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Kanzlerin Angela Merkel und Präsident Wladimir Putin.
© AFP

Europas Umgang mit Russland, 25 Jahre nach dem Mauerfall: Eine Versündigung an der Historie

Allein schon, dass 25 Jahre nach dem Mauerfall wieder von zwei Seiten gesprochen wird - hier der Westen, da die Russen! Es spielt keine Rolle mehr, was vor 25 Jahren in Sachen Nato-Osterweiterung versprochen wurde. Es geht um Anerkenntnis von Sicherheitsinteressen und Realpolitik. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Hans-Dietrich Genscher, immer noch, immer wieder. Er war mal „Genschman“, der vormals rastlose Außenminister, und ist einer, der die Welt durch richtige Worte zur rechten Zeit zusammenhält. Europa braucht einen Neuanfang, aber wirklich. Alleine schon, dass 25 Jahre nach dem Mauerfall wieder von zwei Seiten gesprochen wird, die einander gegenüber stehen, auf der einen die Russen, auf der anderen der Westen – das ist eine Versündigung an der Historie. Welch eine Chance lag in der Öffnung, der Öffnung der Mauer und der politischen. Werden denn die Menschen niemals klug? Kein Antagonismus wird uns Milliarden das Überleben auf diesem Planeten sichern, nur der Gang über Brücken. Da dürfte es eigentlich keinen Michail Gorbatschow brauchen, uns daran zu erinnern.

Schon Otto von Bismarck wusste, dass der Erfolgreiche einen vorausschauenden Blick benötigt, dass er in jedem Besiegten schon im Vorhinein teils einen künftigen Alliierten, teils einen friedlichen Nachbarn sehen sollte. Und, war das so mit Russland 1989? Anfangs ja. Damals wurde auch noch vorausschauende Außenpolitik gemacht, so durch den Nato-Russland-Rat als das Gremium, Krisen vorzubeugen und Partnerschaft zu fördern. Heute aber, da wir die Krise haben – und was für eine –, tritt er nicht zusammen. Sagt Genscher und damit kurz und klar, dass und wie der Westen versagt.

Es geht gewissermaßen um einen Harmel Bericht 2.0

Es geht nicht mehr um vermeintliche Versprechen oder Abreden vor 25 Jahren, dass die Nato nicht gen Osten erweitert werde, sondern im Bewusstsein dieser Zeit um Realpolitik, um die neue Anerkenntnis von Sicherheitsbedürfnissen bei Wahrung der eigenen. Es geht gewissermaßen um einen Harmel-Bericht 2.0: Gestützt auf militärische Sicherheit Beziehungen herzustellen, mit deren Hilfe grundlegende politische Fragen gelöst werden können. Wirklich gelöst!

Wladimir Putin aus sowjetischen Zusammenhängen heraus zu definieren, führt offenkundig nicht weiter, denn er definiert sich entschieden als Führer einer neuen Nation. Das muss neues Denken hervorrufen. Interessanterweise hat dazu gerade ein anderer alter Staatsmann, der konservative George Shultz, gemahnt. Das „gemeinsame europäische Haus“, wie es Gorbatschow gefordert und Genscher immer gewollt hat, ist nicht ein Traum der Vergangenheit, sondern der logische Auftrag für die Zukunft.

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