Kriminalität in Berlin-Mitte: "Das Problem ist wirklich die Drogenszene"
Im Berliner Tiergarten und am Leopoldplatz sind Einsatzkräfte im Dauereinsatz. Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel spricht über wirksame Lösungen und ungelöste Fragen. Ein Interview.
Obdachlosigkeit, Alkoholismus auf öffentlichen Plätzen, Drogenhandel. Der Bezirk Mitte steht vor vielfältigen Herausforderungen. Im vergangenen Oktober ließ Bürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) erstmals Obdachlosencamps im Tiergarten räumen, nachdem er an den Senat appelliert hatte, Mitte mit den illegalen Lagern nicht alleine zu lassen.
Die daraufhin gegründete Task Force, bestehend aus Vertretern der Senatsverwaltungen für Inneres, Soziales, Gesundheit und Justiz sowie der Polizei und den Bezirken Mitte und Charlottenburg-Wilmersdorf, wurde Ende März aufgelöst. Auch der als kriminalitätsbelastet eingestufte Leopoldplatz ist ein Sorgenkind des Bezirks. Hier gibt es seit Jahren Probleme – vor allem wegen Drogen- und Alkoholmissbrauchs im öffentlichen Raum.
Herr von Dassel, wie ist die Situation im Tiergarten, seitdem dort Obdachlosencamps geräumt wurden? Hat die Task Force sichtbare Erfolge erzielt?
Seit Oktober gab es 130 Räumungen solcher Lager, und wir haben dann nach der Vereinbarung in der Task Force sichergestellt, dass es keine weiteren Camps mehr gibt. Was die Task Force gebracht hat, ist, dass sich alle Bezirke und auch die Senatsinnenverwaltung und die Senatssozialverwaltung darauf verständigt haben, wildes Campieren in Grünanlagen und auf öffentlichen Plätzen nicht zuzulassen. Wir stellen auch Ordnungswidrigkeiten fest und die Nationalitäten derjenigen, die diese begehen.
Ob das alle Bezirke wirklich so konsequent machen wie wir, weiß ich nicht, aber die Verabredung dazu gibt es. Das hat uns jetzt schon einen Schritt weitergebracht, um die Situation vor Ort überhaupt analysieren zu können. Das Ordnungsamt kann aber nur als letztes Mittel tätig werden. Ungelöst ist nach wie vor die Frage, wie wir mit EU-Bürgerinnen und -Bürgern umgehen, die wild campieren, keine Wohnung haben, aber auch aus unserer Sicht nur sehr begrenzt Ansprüche auf Sozialhilfe. Die Frage stellt sich, weil etwa 90 Prozent der in den Camps angetroffenen Menschen aus Polen kommen.
Es gibt noch andere Orte im Bezirk, an denen Anwohner sich teilweise unwohl fühlen. Am Leopoldplatz haben Sie mal ein Alkoholverbot angeregt. Wie gehen Sie mit den Trinkern dort jetzt um? Und wann kommt ein neues Platzmanagement für den Leopoldplatz?
Das Platzmanagement setzt seine Arbeit mit dem alten Träger, dem Verein für Drogenkranke Fixpunkt, aktuell fort, und wir werden da mehr Mittel zur Verfügung stellen, damit das Angebot ausgeweitet werden kann. Im Moment ist nur noch die Aushandlung des Mietvertrags zwischen der dort ansässigen Kirchengemeinde und dem Bezirksamt offen. Wir wollen diese Liegenschaft anmieten, um dort ein zusätzliches Angebot für Suchtkranke anbieten zu können.
Gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass die Trinkerszene, wenn sie sich an ihrem angestammten Platz aufhält, nicht das Problem ist. Das Problem ist wirklich die Drogenszene. Die Drogenverkäufer, die nach wie vor am Leopoldcenter stehen oder eben den vorderen Leopoldplatz beherrschen und gleichzeitig die öffentliche Toilette, die dort extra für die Trinkerszene eingerichtet worden ist, als Drogendeal- und konsumraum missbrauchen. Harte Drogen sind im Moment also problematischer als der klassische Alkoholmissbrauch. Und auch unter diesen beiden Gruppen gibt es Konflikte.
