Bootsflüchtlinge: Großbritannien verlegt weitere Schiffe in Ärmelkanal
Immer mehr Migranten versuchen, mit Schlauchbooten die Meerenge zu überqueren. Um der Lage Herr zu werden, reduziert London jetzt sein Engagement im Mittelmeer.
Die britische Regierung hat zwei Schiffe für Patrouillenfahrten im Ärmelkanal aus dem Mittelmeer abberufen. Das teilte der britische Innenminister Sajid Javid am Montagabend in London nach einer Krisensitzung mit. Eines der beiden Schiffe ist bislang in humanitärer Mission für die europäische Grenzschutzagentur Frontex im Einsatz.
Grund für den Schritt ist die steigende Zahl der Flüchtlinge, die versuchen mit kleinen Booten von Frankreich nach Großbritannien zu gelangen. „Es geht darum, Menschenleben zu schützen, aber auch um den Schutz unserer Grenzen“, sagte Javid. Im Jahr 2018 haben dem britischen Innenministerium zufolge 539 Menschen probiert, die Meeresenge in kleinen Booten zu überqueren, 434 davon allein seit Anfang Oktober. 227 Migranten seien noch von den französischen Behörden gestoppt worden.
Am Silvesterabend wurden erneut Bootsflüchtlinge an der nordfranzösischen Küste aufgegriffen. 14 Migranten wurden Medienberichten zufolge in Boulogne-sur-Mer festgenommen, als sie versuchten, mit einem gestohlenen Fischerboot den Hafen zu verlassen. Sie wollten damit über den Ärmelkanal nach Großbritannien gelangen, wie die französische Nachrichtenagentur AFP am Dienstag unter Berufung auf die Staatsanwaltschaft berichtete.
Unter den Migranten waren demnach auch zwei Kinder. Die Bootsflüchtlinge wurden der Grenzpolizei übergeben. Auch die Zeitung „La Voix du Nord“ berichtete über den Vorfall – schrieb allerdings von 17 Migranten. Die Polizei ist dem Zeitungsbericht zufolge besonders wachsam, nachdem es in den vergangenen Tagen immer wieder zu Versuchen gekommen sein soll, Boote zu stehlen.
Der britische Innenminister Javid hatte die Lage bereits am Freitag als „schwerwiegendes Ereignis“ eingestuft und seinen Familienurlaub abgebrochen. Der Innenminister steht wegen des Themas zunehmend unter Druck. Die Regierung in London wolle weiterhin zu ihrer Verpflichtung im Rahmen der humanitären Frontex-Mission im Mittelmeer stehen, hieß es in einer Mitteilung des Innenministeriums. Ein weiteres Schiff verbleibe daher im Mittelmeer.
Labour: Regierung stachelt mit Einwanderungsfragen auf
Der Einsatz der Schiffe im Ärmelkanal ist umstritten. Nach Ansicht von Kritikern könnte die erhöhte Präsenz britischer Schiffe einige Migranten erst dazu ermutigen, die Überfahrt anzutreten, weil sie eher darauf hoffen können, gerettet und nach Großbritannien gebracht zu werden. Der Schlüssel zu dem Problem liege in der Kooperation mit den französischen Behörden und darin, Migranten an der Reise zu hindern sowie kriminelle Organisationen zu bekämpfen, betonte Javid der Mitteilung zufolge.
Viele der Migranten geben an, aus dem Iran zu stammen. Laut einem BBC-Bericht werden sie von Schleppern wegen des anstehenden EU-Austritts unter Druck gesetzt, die gefährliche Überfahrt noch in diesem Winter zu unternehmen. Danach, so die Drohung, würden die Kontrollen weiter verschärft. Der Ärmelkanal gilt als einer der befahrensten Seewege der Welt. Aber auch das verhältnismäßig milde Wetter gilt als Grund für die Häufung der Fälle.
Labour-Innenexpertin Diane Abbott warf der Regierung am Montag vor, die Lage für die Mitte Januar anstehende Parlamentsabstimmung über das mit Brüssel ausgehandelte Brexit-Abkommen auszunutzen. „Die Leute werden mit Einwanderungsfragen aufgestachelt, weil die Regierung denkt, dass es der beste Weg ist, um die Leute dazu zu bringen, für ihren Deal zu stimmen“, sagte Abbott dem „Guardian“. (dpa)