„Rechte sind dabei, die Bewegung ganz zu kapern“: Gewerkschaft der Polizei erwartet weitere Radikalisierung der Corona-Proteste
Die Sorge wächst, dass Rechtsextreme bei den Corona-Protesten Anschluss an das bürgerliche Lager suchen. Der Zentralrat der Juden fürchtet mehr Antisemitismus.
Nach den Berliner Protesten gegen staatliche Corona-Beschränkungen nehmen die Warnungen vor einem wachsenden Einfluss von Rechtsextremen auf die Demonstrationen zu. „Seit den ersten Hygiene-Demonstrationen verfestigt sich der Einfluss rechtsextremer Gruppen auf die Corona-Protestbewegung“, sagte der GdP-Vizevorsitzende Jörg Radek den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Auch der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Josef Schuster, zeigte sich besorgt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte bereits am Montag Kritiker und Gegner der staatlichen Corona-Maßnahmen davor gewarnt, sich bei Demonstrationen „vor den Karren von Demokratiefeinden und politischen Hetzern spannen zu lassen“.
Am Samstag hatten nach Angaben der Polizei etwa 300 bis 400 Demonstranten Absperrgitter am Reichstagsgebäude überrannt und sich lautstark vor dem verglasten Besuchereingang aufgebaut. Dabei wurden vor dem Sitz des Bundestags unter anderem schwarz-weiß-rote Reichsflaggen geschwenkt. Die Polizei drängte die Menschen auch mit Pfefferspray zurück. Zuvor hatten nach Polizeischätzungen annähernd 40.000 Menschen auf der Straße des 17. Juni weitgehend friedlich gegen die Corona-Politik demonstriert.
Polizeigewerkschafter Radek sagte: „Die Rechten sind dabei, die Bewegung komplett zu kapern.“ Seit dem vergangenen Wochenende habe die Corona-Protestbewegung ihre Unschuld endgültig verloren. „Jetzt kann niemand mehr sagen, er sei nur ein Mitläufer. Jeder, der jetzt noch dabei bleibt, muss sich die Frage stellen, ob er sich mit den Rechtsextremisten gemein machen will und seine persönlichen Sorgen in der Corona-Krise mit den demokratiefeindlichen Zielen der Extremisten verbinden will.“
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Zentralrat warnt vor wachsendem Antisemitismus
SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil sagte der „Passauer Neuen Presse“: „Rechtsextreme suchen auf diesen Demonstrationen Anschluss ins bürgerliche Lager. Und sie werden offen geduldet, man streckt ihnen sogar die Hand aus. Das macht mich fassungslos.“ Es seien „widerliche Bilder, wenn bekennende Nazis Reichsflaggen auf den Stufen des Bundestags schwenken“. Voraussichtlich am Donnerstag wird sich der Ältestenrat des Bundestags mit den Vorfällen befassen.
Der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Schuster, kritisierte in der „Bild“-Zeitung: „Seit Monaten werden in der Corona-Debatte Verschwörungsmythen mit antisemitischer Grundtendenz bewusst geschürt.“ Dafür machte Schuster unter anderem „sehr rechte und rechtsextreme Gruppen“ verantwortlich, die sich unter die Demonstranten gemischt hätten. Sicherlich seien „nicht alle, die am Samstag in Berlin demonstriert haben, Rassisten oder Antisemiten“, sagte Schuster. Er fügte jedoch hinzu: „Aber sie machen sich mit diesen gemein.“
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte im ZDF-„heute journal“, er erlebe sowohl berechtigte Fragen und die Bereitschaft zum Zuhören, aber auch Hass und Verschwörungstheorien. „Was mich echt beschäftigt, ist, dass die Regenbogenflagge, die Flagge von Freiheit, Recht, Emanzipation der Schwulenbewegung, auf der gleichen Demo wie die Reichsflagge ist und die Nazi-Symbole - da fragt man sich schon, was ist da los?“ Spahn mahnte zugleich, die Bilder aus Berlin dürfe man „nicht als Gesamtstimmung im Land nehmen“. (dpa)