Treffen in Istanbul: Gipfel will politischen Prozess in Syrien in Gang bringen
Die Türkei, Russland, Frankreich und Deutschland haben Grundelemente eines politischen Prozesses vereinbart. Beim Treffen in Istanbul fehlen wichtige Akteure.
Der Syrien-Gipfel in Istanbul hat am Samstag Grundelemente eines politischen Prozesses in Syrien vereinbart - vor allem auf eine Wiederbelebung des Friedensprozesses bis Jahresende. So soll ein Verfassungskomitee geschaffen werden und bis Ende des Jahres in Genf seine Arbeit aufnehmen. Der politische Prozess solle in syrischen Händen liegen und von Syrien geführt werden, heißt es in dem Kommunique, auf das sich die Türkei, Russland, Frankreich und Deutschland einigten. Gefördert werden soll er von den Vereinten Nationen (UN).
Am Ende dieses Prozesses müssten freie und allgemeine Wahlen stehen, an denen alle Syrer teilnehmen könnten, auch die im Ausland lebenden, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel. In Syrien sollten außerdem die Bedingungen für eine freiwillige Rückkehr der Flüchtlinge geschaffen werden, heißt es in dem Abschlussdokument. Darin wird zudem die Bedeutung eines haltbaren Waffenstillstandes unterstrichen. Gleichzeitig unterstrichen Merkel, sowie die Präsidenten Russlands, Frankreichs und der Türkei, Wladimir Putin, Emmanuel Macron und Recep Tayyip Erdogan, die Notwendigkeit, den Kampf gegen den Terrorismus fortzusetzen.
Emmanuel Macron hat nach dem Vierer-Gipfel zur Zukunft Syriens in Istanbul den gemeinsamen Willen zu einer politischen Lösung unterstrichen. „Eine dauerhafte Lösung gibt es nur bei einer politischen Lösung, die allen Syrern erlaubt, in ihrem Land zu leben“, sagte Macron. Nötig seien dazu freie, transparente Wahlen unter internationaler Aufsicht. Die Vorbereitungen dazu müssten am Verhandlungstisch erarbeitet werden.
Auch UN-Sondervermittler Staffan de Mistura berichtete den Spitzenpolitikern über die aktuelle Situation in Syrien. Die vier Staats- und Regierungschefs sprachen zugleich auch über andere Themen.
Merkel kam zunächst zu Einzelgesprächen mit Erdogan, Macron und Putin zusammen. Der türkische Präsident könnte ihr über den Stand der Ermittlungen zum Tod des Journalisten Jamal Khashoggi im saudi-arabischen Konsulat in Istanbul berichtet haben. Auch mit Macron sprach Merkel in einem kurzfristig angesetzten Treffen über diesen Fall. Der französische Präsident hatte einen Stopp von Waffenexporten nach Saudi-Arabien am Freitag als „pure Demagogie“ bezeichnet - und sich damit gegen Merkel positioniert.
In Merkels Gespräch mit Putin könnte es unter anderem um den Konflikt in der Ostukraine gegangen sein. Auch dieser Konflikt zwischen prorussischen Separatisten und Regierungstruppen ist festgefahren. Die Kanzlerin reist am Donnerstag in die ukrainische Hauptstadt Kiew.
Waffenruhe in Idlib soll bewahrt werden
Merkel nahm zum ersten Mal an einem Syrien-Gipfel teil. Deutschland hat lange Zeit kaum eine Rolle bei der Konfliktlösung gespielt, obwohl es das europäische Land ist, das mit Abstand die meisten Flüchtlinge aufgenommen hat. Seit dem Frühjahr ist Deutschland Teil einer Verhandlungsgruppe westlicher und arabischer Staaten, zu der auch die USA, Großbritannien, Frankreich, Saudi-Arabien und Jordanien gehören.
Im Mittelpunkt des Gipfels stand insbesondere die Lage in der letzten verbliebenen großen Rebellenhochburg Idlib im Nordwesten Syriens. Dort haben Russland als Verbündeter der syrischen Regierung und die Türkei als Unterstützer der Rebellen eine entmilitarisierte Pufferzone errichtet. Sie wollen damit eine Offensive der Regierung und eine neue Massenflucht Richtung Türkei verhindern.