Wie gehen Sie gegen die Drogenszene auf dem Platz vor?
Das können wir eigentlich nur polizeilich machen. Gerade versuchen wir aber die Art der öffentlichen Toilette zu verändern, damit sie wirklich um 21 Uhr dichtmacht. Allein, sie so zu verschließen, dass sie nicht aufgebrochen werden kann, ist schon unglaublich komplex. Und wir wollen durch die Anbringung einer Hausordnung auch Anzeigen erstatten können, wenn sich mehr als eine Person in dieser Toilette aufhält. Man geht dort ja nicht zusammen Händewaschen, man missbraucht die Toilette als Drogenumschlagplatz.
Die Landesdrogenbeauftragte gibt zu bedenken, dass eine Vertreibung und damit Zersplitterung von Gruppen wie die der Trinker am Leopoldplatz dazu führen kann, dass sie noch weniger kontrolliert werden können. Andererseits sind solche Hot Spots für die Nachbarschaft oft eine Zumutung. Wie gehen Sie damit um?
Das kommt immer darauf an. Am besten ist es natürlich, wenn man Lösungen und Hilfen anbietet, um die Probleme zu verringern. Wir sind ja ganz bewusst am Leopoldplatz nicht den Weg gegangen, die Trinkerszene in irgendwelche Nebenstraßen zu vertreiben, um einen sauberen und schönen Leopoldplatz zu haben. Sondern wir müssen hier nach dem Motto „Ein Platz für alle“ eben auch für diese Menschen einen Rückzugsraum bieten. Aber sie dürfen nicht den ganzen Leopoldplatz dominieren.
Das ist immer eine Gratwanderung. Ich finde, Hilfen kann man viel leichter anbieten, wenn man sie einer Gruppe anbieten kann, weil man die Hilfen dann bündeln kann. Dann gibt es vielleicht ab und an auch einen Nachahm-Effekt: Der eine nutzt mal eine Gesprächsmöglichkeit, der zweite die Indoor-Möglichkeit. Wenn sich die Angebote verteilen und immer wieder in einer anderen Straße sind, gestaltet sich das schwierig.
Wird der im vergangenen Jahr getestete Platzdienst am Leopoldplatz verlängert?
Ja, wir schreiben den Platzdienst gerade aus, weil wir festgestellt haben, dass es eine Lücke geben kann zwischen der Arbeit der Polizei, des Ordnungsamtes und der Sozialarbeiter. Der Platzdienst weist auf freundliche, nicht sanktionierende, aber durchaus bestimmte Art auf Fehlnutzungen hin und sagt zum Beispiel: Sie dürfen hier den Abfall nicht hinwerfen, sie dürfen hier nicht hinpinkeln, bitte unterlassen sie das.
Dieses Vorgehen funktioniert nicht bei allen, bei den Hardcore-Drogensüchtigen ist das schwer, aber bei vielen findet das erfreulicherweise schon Resonanz – ohne dass Strafen oder Platzverweise ausgesprochen werden. Das ist wirklich ein gutes ergänzendes Angebot und wenn wir jetzt bald mehr Personal im Ordnungsamt haben, werden wir den Platzdienst auch durch mehr Ordnungsamtsmitarbeiter ergänzen. Dann haben wir für alle Ausprägungen von Fehlverhalten immer sofort die adäquate Antwort: Polizei, Ordnungsamt, Platzdienst oder Sozialarbeiter. Denn die Polizei wird natürlich nicht kommen, weil jemand mit Absicht die Bierdose neben den Mülleimer wirft.
Soll diese Strategie aus Ordnungsamt, Platzdienst und Sozialarbeit bald auch an anderen kriminalitätsbelasteten Orten wie dem Hansaplatz, der Kurfürstenstraße oder dem Kleinen Tiergarten angewandt werden?
Der Kleine Tiergarten ist Teil des Aufgabengebietes des Trägers, gegebenenfalls weiten wir das Angebot auf den Hansaplatz aus. Die Probleme im Kiez Kurfürstenstraße liegen anders, dazu erarbeiten wir gerade ein ganz neues und anderes Konzept.