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Nach den Protesten gegen den Google-Campus in Berlin-Kreuzberg ändert das Unternehmen nun das Konzept für den Standort.
© imago/Christian Mang

Digitalhauptstadt: Endet Berlins Zeit als Gründermetropole?

Google bläst ein Projekt ab, NRW soll besser sein. Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Digitalhauptstadt Berlin.

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Google muss nach Protesten seine Pläne für einen großen Campus in Kreuzberg begraben. Dazu kommen die Meldungen, dass Nordrhein-Westfalen Berlin als gefragtester Start-up-Standort abgelöst habe.

Ist Berlin nicht mehr die wichtigste Gründermetropole Deutschlands?

Entsprechende Schlagzeilen am Dienstag bezogen sich auf den neuen Start-up-Monitor, aus dem Zahlen vorab bekannt geworden waren. „Ich muss aktuellen Meldungen deutlich widersprechen, dass NRW angeblich Berlin den Rang abgelaufen hätte“, stellt Tobias Kollmann, Studienleiter und Professor für Unternehmertum an der Universität Duisburg Essen, bei der Vorstellung der Untersuchung klar. Alles andere sei „statistischer Unsinn“.

Die Meldungen bezogen sich darauf, dass mit 19 Prozent die meisten der gut 1600 Start-ups, die sich an der Studie beteiligt hatten, ihren Sitz in Nordrhein-Westfalen haben. Berlin kam mit 16 Prozent auf Platz zwei. Diese Werte seien jedoch relativ, daraus ließen sich keine Rückschlüsse auf die tatsächliche Zahl an Start-ups treffen, stellten die Macher der Studie klar. Dabei ist Kollmann unverdächtig, Berliner Interessen zu vertreten – im Gegenteil: Er war bis 2017 Landesbeauftragter für Digitale Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen.

Wie steht es sonst um die Start-up-Szene in Berlin?

„Einen Rückgang des Start-up-Booms in Berlin sehen wir nicht und sollten ihn auch nicht herbeireden“, sagt Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne). Das zeigt sich auch in den Zahlen des Monitors: Während die befragten Jungunternehmen bundesweit im Schnitt drei Mitarbeiter beschäftigen, sind es in Berlin mit sieben deutlich mehr. Auch fällt es in der Hauptstadt leichter, Wagniskapital zur Finanzierung zu bekommen: Während das im Bundesschnitt 15 Prozent der Start-ups gelingt, haben mehr als ein Viertel der Berliner Start-ups Venture-Capital-Investoren im Rücken. Ein Nachteil sei die Versorgung mit schnellem Internet. 62 Prozent bezeichneten dies als wichtig für die Standortwahl. München habe deutlich ambitioniertere Ziele beim Ausbau mit Glasfaser. „Es wird spannend, ob sich das künftig in der Ansiedlungszahl niederschlägt“, sagt Florian Nöll, Chef des Bundesverbandes Deutscher Startups.

Welche Probleme gibt es noch in Berlin?

Als zunehmende Herausforderung für die Start-ups erweist sich der wachsende Fachkräftemangel. Drei von vier Start-ups gaben an, Schwierigkeiten bei der Suche nach Fachkräften aus dem IT-Bereich zu haben. „Die Nachfrage aus Industrie und Mittelstand hat extrem zugenommen“, sagt Kollmann. Die Konkurrenz mache es Start-ups zunehmend schwer, da die Industrie im Kampf um Programmierer andere Möglichkeiten hätte, zu bezahlen.

Neben deutlich gestiegenen Gehaltsforderungen klagen Jungunternehmen inzwischen über die angezogenen Mieten. Gerade wenn die Firmen wachsen und mehr Mitarbeiter einstellen, sei es schwierig, noch geeignete Büroflächen in zentraler Lage zu bekommen. „Unsere Miete im Prenzlauer Berg sollte von 19 auf 32 Euro pro Quadratmeter steigen“, sagt Finn Age Hänsel, Chef der Umzugsvermittlung Movinga. Das Start-up mit seinen mehr als 200 Mitarbeitern ist nun nach Moabit in das kürzlich eröffnete „Schultheiss-Quartier“ an der Turmstraße gezogen. „Es war eine der letzten größeren verfügbaren Flächen innerhalb des S-Bahn-Rings“, sagt Hänsel. Zudem lagen die Preise dort noch zwischen 20 und 30 Euro. Dafür musste das Berliner Unternehmen allerdings einen Zehn-Jahres-Vertrag unterschreiben. Eine zeitliche Dimension, in der Start-ups ansonsten kaum denken.

