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Am Nationalfeiertag Taiwans am 8. Oktober posieren Soldaten mit der Flagge des Inselstaates.
© Ann Wang/REUTERS

Kampfflugzeuge als Machtdemonstration: Goliath gegen David – Chinas wachsender Druck auf Taiwan

Eine Invasion des Inselstaates wäre mit großen Risiken verbunden. Peking glaubt, dass es die Vereinigung friedlich erreichen kann. Ein Gastbeitrag.

Die Autorinnen sind in der Forschungsgruppe Asien der Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP) tätig.

Schon jetzt hat China für den Monat Oktober einen neuen Rekord in Sachen Machtdemonstration gegenüber Taiwan aufgestellt: Insgesamt 150 chinesische Flugzeuge – einschließlich atomwaffenfähiger Bomber des Typs H-6 – flogen in den ersten fünf Oktobertagen durch Taiwans Luftraumüberwachungszone (Air Defense Identification Zone, ADIZ) südwestlich der Insel.

Vor allem in den USA wächst die Sorge, dass die Volksrepublik versucht sein könnte, seinen Anspruch auf Taiwan als „untrennbaren“ Bestandteil seines Territoriums militärisch durchzusetzen. Zwar kann ein militärischer Konflikt um Taiwan angesichts wachsender Spannungen nicht ausgeschlossen werden, trotzdem lassen sich aus den Drohgebärden Chinas nicht unbedingt Kriegsabsichten ableiten.

In den letzten eineinhalb Jahren haben chinesische Flüge in Taiwans ADIZ deutlich zugenommen. In diesem Jahr sollen es laut taiwanischem Verteidigungsministerium bereits mehr als 600 solcher Flüge gewesen sein – weit mehr als im letzten Jahr, als 380 Fälle gezählt wurden.

Die Debatte in den USA über ein Kriegsrisiko läuft heiß

Auch wenn diese Flüge in Taiwan klar als Provokation wahrgenommen werden, dringt China dabei nicht in Taiwans nationalen Luftraum ein, der 12 Seemeilen vor dessen Küste beginnt. Die ADIZ ist eine von Taiwan einseitig ausgerufene Zone, in der sich Flugzeuge gegenüber taiwanischen Behörden identifizieren sollen. Ähnliche Zonen haben auch Taiwans Nachbarländer ausgewiesen, darunter China.

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Vor diesem Hintergrund wird in den USA über das Risiko einer militärischen Auseinandersetzung um Taiwan diskutiert. So warnte im März 2021 der scheidende US-Kommandant für den Indo-Pazifik, Admiral Philip Davidson, vor einem Konflikt innerhalb der nächsten sechs Jahre. Auch für seinen Nachfolger Admiral John Aquilino ist ein Konflikt mit China „viel näher, als die meisten denken“.

Hinter diesen Warnungen steht die Sorge um das militärische Gleichgewicht in der Region, das zunehmend zugunsten Chinas ausfällt. Das Kräfteverhältnis könnte sich in den kommenden Jahren noch weiter verschieben, unter anderem durch geplante Ausmusterungen von Schiffen der US-Navy – darunter Kreuzer und U-Boote.

Angesichts dieser Entwicklungen gibt es in den USA Spekulationen darüber, dass Präsident Xi Jinping zum Ende seiner als wahrscheinlich geltenden dritten Amtszeit von 2022 bis 2027 die Wiedervereinigung als sein politisches Vermächtnis durchsetzen möchte.

Ungeachtet internationaler Kritik hat China in Hongkong in den letzten Jahren das demokratische System ausgehöhlt und damit gegen das Völkerrecht verstoßen. Eine Invasion der de facto unabhängigen „Modelldemokratie“ Taiwan mit seinen knapp 24 Millionen Einwohnern wäre für China aber mit ungleich größeren Risiken verbunden als das Vorgehen in Hongkong.

Neben wirtschaftlichen Strafmaßnahmen, die der Westen zweifelsfrei ergreifen würde, droht im Falle Taiwans vor allem eine militärische Auseinandersetzung mit den USA – mit unschätzbaren Folgen. Zwar haben die USA keine Bündnisverpflichtung gegenüber Taiwan, trotzdem haben sie laut dem „Taiwan Relations Act“ von 1979 Sorge dafür zu tragen, dass der Status Taiwans nur auf friedlichem Weg verändert wird.

Pekings Säbelrasseln ist Teil einer Zermürbungsstrategie

Für die Führung in Peking spricht daher viel gegen ein gewaltsames Vorgehen gegenüber Taiwan, vor allem so lange sie der Überzeugung ist, eine Vereinigung auch mit anderen Mitteln erreichen zu können. Chinas Säbelrasseln in Taiwans ADIZ ist Teil einer Zermürbungsstrategie, die der Bevölkerung Taiwans deutlich machen soll, dass eine Vereinigung angesichts des Kräfteverhältnisses unausweichlich und Widerstand zwecklos ist.

Druck übt Peking beispielsweise auch durch Cyberangriffe, gezielte Desinformationskampagnen oder wirtschaftliche Strafmaßnahmen aus. Auf der internationalen Bühne sucht China Taiwan zu isolieren, unter anderem indem es dessen Beteiligung in internationalen Organisationen blockiert. Mit seinem Druck bringt China auch zum Ausdruck, dass es eine formale Unabhängigkeit Taiwans als Staat nicht hinnehmen wird.

Angesichts Chinas Machtdemonstrationen signalisieren westliche Länder zunehmend ihre Unterstützung für Taiwan. Dabei rücken sie offiziell jedoch nicht von ihrer Ein-China-Politik ab, die Peking als alleinige, rechtmäßige Regierung eines einzigen Chinas anerkennt. Die G7-Gipfelerklärung vom Juni 2021 hob beispielsweise die Bedeutung von Frieden und Stabilität in der Taiwan-Straße hervor, woraufhin China demonstrativ eine größere Zahl Flugzeuge in Taiwans ADIZ fliegen ließ.

Eine Warnung an China war wohl auch ein gemeinsames Manöver der USA, Großbritanniens, Japans, Kanadas und der Niederlande am vergangenen Wochenende. Die Übungen – an der immerhin zwei amerikanische und ein britischer Flugzeugträger beteiligt waren – fand südöstlich der japanischen Insel Okinawa und damit in geographischer Nähe zu Taiwan statt. Sie mögen China dazu veranlasst haben, weitere Flugzeuge in Taiwans ADIZ zu schicken.

Europa – einschließlich Deutschland – muss dem wachsenden Druck Chinas begegnen, indem es seine Beziehungen zum demokratischen Wertepartner Taiwan unterhalb der Schwelle diplomatischer Anerkennung weiter ausbaut. Gleichzeitig sollte es Taiwan in seinem internationalen Bewegungsspielraum unterstützen, indem es sich für dessen Teilnahme an internationalen Organisationen ausspricht.

Europa muss China die negativen Konsequenzen deutlich machen, die eine gewaltsame Veränderung des Status Quos um Taiwan für die Beziehungen hätte. Angesichts der angespannten Lage in der Taiwan-Straße sollte die deutsche und europäische Politik aber auch Handlungsoptionen für den Fall entwickeln, dass die Friedenswahrung in der Taiwan-Straße nicht gelingt.

Alexandra Sakaki, Gudrun Wacker

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