Leiden am Lebensende: Wie der Staat zur Sterbehilfe gezwungen wird
Das Bundesverwaltungsgericht legt seine Urteilsgründe zur staatlichen Abgabe tödlicher Medikamente vor. Sie sind auch ein Vorwurf an die Politik.
Erstmals in seiner Geschichte steht der deutsche Staat in der Pflicht, Sterbewillige bei der Selbsttötung unterstützen zu müssen – in extremen Ausnahmesituationen. So hatte es das Bundesverwaltungsgericht Anfang März entschieden (Az.: 3 C 19.15). Die Behörden einschließlich Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) wollten das schriftliche Urteil abwarten, bevor über die ersten Fälle entschieden wird. Seit Mittwoch liegt es vor.
Das Urteil weist dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine neue Aufgabe zu: zu prüfen, ob sich ein Sterbewilliger in einer „extremen Notlage“ befindet, auch mit Sachverständigen. Falls ja, kann das BfArM künftig gezwungen sein, tödliche Medikamente wie Natrium-Pentobarbital auszureichen. Mehr als 20 Anträge liegen der Behörde vor. Wer abgewiesen wird, kann klagen.
Richter fordern: Es darf keine Alternative geben
Viele Politiker, auch Gröhe, fürchten, der Staat mache sich so zum Handlanger des Todes. Zudem sehen sie den Willen des Gesetzgebers konterkariert, der mit Paragraf 217 im Strafgesetzbuch erst vor anderthalb Jahren ein Verbot organisierter Sterbehilfe erlassen hat. Seitdem kann belangt werden, wer anderen „geschäftsmäßig“ Gelegenheit verschafft, sich zu töten.
Die Richter treten dieser Kritik entgegen. Sie halten es zwar für richtig, dem BfArM die Ausgabe von Medikamenten zum Zweck der Selbsttötung zu untersagen. Mit Blick auf die grundgesetzlich geschützte Handlungsfreiheit und die Menschenwürde müsse aber eine Ausnahme gelten, unter drei Voraussetzungen: eine schwere Erkrankung mit Leiden, die nicht ausreichend gelindert werden können; die freie, bewusste und ernsthafte Entscheidung, das eigene Leben zu beenden; das Fehlen einer zumutbaren anderen Möglichkeit, den Sterbewunsch zu verwirklichen. Alle drei Punkte hätten bei der Frau des Klägers vorgelegen, die nach einem Sturz vom Hals an abwärts gelähmt war. Als sie keine tödliche Dosis erhielt, reiste sie in die Schweiz und nahm sich dort das Leben.
"Kein Angebot des assistierten Suizids"
Ärztliche Suizidbeihilfe ist nach Ansicht der Richter keine Alternative. Sie sei für Ärzte „mit erheblichen rechtlichen Risiken verbunden“ und möglicherweise strafbar. Auch die Reise ins Ausland sei unzumutbar. Der bloße Behandlungsabbruch sei nur ein Ausweg, wenn er „in absehbarer Zeit“ zum Tod führe. Zum neuen Paragraf 217 sehen die Richter keinen Widerspruch. Mit dem Urteil werde „kein staatliches Angebot des assistierten Suizids geschaffen, sondern dem Schutz des Selbstbestimmungsrecht schwer und unheilbar kranker Menschen Rechnung getragen“. Klare Worte. Und ein Vorwurf an das Parlament, beim Grundrechtsschutz versagt zu haben.
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