Was passiert auf dem Google-Campus?

Der kommt nun doch nicht, jedenfalls nicht wie geplant. Statt für Start-ups soll im Kreuzberger Umspannwerk nun Platz für soziale Initiativen entstehen. Das gab der Internetkonzern am Mittwoch bekannt. Google überlässt die Gestaltung seiner Mietfläche in der Ohlauer Straße nun der Onlinespendenplattform Betterplace und dem Verein Karuna, der sich für Kinder und Jugendliche in Not einsetzt.

Google hatte Ende 2016 angekündigt, Start-ups im Umspannwerk ansiedeln zu wollen. Die Pläne des Konzerns stießen vor Ort jedoch immer wieder auf heftige Kritik, vor allem aus Angst vor wachsender Gentrifizierung. Anwohner befürchteten explodierende Mieten und die schleichende Verdrängung aus ihrem Kiez. Im September besetzten sogar rund 50 Aktivisten das Gebäude für wenige Stunden, ehe die Polizei die Demonstration auflöste.

Auf einer Fläche von 3000 Quadratmetern sollen sich ab Frühjahr 2019 nun gemeinnützige Organisationen und soziale Initiativen sammeln. Sie könnten dort etwa Veranstaltungen oder Vereinsversammlungen abhalten. Die Kosten für das Haus übernimmt Google. Umbau, Ausstattung und Miete für die kommenden fünf Jahre sollen den Konzern rund 14 Millionen Euro kosten. Wie es nach den fünf Jahren weitergeht, stehe noch nicht fest, sagte ein Konzernsprecher.

Die Gegner des Projekts werten die nun gefundene Lösung als ihren Erfolg. „Mit der Entscheidung, ein unabhängiges Haus für soziales Engagement zu schaffen, ist Google auf die Forderungen von Politik und Nachbarschaft eingegangen“, sagte Florian Schmidt (Grüne), Bezirksstadtrat in Friedrichshain-Kreuzberg. Der Politiker hofft, dass auch andere große und mittlere Unternehmen diesem Beispiel in Zukunft folgen werden. Noch in diesem Jahr will der Bezirk Friedrichshain/Kreuzberg eine Stelle für eine Beauftragte für „gemeinwohlorientierte Immobilienentwicklung“ einrichten.

Die Berliner FDP hält die neue Nutzung hingegen für ein fatales Signal an zukünftige Unternehmen und Investoren in der Hauptstadt. „Dieser Sieg wird Kiez und Milieuschutz-Fanatiker nun weiter ermutigen, jegliche Veränderung radikal zu torpedieren“, sagte Sebastian Czaja, Vorsitzender der Berliner FDP-Fraktion.

Google will nach zahlreichen Gesprächen mit den Kiez-Bewohnern und anderen Aktivisten zu diesem Entschluss gekommen sein. So sei dem Unternehmen schon früh klar gewesen, dass der Ort nicht ausschließlich von Start-ups genutzt werden sollte. Man freue sich, nun einen substantiellen Beitrag zur Stärkung der Zivilgesellschaft in und um Kreuzberg zu leisten.

Gibt es weitere Konflikte in der Stadt?

Der Streit um den Google-Campus ist nicht der erste, in dem Tech-Investoren und Stadtbewohner aneinandergeraten sind. Im Mai 2016 hatte Marc Samwer, der älteste der Samwer-Brüder, ein ehemaliges Postgebäude in Kreuzberg gekauft. Langzeit-Mieter im Erdgeschoss ist der Club-Betreiber Norbert Jackschenties, der dort den „Privatclub“, einen Kreuzberger Nachtclub, betreibt. Und der sah sich Ende des vergangenen Jahres plötzlich strikten Forderungen seines neuen Vermieters ausgesetzt. Angeblich forderte Samwer, dass pro Woche nur noch zwei Partys stattfinden dürfen. Außerdem sollte der Clubbetreiber die doppelte Miete zahlen. Gegen die Erhöhung konnte sich Jackschenties erfolgreich wehren – vorerst. Sein Mietvertrag läuft 2022 aus. „Die Hoffnung stirbt zuletzt“, sagt Jackschenties. Dass er darüber hinaus im alten Postgebäude bleiben kann, glaubt er aber nicht.

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