„Putins hemmungslose Gewalt": Gräueltaten von Butscha lösen international Entsetzen aus
Beim Rückzug russischer Truppen aus der Region Kiew wurden offenbar hunderte Zivilisten getötet. Bundesregierung und EU wollen Konsequenzen ziehen.
Zahlreiche europäische Politiker:innen haben sich entsetzt über die Bilder aus der ukrainischen Stadt Butscha geäußert. Dort wurden laut Angaben der ukrainischen Behörden fast 300 Leichen gefunden. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba beschuldigt Russland ein Massaker in Butscha verübt zu haben.
„Wir suchen immer noch nach Leichen, es gibt bereits Hunderte. Tote liegen auf den Straßen. Sie haben Zivilisten getötet als sie da waren und als sie diese Orte und Dörfer verlassen haben“, zitiert ihn das ukrainische Außenministerium auf Twitter. Die G7-Staaten müssten „vernichtende“ Sanktionen gegen Russland verhängen. Russland hat sich bislang nicht zu den Vorwürfen geäußert. Zuvor hatte das Präsidialamt mehrfach dementiert, Zivilisten anzugreifen.
Scholz will im Kreis der Verbündeten weitere Maßnahmen beschließen
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kündigte am Sonntagabend weitere Sanktionen an: „Wir werden im Kreis der Verbündeten in den nächsten Tagen weitere Maßnahmen beschließen.“ Deutschland werde der Ukraine weiter Waffen liefern, damit diese sich gegen Russland verteidigen könne.
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„Die Ermordung von Zivilisten ist ein Kriegsverbrechen. Diese Verbrechen der russischen Streitkräfte müssen wir schonungslos aufklären“, sagte Scholz. Die Täter und die Auftraggeber der „Gräueltaten“ müssten „zur Rechenschaft gezogen werden.“
Russlands Präsident Wladimir Putin und seine Unterstützer „werden die Folgen spüren, und wir werden der Ukraine weiterhin Waffen zur Verfügung stellen, damit sie sich gegen die russische Invasion verteidigen kann“, betonte der Kanzler. Er forderte Putin erneut zum sofortigen Waffenstillstand auf. „Es ist ein furchtbarer, sinnloser und durch nichts zur rechtfertigender Krieg“, fügte er hinzu.
Reporter der Nachrichtenagentur AFP berichteten, dass zahlreiche Toten zivile Kleidung getragen hätten. Sie sahen auf einer einzigen Straße in Butscha mindestens 20 Leichen liegen. Mindestens einem der Toten waren die Hände gefesselt.
Dem Krieg in der Ukraine seien mittlerweile tausende unschuldige Ukrainerinnen und Ukraine zum Opfer gefallen und das Töten gehe unvermindert weiter, so Scholz weiter. „Ich fordere Russland auf, endlich in einen Waffenstillstand einzuwilligen und die Kampfhandlungen einzustellen. Es ist ein furchtbarer, ein sinnloser und ein durch nichts zu rechtfertigender Krieg, der viel Leid erzeugt und niemandem nutzt. Er muss aufhören.“
Baerbock will Gewalt nicht unbeantwortet lassen
Zuvor hat das Außenministerium als Reaktion auf die Funde zahlreicher Leichen im ukrainischen Ort Butscha härtere Sanktionen gegen Moskau und weitere Militärhilfen für Kiew angekündigt. Die Bilder der „hemmungslosen Gewalt“ aus dem Vorort der Hauptstadt Kiew nach dem Rückzug der russischen Truppen seien „unerträglich“, schrieb Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) am Sonntag auf Twitter.
Die „hemmungslose Gewalt“ des russischen Präsidenten Wladimir Putin „löscht unschuldige Familien aus und kennt keine Grenzen“, schrieb die Außenministerin.
Gegenüber der „Bild“-Zeitung erklärte Baerbock am Sonntag: „Wir werden in der EU und mit unseren internationalen Partnern die Sanktionen gegen Putins Kriegsmaschinerie verschärfen. Butscha muss Auswirkungen beim 5. Sanktionspaket haben. Und wir werden die Ukraine noch stärker bei ihrer Verteidigung unterstützen.“
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sagte der „Bild“-Zeitung weiter: „Dieses furchtbare Kriegsverbrechen kann nicht unbeantwortet bleiben.“ Auch er halte eine Verschärfung der Sanktionen für angezeigt. Dies werde mit „unseren Partnern in der EU“ vorbereitet.
EU unterstützt Sanktionen
Die Europäische Union will die Untersuchung von „Gräueltaten“ der russischen Armee unterstützen. Ratspräsident Charles Michel zeigte sich am Sonntag im Onlinedienst Twitter „erschüttert“ über Bilder aus dem Ort Butscha und sprach von einem „Massaker“.
Die EU werde bei der „Sammlung der notwendigen Beweise für die Verfolgung vor internationalen Gerichten“ helfen, so Michel. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba sprach von einem „absichtlichen Massaker“ und forderte verschärfte Sanktionen.
Michel kündigte an, angesichts der „erschütternden Bilder“ aus Butscha den wirtschaftlichen Druck auf Russland weiter erhöhen zu wollen. „Weitere EU-Sanktionen und Unterstützung (für die Ukraine) sind auf dem Weg“, erklärte er auf Twitter.
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell twitterte, er sei über die Berichte über Gräueltaten der russischen Truppen „schockiert“. Sie müssten vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) aufgeklärt werden.
Die britische Außenministerin Liz Truss sprach von „empörenden Taten“ und forderte, dass „wahllose Angriffe gegen unschuldige Zivilisten während Russlands illegaler und ungerechtfertigter Invasion der Ukraine als Kriegsverbrechen untersucht werden müssen“.
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat sich nach der Entdeckung ebenfalls entsetzt gezeigt. „Eine unabhängige Untersuchung ist dringend erforderlich“, schrieb die deutsche Politikerin am Sonntag auf Twitter.
Steinmeier sichert Solidarität zu
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat Russland schwere Kriegsverbrechen in der Ukraine vorgeworfen. „Die von Russland verübten Kriegsverbrechen sind vor den Augen der Welt sichtbar“, erklärte Steinmeier am Sonntag in Berlin.
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„Die Bilder aus Butscha erschüttern mich, sie erschüttern uns zutiefst.“ In der wochenlang heftig umkämpften Vorstadt im Nordwesten Kiews waren zuvor zahlreiche Leichen entdeckt worden. Etwa 280 Menschen wurden in einem Massengrab beigesetzt.
Steinmeier betonte: „Die Repräsentanten der Ukraine haben jedes erdenkliche Recht, Russland anzuklagen und Solidarität und Unterstützung ihrer Freunde und Partner einzufordern.“ Zugleich versicherte der frühere SPD-Außenminister, die Solidarität und Unterstützung aus Deutschland müsse und werde weitergehen.
Zuvor hatte der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, dem Bundespräsidenten eine höchst bedenkliche politische Nähe zu Russland vorgeworfen. „Für Steinmeier war und bleibt das Verhältnis zu Russland etwas Fundamentales, ja Heiliges, egal was geschieht. Auch der Angriffskrieg spielt da keine große Rolle“, hatte Melnyk in einem Interview gesagt. (dpa, Tsp, AFP)