Die Staats- und Regierungschefs haben dann auch die Notwendigkeit betont, die Waffenruhe in Idlib zu bewahren. Der Gipfel "betone die Bedeutung einer dauerhaften Waffenruhe und unterstreiche die Notwendigkeit, den Kampf gegen den Terror fortzuführen", hieß es von Erdogan verlesenen Abschlusserklärung des Gipfels. Merkel sprach bei der Pressekonferenz von einer "großen Verpflichtung, dass weitere humanitäre Katastrophen nicht passieren". Bei dem Gipfel hätten sie sich verpflichtet, dass die bisherige Feuerpause zu eine "nachhaltigen dauerhaften Waffenstillstand" werde. Es seien bereits "wichtige Fortschritte" bei der Schaffung einer demilitarisierten Zonen um Idlib erreicht worden, sagte Merkel.
In der Region Idlib hatte sich die militärische Lage in den vergangenen Monaten deutlich beruhigt. Allerdings bleibt die Waffenruhe fragil. Nach Angaben von Aktivisten haben sich die radikalen Kräfte bislang nicht aus der Pufferzone zurückgezogen. Am Freitag wurden zudem mindestens sieben Zivilisten durch Artilleriebeschuss der syrischen Armee getötet, wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte erklärte.
Verfassungskomitee soll noch dieses Jahr tagen
Der politische Prozess steht seit langem still, alle bisherigen Friedensgespräche unter Leitung der UN sind gescheitert. Auch ein im Januar beschlossenes Verfassungskomitee mit Vertretern von Regierung und Opposition ist bislang nicht gebildet worden.
Dieses Verfassungskomitee ist nach Ansicht des scheidenden UN-Sonderbeauftragten de Mistura eine „ernsthafte Herausforderung“. Der Diplomat bemüht sich seit Monaten erfolglos darum, die Gründung des Komitees voranzutreiben, ehe er Ende November aus persönlichen Gründen nach mehr als vier Jahren sein Amt abgibt.
Nach dem Gipfel erklärte die Kanzlerin, dass jedoch bis Ende des Jahres ein Treffen des Komitees stattfinden soll. Die Türkei, Russland, Frankreich und Deutschland hätten sich dazu verpflichtet, Anstrengungen in diese Richtung zu unternehmen. Ein solcher Schritt sei wichtig, um deutlich zu machen, dass sich der Syrien-Konflikt nicht militärisch lösen lasse.
Der Ausschuss soll mit Vertretern der syrischen Regierung von Präsident Baschar al-Assad, der Opposition sowie neutraler Gruppen besetzt werden. Damaskus hatte die Verfassung am Mittwoch aber als souveräne Angelegenheit bezeichnet und erklärt, Fragen dazu würden von den Syrern allein und ohne ausländische Einmischung entschieden.
De Mistura hatte der Regierung in der Vergangenheit vorgeworfen, kein ernsthaftes Interesse an einer politischen Lösung zu haben. Die Führung in Damaskus sieht sich nach den militärischen Erfolgen in den vergangenen Monaten in einer starken Position. Sie kontrolliert mittlerweile wieder den größten Teil des Landes, darunter die wichtigsten Städten. Die Regierung dürfte nur dann zu Kompromissen bereit sein, wenn Russland genug Druck auf sie ausübt.
USA und Iran nicht beim Gipfel
Der Bürgerkrieg war im Frühjahr 2011 mit Protesten gegen die Regierung ausgebrochen. Seitdem kamen in dem Konflikt mehr als 400.000 Menschen ums Leben, Millionen sind ins Ausland geflüchtet. Syriens Führung und Opposition liegen in zentralen Punkten weit auseinander. Während die Assad-Gegner auf einem Rücktritt des Machthabers beharren, wollen dessen Anhänger darüber nicht reden.
Mit den USA und dem Iran fehlten bei dem Gipfel in Istanbul zwei in Syrien einflussreiche Mächte. Amerikanische Truppen unterstützen im Osten des Landes den Kampf von Truppen unter kurdischer Führung gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Der Iran wiederum ist neben Russland der wichtigste Verbündete der syrischen Regierung.
Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) knüpfte eine Beteiligung Deutschlands am Wiederaufbau Syriens an Bedingungen. „Investitionen in Syrien wird es nur geben, wenn es einen befriedigenden politischen Prozess gibt, an dem alle Parteien beteiligt sind“, sagte sie bei einer Sicherheitskonferenz in der arabischen Golfmonarchie Bahrain. Ein Wiederaufbau, von der die Diktatur Präsident Assads profitiere, sei nicht vorstellbar. (dpa, Reuters, AFP)