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Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) fürchtet, der Staat könne zum Handlanger bei Selbstmorden werden.
© dpa/ Maurizio Gambarini

Gerichtsurteil zur Sterbehilfe: Gröhe darf leidende Todkranke nicht länger warten lassen

Der Gesundheitsminister und die ihm unterstellte Behörde zögern damit, Anträge auf die Abgabe tödlicher Medikamente zu bearbeiten. Dabei sind sie in der Pflicht. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

In Wahlkampfzeiten ist sie wieder verstärkt zu hören, die populäre Forderung an den Staat, sich doch bitte selbst an Gesetz und Recht zu halten. Wer sie erhebt, befreit sich von Argumentationslasten und suggeriert, allein durch Rechtstreue würden sich politische Probleme lösen lassen. Ein Beispiel, wie man sich so die Welt einfacher machen kann, als sie ist, war die AfD und die Flüchtlingskrise.

Meist liegen die Dinge komplizierter. Das entbindet staatliche Stellen jedoch nicht von der Achtung vor dem Recht. Im Gegenteil. Sie wird umso wichtiger, je weniger populär die Themen werden. Etwa, wenn es um Alte und Schwache geht. Oder Todkranke. Für sie, so hatte das Bundesverwaltungsgericht vor nunmehr einem halben Jahr geurteilt, könne es in Ausnahmefällen bei starken Leiden und fehlenden Alternativen einen Anspruch auf die Abgabe von Medikamenten zur Selbsttötung geben.

Es ist ja wohl unstrittig, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung ein liberaleres Gesetz zur Sterbehilfe will.

schreibt NutzerIn egal69

Auch der Ethikrat wandte sich gegen das Urteil

Geschehen ist bisher nichts. Jedenfalls nichts, das wahrnehmbar wäre. Mehr als 40 Patienten haben seitdem entsprechende Anträge gestellt. Sie wurden mit Formschreiben abgespeist. Gesundheitsminister Hermann Gröhe gab die Losung aus, wonach sich der Staat niemals zum Handlanger einer Selbsttötung machen dürfe; die zuständige Behörde bat einen namhaften Rechtsprofessor, das Urteil erst einmal zu begutachten; der Deutsche Ethikrat verschickte eine Stellungnahme, wonach er den höchstrichterlich festgestellten Anspruch solcher Patienten „verneint“.

Sollte sich auch nur einer der Patienten in einer Lage befinden, die mit dem Fall vergleichbar ist, über den die Leipziger Richter seinerzeit zu urteilen hatten, ist das Zögern der Behörden ein Skandal.

Wer unzumutbar leidet und keinen anderen Ausweg sieht, darf nicht derart vertröstet werden. Die Betroffenen haben einen Anspruch darauf, dass ihr Fall geprüft und entschieden wird. Ausflüchte gibt es keine. Sollte der Minister, wie kolportiert wird, einen Erlass erwägen, wonach das Urteil für andere Fälle unanwendbar sein soll, würde er sich auf einen verfassungsrechtlichen Grenzgang begeben, bei dem er abrutschen kann.

Vielen Patienten dürfte mit palliativmedizinischer Beratung geholfen sein

Jeder Mensch hat das Grundrecht, sein Leben zu beenden. Wenn der Staat den Handel dafür nötiger Mittel einschränkt und den Erwerb von einer Genehmigung abhängig macht, liegt ein Eingriff in dieses Recht vor. Das ist die Ausgangslage, die von den vielen Kritikern des Urteils, auch im Bundestag, nicht hinreichend zur Kenntnis genommen zu werden scheint.

Der Staat hat Leben zu erhalten und die Umstände für alle so zu gestalten, dass in diesem Staat würdevoll gelebt leben kann.

schreibt NutzerIn cassi

Es ist ein Fehler des Gesundheitsministers, den Richterspruch zum Großkonflikt hochzumoderieren. Die behördliche Erlaubnis zum Erwerb todbringender Medikamente im Ausnahmefall ist nicht zu vergleichen mit dem Treiben privater Sterbehilfeorganisationen, das die Politik mit neuen Strafgesetzen unterbinden wollte. Auch dass ein Dammbruch droht, ist bei bundesweit knapp sieben Anträgen pro Monat nicht zu erkennen. Gröhe und das ihm unterstellte Bundesinstitut für Arzneimittel sollten pragmatisch handeln. Einiges spricht dafür, dass Antragstellern mit palliativmedizinischer Beratung wirksam geholfen sein könnte. Das können und müssen die Behörden leisten. Die Abgabe von Suizidmitteln wird die Ausnahme der Ausnahmefälle bleiben.

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