Berlin: Gorbatschow nach Treffen mit Merkel: Keine neue Mauer zulassen
Erst greift Gorbatschow den Westen an. Dann hält er nach Gesprächen mit Merkel und Kohl eine Versöhnungsrede. Und er rät zur rhetorischen Abrüstung in der Ukraine-Krise.
Nach einem Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat der frühere sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow Russland und die Europäische Union eindringlich zur Versöhnung aufgerufen. „Wir dürfen nicht zulassen, dass es zu einer neuen Mauer kommt“, sagte er nach dem 40-minütigen Gespräch zu den aktuellen Spannungen im Zuge der Ukraine-Krise. „Wir müssen über unseren Schatten springen und diese Risse überwinden.“ Merkel betonte bei dem Gespräch nach Angaben eines Regierungssprechers, welch große Bedeutung die deutsch-russischen Beziehungen langfristig trotz aller Differenzen haben. Der 83-jährige Gorbatschow, der als einer der Wegbereiter der deutschen Einheit gilt, hatte am Wochenende an den Feierlichkeiten zum 25. Jahrestag des Mauerfalls in Berlin teilgenommen. Dabei erhob er schwere Vorwürfe gegen den Westen und warnte mit Blick auf den Ukraine-Konflikt vor einem neuen Kalten Krieg.
"Ich empfinde großen Respekt für Frau Bundeskanzlerin"
Nach seinem Treffen mit Merkel schlug er bei einem feierlichen Abendessen der Senioren-Union deutlich versöhnlichere Töne an. „Solange Russland und die Deutschen, solange unsere beiden Länder zueinander finden, miteinander gut auskommen und gute Beziehungen pflegen, solange geht es allen gut“, betonte er. Gorbatschow rief dazu auf die Rhetorik „nicht nur herunterzufahren, sondern komplett zu verändern“. Über Merkel sagte er: „Ich empfinde großen Respekt für Frau Bundeskanzlerin. In Russland mag man sie sehr.“
Gorbatschow warnt vor einem neuen kalten Krieg
Gorbatschow hatte vor seiner Anreise nach Deutschland angekündigt, dass er bei dem Treffen mit Merkel als Fürsprecher des russischen Präsidenten Wladimir Putin auftreten wolle. Am Wochenende hatte er dem Westen und besonders den USA vorgeworfen, ihre Versprechen nach der Wende 1989 nicht gehalten zu haben. Stattdessen habe man sich zum Sieger im Kalten Krieg erklärt und Vorteile aus Russlands Schwäche gezogen. „Die Welt ist an der Schwelle zu einem neuen Kalten Krieg. Manche sagen, er hat schon begonnen“, mahnte Gorbatschow.
Treffen auch mit Helmut Kohl
Der frühere sowjetische Staatschef traf am Montag auch Helmut Kohl. Er würdigte den Altkanzler als „einmalige Persönlichkeit“ mit einem „unglaublichen Willen“. Von der Senioren-Union erhielt Gorbatschow die Goldene Medaille für Verdienste um Versöhnung und Verständigung unter den Völkern.
Bundestagspräsident Norbert Lammert warb in seiner Festrede bei Gorbatschow um Verständnis für die deutsche Position in der Ukraine-Krise. „Deutschland hat mit einer Sowjetunion unter Ihrer Führung sein Recht auf Selbstbestimmung realisieren können“, sagte der CDU-Politiker. „Niemand wird besser verstehen als Sie, dass wir Deutschen vor diesem Hintergrund (...) uns noch mehr als irgendein anderes Volk und irgendein anderes Land in Europa verpflichtet fühlen, dieses Recht für jedes Land gelten zu lassen. (dpa)