Gespräche von Union und SPD: Groko-Verhandlungen gehen am Montag weiter
Langsam kommen die Gespräche von Union und SPD voran, es gibt Einigungen bei Wohnungspolitik und Digitalisierung. Doch für mindestens zwei große Brocken reicht die Zeit am Wochenende nicht mehr.
CDU, CSU und SPD müssen wegen des Streits um Gesundheit und Arbeitsmarkt in die Verlängerung. Die Koalitionsgespräche sollen am Montag fortgesetzt werden, da die Parteien bei einigen Themen noch "voneinander entfernt" seien, teilte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil am Sonntagabend um 19 Uhr mit. Am Abend dauerten die Verhandlungen dennoch an. Union und SPD berieten zunächst separat, anschließend trat die 15er Runde wieder zusammen. In der großen Gruppe wurde über die weiterhin offenen Streitpunkte Gesundheit und sachgrundlose Befristungen von Arbeitsverträgen gesprochen. Die Gespräche sollen am Montag um 10 Uhr im Willy-Brandt-Haus der SPD weitergehen.
Die Nachrichtenagentur dpa berichtete unter Berufung auf Verhandlungskreise, die Streitthemen Gesundheit und befristete Arbeitsverträge seien bisher noch nicht einmal angesprochen worden. Die potenziellen Koalitionäre hatten sich den Montag und den Dienstag als Puffertage freigehalten. Die Unterhändler wollen nun erneut im Willy-Brandt-Haus zusammenkommen. Unklar war zunächst, ob schon in der Nacht alle inhaltlichen Punkte abgeräumt werden können und dann am Montag nur noch der Koalitionsvertrag ausformuliert und in Form gebracht werden muss - oder ob auch die inhaltlichen Verhandlungen weitergehen.
Aus Verhandlungskreisen hieß es, man strebe an, alle Streitpunkte noch vor einer Unterbrechung in der Nacht auszuräumen. Anschließend müsste noch die große Runde von 91 Unterhändlern zustimmen. Vor einer öffentlichen Präsentation würden dann am Montag die Parteigremien beider Seiten zustimmen. Voraussichtlich würden auch die Fraktionen von CDU/CSU und SPD von den Parteispitzen über die Inhalte informiert.
Der CDU-Politiker und Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff, antwortete im ARD-Bericht aus Berlin auf die Frage, ob die Verhandlungen noch scheitern könnten: "Ich glaube es nicht. Ich hoffe es nicht. Ich wüsste auch kein Thema, das unüberwindlich ist." Baden-Württembergs CDU-Landeschef Thomas Strobl sagte im ZDF, man müsse sich noch über „gut zwei Dutzend Punkte“ einigen. Davon sei die Hälfte „eher schnell zu erledigen“. Offen war, ob und wann die Parteigremien beider Seiten zusammenkommen könnten, um eine Einigung abzusegnen. Zudem war geplant, dass auch die Bundestagsfraktionen von Union und SPD sowie die Öffentlichkeit über die Inhalte eines erneuten Koalitionsvertrages informiert werden.
Juso-Chef Kevin Kühnert trat trotz zahlreicher Teileinigungen für ein Ende der Verhandlungen ein. "Es finden sich viele sehr schräge Kompromisse", sagt er in der ZDF-Sendung Berlin Direkt. "Union und SPD liegen grundsätzlich in vielen Fragen auseinander." Die Einigungsmasse zwischen beiden Parteien sei sehr weit aufgebraucht. Neuwahlen seien bei einem Scheitern der Gespräche nicht zwingend: "Eine Minderheitsregierung sollte nicht ausgeschlossen werden."
Milliardenschweres Paket für mehr Wohnraum
SPD-Chef Martin Schulz hatte am Sonntag vor Beginn der Verhandlungen in der SPD-Zentrale in Berlin betont, vor allem sozialpolitische Fragen seien noch zu diskutieren. „Am Ende geht es darum, dass man nicht wegen der einen oder anderen Uhrzeit einen Druck aufbaut, den man in so einer Schlussphase beim besten Willen nicht gebrauchen kann.“ Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte, vor einer endgültigen Einigung stünden noch schwierige Verhandlungen. „Wir kennen unsere Aufgabe und versuchen, ihr gerecht zu werden.“ CSU-Chef Horst Seehofer verzichtete auf eine Stellungnahme.
Am Vormittag wurde bekannt, dass die möglichen Koalitionäre sich auf ein milliardenschweres Paket zur Schaffung von mehr Wohnraum geeinigt haben. Damit soll besonders der rasante Mietenanstieg in Großstädten gedämpft und der soziale Wohnungsbau gestärkt werden. Im Gespräch ist hierfür eine Summe von zusätzlich zwei Milliarden Euro bis 2021. Die 15 Personen umfassende Chef-Runde von CDU, CSU und SPD musste die Vorschläge der Arbeitsgruppe Wohnen aber noch absegnen.
