele Iren waren eigens aus dem Ausland angereist, um von ihrem Abstimmungsrecht Gebrauch zu machen – und ein wenig Geschichte zu schreiben. Die Wahlbeteiligung lag offenbar deutlich höher als dies in Irland bei Verfassungsreferenden üblich ist. Vor allem junge Menschen sollen die Gelegenheit genutzt haben. Laut dem amtlichen Endergebnis stimmten knapp 62 Prozent für die Anerkennung.
Die irische Gesellschaft hat einen langen Weg in verblüffend kurzer Zeit zurückgelegt. Die katholische Kirche und der Staat hatten jahrzehntelang alles daran gesetzt, dass jegliche Andersartigkeit entweder unterdrückt, exportiert oder mit Gefängnis bestraft wurde. Noch 1986 wurde die Einführung der zivilen Ehescheidung wuchtig abgelehnt; erst 1995 willigte eine hauchdünne Mehrheit ein, dass Heterosexuelle eine zweite Beziehungs-Chance erhalten sollten.
Urteil erzwang Entkriminalisierung
Schwule und Lesben sahen sich zur Auswanderung genötigt, da ihre Neigung vom irischen Staat als Straftatbestand behandelt wurde. Erst ein von der späteren Präsidentin Mary Robinson erstrittenes Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte erzwang die Entkriminalisierung. Das war 1993. Die eingetragene Partnerschaft wurde erst 2011 eingeführt. Rechtlich ändert die Gleichstellung der Homo-Ehe in der Verfassung nicht viel. Gewiss, die Partnerschaften wurden nur auf Gesetzesebene eingeführt, was eine willkürliche Änderung nicht völlig ausschloss. Aber abgesehen davon wurde das Referendum vor allem als Chance gesehen, das Selbstverständnis der Gesellschaft neu und offener zu definieren.
Zwei voneinander unabhängige Entwicklungen haben den Prozess wohl beschleunigt. Zum einen hat die einst dominante katholische Kirche – die in Irland lange Zeit besonders autoritär war – seit Mitte der 90er Jahre ihre moralische Autorität weitgehend eingebüßt. Eine Flut von Enthüllungen über Kindesmissbrauch und dessen systematische Vertuschung zerstörte den Anspruch auf Glaubwürdigkeit.
Zum anderen setzte gleichzeitig die irische Wirtschaft zum großen Sprung an. Die Gesellschaft wurde nicht nur wohlhabender, sondern auch materialistischer. Von der Kanzel verkündete Ideale über Ehe und Familie erschienen angesichts der immer bunteren Lebenswirklichkeit überkommen. Auch strömten zehntausende junger Familien aus der Emigration in die Heimat zurück, um am ökonomischen Erfolg teilzuhaben. Sie wirkten, dank ihrer Erfahrungen im Ausland, als eine Art Gärstoff.
Fiktion scheitert an Wirklichkeit
Gemeinhin nehmen Irinnen und Iren gesellschaftliche Konflikte ohnehin durch das Brennglas ihrer Familien, Freunde und Bekannten wahr. Abstrakte Konzepte stoßen auf weniger Verständnis. Solange Kirche und Staat das Phänomen gescheiterter Ehen und homosexueller Vorlieben erfolgreich tabuisierten, konnte der Gesetzgeber zumindest dem Schein nach die Konformität mit dem kanonischen Gesetz pflegen.
Doch diese Fiktion ist inzwischen an der Wirklichkeit gescheitert. In den vergantgenen Wochen und Monaten erzählte sich die Menschen im Land hingebungsvoll Lebensgeschichten. Ältere Schwule und Lesben schilderten zum Beispiel, wie sie die Ausgrenzung erlebt hatten, die jüngere Generation erhob Anspruch auf bedingungslose Gleichbehandlung. Die Gegner der Gleichstellung betonten das Recht von Kindern, sowohl einen Vater als auch eine Mutter zu haben.
Bischöfe und Priester priesen die Andersartigkeit der beiden Geschlechter. Die Gleichstellung der Homo-Ehe auf Verfassungsebene werde, so mahnten die Gegner, unweigerlich auch die Bedeutung der heterosexuellen Ehe verändern. Wie die Volksabstimmung zeigt, gab es für diese Argumentation keine Mehrheit.
Martin Alioth