Kriminalitätsstatistik: Gewalt gegen Polizisten zerstört unsere Gesellschaft
Widerstand gegen die Staatsgewalt ist längst zum Dauerzustand in Deutschland geworden. Das könnte fatale Folgen haben. Ein Kommentar.
Moderne Polizeiarbeit verlangt eine Menge Toleranz, und zwar eher von Polizisten als von Bürgern. Das ist eine angenehme Entwicklung: Niemandem muss der Schweiß ausbrechen, wenn er nach seinem Personalausweis gefragt wird. Dass Polizisten hierzulande mal autoritär und herrisch aufgetreten sind, wissen bloß noch ältere Leute. Jüngere wundern sich, wenn sie es in Spanien oder den Vereinigten Staaten mit Polizisten zu tun bekommen, welche Ruppigkeit einer Uniform innenwohnen kann.
Gut so? Ja, für die, die sich an Regeln und Umgangsformen halten. Weniger für die, die Regeln durchsetzen sollen, wenn sie nicht beachtet werden. Nimmt man die Kriminalitätsstatistik als Hinweis darauf, in welchem Umfang Regeln gebrochen und Umgangsformen zerstört werden, ergibt sich hierzulande ein widersprüchliches Bild: Einerseits werden weniger Delikte angezeigt – und gerade dann, wenn Polizeibehörden massiv und mit verstärktem Personalaufwand zum Beispiel Einbrecherbanden verfolgen, lohnt sich das. Andererseits ist der mehr oder minder formierte Widerstand gegen die Staatsgewalt längst zum Dauerphänomen geworden.
74.000 Delikte mit Polizisten als Opfer
Der Aufstand im Flüchtlingsheim von Ellwangen hat bloß überdeutlich gezeigt, womit Polizisten heute zu rechnen haben: mit robustem Widerstand vieler junger Männer, die nicht interessiert, dass das polizeiliche Vorgehen vom Recht gedeckt war. Ein schräges Beispiel – geht es doch um Flüchtlinge in Existenznot? Tatsache ist, dass diese jungen Männer zeigten: Eure Regeln sind nicht unsere.
Ähnliches erfahren Polizisten in vielen größeren Städten hierzulande ständig. Der Gewerkschaft der Polizei zufolge erleben im Durchschnitt 133 Beamtinnen und Beamte täglich Widerstand. Das ist nicht wenig und summiert sich im Jahr zu 74 000 Delikten, deren Opfer Polizisten sind.
Die Broken-Windows-Theorie hat eben nicht nur eine materielle, sondern auch eine soziale Komponente. Mitte der neunziger Jahre hatte der New Yorker Polizeichef William Bratton auf der Grundlage dieser Theorie eine Null-Toleranz-Strategie entwickelt: Kaputte Fenster, herumliegender Müll, ausgeweidete Autowracks – wo Unordnung herrscht, kommen Vandalismus und handfeste Kriminalität hinzu. Bratton leitete daraus die Anweisung an seine Polizisten ab, Delinquenz jeder Art konsequent zu verfolgen. Keine Nachsicht, mit Dealern so wenig wie mit Obdachlosen. New York ist zu einer anderen Stadt geworden.
Die soziale – oder eher: verhaltensmäßige – Komponente der Broken-Windows-Theorie kann man in Berlin beobachten. Wenn Verstöße gegen verbindliche Regeln geahndet werden, ändert sich die Lage zugunsten derer, die sich an die Regeln halten. Im Tiergarten zum Beispiel lässt der Bürgermeister von Mitte, Stephan von Dassel, Obdachlosencamps regelmäßig räumen. Zigmal sind Leute vom Ordnungsamt und Polizisten eingeschritten – was zeigt, wie weit der Tiergarten schon okkupiert war.
In Neukölln hat die frühere Bürgermeisterin Franziska Giffey Polizei, Ordnungs- und Gewerbeamt in eine Art Dauereinsatz gegen die Art von Bezirksbewohnern geführt, die sich nicht an Regeln hielten. Die hatten sich an den Gedanken gewöhnt, dass von der Polizei bis zum Ordnungsamt alle über zu wenig Personal klagten und freitagabends ohnehin ihre Ruhe haben wollten.
Nicht nur der Führerschein weg, sondern auch das Auto
Das ist jetzt anders; auch Mitglieder arabischer Clans haben gemerkt, dass sie sich nicht mehr jede Freiheit nehmen können. Und die erfreuliche Aufmerksamkeit von Berliner Polizisten für sogenannte Profilierungsfahrer hat nun schon häufiger dazu geführt, dass nicht bloß Führerscheine eingezogen wurden, sondern auch gleich die Autos.
Ordnungspolitik setzt mehr Personal voraus, als da ist. Sie setzt Eindeutigkeit voraus, die etwa im Umgang mit Dealern nicht gegeben ist. Ordnungspolitik kann – Stichwort Obdachlose – Sozialpolitik nicht ersetzen. Aber eine gesellschaftliche Ordnung behauptet und erhält sich nicht von allein.
Offenbar geht es nicht anders: Menschen beachten Regeln und Umgangsformen, weil sie den simplen Satz „Wie du mir, so ich dir“ verstanden haben. Oder sie müssen daran erinnert werden – so lange, bis sie begreifen. Das Fatale an der Gewalt gegen Polizisten und auch gegen Feuerwehrleute oder Rettungssanitäter liegt – über den einzelnen Angriff hinaus – in der zerstörerischen Wirkung auf Gesellschaft. Es liegt in der Behauptung des „Ich mache, was ich will – alle anderen interessieren mich nicht“. Diese Überzeugung hat sich ohnehin mehr als breitgemacht.