Mit Projekten wie einem „Baukindergeld“ für Familien und Investitionsanreizen für die Bauwirtschaft soll erreicht werden, dass mehr Wohnungen entstehen - dieses Paket soll ebenfalls zusätzlich zwei Milliarden Euro umfassen. Um andere Themen wurde am Sonntag noch gerungen. SPD-Vize Manuela Schwesig sagte, sie erwarte von der Union stärkeres Entgegenkommen zur Stärkung ländlicher Räume. Sie kündigte an: „Wir haben unseren Mitgliedern versprochen, dass wir verhandeln, bis es quietscht, und das werden wir auch tun.“
Eine Einigung gab es auch im Bereich Kommunalpolitik. Die Abmachungen zielen darauf, die Lebensverhältnisse in Deutschland anzugleichen, wie der nordrhein-westfälische SPD-Landesvorsitzende Michael Groschek am Sonntag mitteilte. "Künftig wird nicht mehr nach Himmelsrichtung oder geographischen Daten gefördert." Das künftige Fördersystem solle sich allein an der Strukturschwäche einer Region orientieren. Im Verhältnis zwischen Bund und Kommunen solle künftig zudem das Motto gelten "Wer bestellt, bezahlt", sagte Groschek. Union und SPD verständigten sich demnach außerdem darauf, die Grundsteuer zu modernisieren, um zusätzliches Bauland zu schaffen, da nicht genutzte Grundstücke anders besteuert werden sollen.
"Es ist noch etwas zu tun, aber wir haben eine große Strecke geschafft", lobte Michael Müller (SPD) die Ergebnisse aus der Arbeitsgruppe Bauen und Mieten. „Ich glaube, wir sind große Schritte vorangekommen in zentralen Themenfeldern“, bilanzierte Berlins Regierender Bürgermeister am Sonntagabend im ZDF-„heute journal“. Müller sprach von einem „Neuanfang in der Bau- und Mietenpolitik“, er lobte etwa geplante Entlastungen für Mieter. „Das Gesamtpaket muss man natürlich noch bewerten, es sind wesentliche Fragen in den Bereichen Soziales und Arbeitsmarkt auch noch offen - aber es gibt eine Grundlage, die von Tag zu Tag besser wird.“
Recht auf schnelles Internet bis 2025
Für flächendeckend schnelles Internet wollen die Parteien bis zu zwölf Milliarden Euro investieren. Darauf verständigten sich die Unterhändler der Arbeitsgruppe „Digitales“ am Sonntag in Berlin. „Unser Ziel ist, dass alle am digitalen Fortschritt Teil haben“, sagte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil bei der Vorstellung der Ergebnisse in dem Bereich. In der kommendenden Legislaturperiode soll ein Fonds mit einem Volumen von zehn bis zwölf Milliarden Euro aufgelegt werden, um den Breitbandausbau vorantreiben. „Wir schaffen den Sprung vom Kupfer zum Glasfaser“, sagte Klingbeil. Bis 2025 soll ein Recht auf schnelles Internet gesetzlich verankert werden. Eine Daten-Ethikkommission soll eingesetzt werden, um „die großen Datenfragen“ zu klären. Die Bundesnetzagentur soll eine Melde-App für Bürger auflegen, um Funklöcher zu melden, wie CDU-Unterhändler Helge Braun sagte.
Aufgewertet werden soll das Thema E-Sport. Darauf verständigten sich die Unterhändler der Arbeitsgruppe „Digitales“ am Sonntag in Berlin. „Wir wollen dem Thema E-Sport einen größeren Bekanntheitsgrad geben“, sagte CSU-Unterhändlerin Dorothee Bär bei der Vorstellung der Ergebnisse. Deshalb soll das wettbewerbsmäßige Computerspielen im Vereins- und Verbandsrecht anerkannt und dem E-Sport eine „olympische Perspektive“ aufgezeigt werden. Union und SPD wollten dafür sorgen, dass Computerspiele „endlich den Stellenwert bekommen, den sie längst haben sollten“. Deutschland soll zudem als Entwicklungsstandort für Computerspiele gestärkt werden.
Kretschmer: Zustand der SPD "totales Führungsversagen"
Selbst wenn sich die Unterhändler auf einen Koalitionsvertrag einigen, ist noch lange nicht sicher, dass eine neue schwarz-rote Regierung tatsächlich zustande kommt. Geplant ist, den Vertrag den mehr als 440.000 SPD-Mitgliedern zur Abstimmung vorzulegen. An der SPD-Basis gibt es Vorbehalte gegen eine Neuauflage des Bündnisses. Hinzu kommt, dass die Partei zuletzt in Umfragen absackte. Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer gab der SPD-Spitze Verantwortung für die Lage der Sozialdemokraten. „Es ist totales Führungsversagen, dass die SPD in so einem schlechten Zustand ist“, sagte er der „Bild am Sonntag“. Ihm tue es leid zu sehen, wie viele in der Partei durch den Wind seien. „Selbst gute Fachleute haben eine Schere im Kopf und trauen sich nicht mehr, die richtigen Dinge zu entscheiden, weil sie Angst haben, das nicht bei ihrer Mitgliedschaft durchbringen zu können.“
In der SPD gibt es wachsende Bedenken gegen einen Einzug von Schulz als Minister und Vizekanzler in das Kabinett der geplanten GroKo. Intern wird die Frage nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur verstärkt diskutiert, aber wegen der laufenden Verhandlungen und mit Blick auf die Autorität von Schulz sind nur wenige bereit, sich öffentlich klar zu äußern.
Teileinigungen hatten die potenziellen Koalitionäre am Samstag in den Bereichen Klima und Energie sowie Landwirtschaft erzielt. So wollen sie etwa drohende Diesel-Fahrverbote in Städten verhindern und den schleppenden Ausbau der Elektromobilität beschleunigen. Die geschäftsführende Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) räumte aber ein: „Wir wissen nicht, ob wir Fahrverbote werden vermeiden können.“ Eine vor allem von Umweltverbänden geforderte blaue Plakette sei in den Koalitionsverhandlungen kein Thema gewesen. (mes, dpa, Reuters, AFP)