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Wir brauchen mehr Fantasie in der Stadtentwicklung.
© Karlheinz Schindler/dpa

Stadtentwicklung in Berlin: Googelt euch doch mal was Neues!

Tech-Konzerne könnten jenseits von In-Bezirken nützlich sein. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Werner van Bebber

Ihr Geld verdienen sie im virtuellen Raum, doch wenn sie es investieren, hat das Folgen in der analogen Wirklichkeit. Kleines Beispiel? Ein boomendes Jungunternehmen kauft und mietet in einem attraktiven, aber nicht sehr noblen Stadtteil alles an Büro- und Wohnflächen, was verfügbar ist. Nach gerade einmal neun Jahren eines kommunikativ-virtuellen Siegeszugs in der Welt der so genannten sozialen Medien haben sich die Gewerbemieten verdoppelt. Nein, es geht nicht um Google in Kreuzberg, sondern um das Foto-Nachrichten-Unternehmen Snap und den Stadtteil Venice in Los Angeles.

Es hat schon fast etwas Tröstliches, dass nicht wenige Bewohner großer amerikanischer Städte den wirtschaftlichen Erfolg ihrer Tech-Unternehmen fast so sehr verfluchen wie der Normal-Kreuzberger die Finanzmacht von Firmen wie Google oder, dank seiner die Spree überquerenden Wirkung, Zalando. Vor Geld strotzende Großkonzerne bauen Stadtteile und Bezirke um, erst wirtschaftlich, dann sozial. Die Politik hat dem nicht viel entgegenzusetzen – wenn sie es überhaupt will.

Nein, hier soll jetzt nicht die Gentrifizierung betrauert werden, das hat nicht mehr viel Sinn. Vom alternativen Kreuzberg der siebziger und achtziger Jahre ist nicht mehr viel übrig. Was schade ist, weil hier eben auch alternativ gewirtschaftet wurde und weil die, die Kreuzberg damals entdeckten, Frei- und Leerräume übernehmen konnten. Die Finanzpotentaten von heute hingegen müssen verdrängen, wenn sie in großem Stil in Stadtteile einrücken, die sie für „attraktiv“ erklärt haben, ob da Kreuzberg dran steht oder Venice oder San Francisco.

Das ist dann eben so? Städte verändern sich nun mal? Ja, so ist das eben – und trotzdem muss das nicht bedeuten, dass hergebrachte Strukturen und Ökonomien gesprengt werden. Gerade der Streit um die gescheiterte Google-Ansiedlung in einem ehemaligen Umspannwerk zeigt doch, dass es legitim ist, nach den Motiven von Investoren zu fragen: Warum wollen sie dahin, wo es schon voll ist, zu voll, wie viele meinen? Berliner Kommunalpolitiker sind da weiter als mancher Wirtschaftsfachmann im Abgeordnetenhaus. „Kommt halt nach Spandau“, sagt der dortige Bezirksbürgermeister Helmut Kleebank. Andere Angebote soll es aus Lichtenberg geben. Und wenn es der Charme verfallender Industrie sein muss, um das Geschäft mit Big Data und Werbung architektonisch stilvoll zu umhüllen: Da dürfte in Treptow-Köpenick noch einiges zu machen sein.

Ausgerechnet das Traditionsunternehmen Siemens, das es in den vergangenen Jahren nicht immer gut gemeint hat mit Berlin, zeigt der Supercompany aus Mountain View in Kalifornien was auch geht: Spandau. Der Malocher-Bezirk, dem es früher einmal wesentlich besser ging. Siemens plant einen Campus mit allem Drum und Dran auf angestammtem Gelände, im Schatten von Kraftwerkskühltürmen, in der Nachbarschaft von Eisenbahngleisen, die ins Nirgendwo führen und einer kilometerlangen Motorradfabrik, immerhin in Backsteinhallen. Man könnte sagen: Hier hat nicht das Image des Ortes, an den man ziehen will, den Ausschlag gegeben. Stattdessen war es die Vorstellung von dem, was möglich ist. Und ein Sinn für Tradition.

Das ist es doch, was den Streit um die Berliner Stadtentwicklung so ermüdend macht: dass so viele an dieselben Orte wollen. Und diese damit verändern, ob sie wollen oder nicht. Wenn alle ins Zentrum wollen, werden die ins Zentrum gelangen, die am meisten zahlen. Das ist Stadtentwicklung? Das ist, zumindest dann, wenn das Zentrum von heute über viele Jahre nicht Zentrum war, sondern wie Kreuzberg die Peripherie, eher Stadt-Brutalität.

Man braucht allerdings etwas mehr Entwicklerfantasie, wenn man nicht dort investieren will, wo alle es gerade toll finden und der AirBnB-Jetset seine Tage mit Dauerfrühstücken zubringt. Siehe Adlershof: ein Forschungs- und Gewerbestandort, von der Politik gewollt und gefördert. Lauter spannende Unternehmen – bloß leider wenig Leben auf der Straße, Lebensstil allenfalls im Umfeld der Universitätsinstitute.

Aber darin könnte ja der Zusatznutzen von Großinvestitionen bestehen, ob nun von Siemens oder Google oder Zalando: dass sie etwas für die Infrastruktur ihrer neuen Nachbarschaft tun, egal ob es um Sport nach der Arbeit geht oder um Bier nach dem Job. Dass sie Berlin dort, wo sie sich ansiedeln, ein bisschen neu erfinden. Und zwar mit Sinn für das, was ihre Mitarbeiter wollen – und mit einem Blick für die Gegend, in der sie sich ansiedeln.

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