Gesundheitsminister Spahn will bessere Versorgung: Gesetz soll Wartezeiten von Kassenpatienten verkürzen
Per Gesetz will Gesundheitsminister Jens Spahn Kassenpatienten für Ärzte attraktiver machen. Dafür nimmt er ordentlich Geld in die Hand.
Aus dem Projekt Bürgerversicherung ist bekanntlich nichts geworden, weil die Union keinen kompletten Systemumbau wollte. Stattdessen versucht die schwarz-rote Koalition nun, der Bevorzugung von Privatpatienten in Arztpraxen auf andere Weise Herr zu werden.
Am Mittwoch verabschiedete das Bundeskabinett einen dicken Gesetzentwurf von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der vor allem eines zum Ziel hat: eine schnellere Terminvergabe für Kassenpatienten. Vorgesehen ist darin beispielsweise, dass Kassenmediziner künftig mindestens 25 Wochenstunden für gesetzlich Versicherte zur Verfügung stehen müssen. Bisher betrug ihre Mindestsprechstundenzeit nur 20 Stunden. Bestimmte Medizinergruppen wie Augenärzte, Gynäkologen oder HNO-Ärzte werden zudem verpflichtet, mindestens fünf Stunden pro Woche als "offene Sprechstunde" ohne Terminvereinbarung anzubieten.
Verlässliche Terminvermittlung rund um die Uhr
Daneben wird die Terminvermittlung ausgebaut. Wer einen Facharzttermin benötigt und auf eigene Initiative nicht schnell genug bekommt, kann sich künftig unter einer bundesweit einheitlichen Telefonnummer (116117) an sogenannte Terminservicestellen der Kassenärztlichen Vereinigungen wenden, die den Kassenpatienten dann binnen vier Wochen einen Termin vermitteln muss.
Ich sehe das hauptsächlich als Organisationsproblem der Ärzte selber. Wenn ich trotz Termin über eine Stunde warten muss, um dann effektiv fünf Minuten Sprechzeit zu beanspruchen, stimmt da was nicht.
schreibt NutzerIn Sharis
Das Angebot gab es zwar auch bisher schon, allerdings arbeiteten die Servicestellen eher lustlos, unter verschiedenen Telefonnummern und waren oft nicht erreichbar. Nun müssen sie verlässlich rund um die Uhr und an allen Tagen in der Woche zur Verfügung stehen.
Zusatzhonorar für neue Patienten
Um gesetzliche Versicherte für Ärzte attraktiver zu machen, stellt Spahns Gesetz den Medizinern Zuschläge beziehungsweise eine "extrabudgetäre Vergütung" in Aussicht. Mehr Geld gibt es demnach nicht nur für Patienten, die über Terminservicestellen vermittelt wurden, sondern auch generell für alle neu aufgenommenen Patienten - der Zuschlag für sie soll mindestens 25 Prozent auf die Versicherten- und Grundpauschale betragen.
Die Vermittlung von Facharztterminen über Hausärzte soll ebenfalls besonders honoriert werden Und auch für Leistungen, die in offenen Sprechstunden für Kassenpatienten erbracht werden, fließt künftig mehr Geld. Der Aufschlag werde hier "mindestens 15 Prozent" auf die Grundpauschale betragen, heißt es im Gesetzentwurf.
Bei diesem Anreizsystem hat Spahn kurzfristig sogar nochmal nachgebessert. Es gebe jetzt "mehr Zuckerbrot und weniger Peitsche", bestätigte der zuständige Berichterstatter der Unionfraktion, Alexander Krauß (CDU). Für die erfolgreiche Vermittlung eines dringend erforderlichen Facharzttermins sollen Hausärzte künftig mindestens fünf Euro erhalten, Spahns ursprünglicher Referentenentwurf hatte dafür nur zwei Euro vorgesehen.
Hausarztverband sieht "Angriff auf den freien Beruf"
Die Krankenkassen sehen die Vergütungsanreize naturgemäß kritisch. Wenn die Terminvergabe und -vermittlung nicht richtig funktioniere, sei das ein innerärztliches Problem, lautete ihr Kommentar schon vor der nun nochmal aufgestockten Zusatzhonorierung. Dafür dürfe es nicht mehr Geld geben, das Honorar müsse nur anders verteilt werden, so der GKV-Spitzenverband.
Ein weiteres Entgegenkommen ist, dass Haus- und Kinderärzte anders als die meisten niedergelassenen Fachärzte von "offenen Sprechstunden" verschont bleiben. Damit werde auf zusätzliche Bürokratie verzichtet, sagte Krauß. Schließlich behandelten die allermeisten Haus- und Kinderärzte ihre Patienten ohnehin auch ohne Termin.
Verbraucherzentralen: Es braucht weitergehende Verbesserungen
Der Deutsche Hausärzteverband kritisierte den Gesetzentwurf dennoch. Der Bundesvorsitzende Ulrich Weigeldt beklagte „teilweise massive Eingriffe in den ärztlichen Alltag“ und bezeichnete die gesetzlichen Vorgaben als als „Angriff auf den freien Beruf“. Ähnlich argumentiert die FDP, die der Idee von Mindestsprechstunden und Terminservicestellen den "Geist einer Überwachungsmentalität" bescheinigt.
Den Verbraucherzentralen dagegen gehen die Eingriffe nicht weit genug. Lange Wartezeiten seien "kein gefühltes, sondern ein echtes Problem für jeden einzelnen betroffenen Patienten“, sagte der Chef ihres Bundesverbands, Klaus Müller, der Deutschen Presse-Agentur. Maßnahmen wie offene Sprechstunden, die mit mehr Geld für die Ärzte verknüpft werden sollten, seien in ihrer Wirkung allerdings fraglich und keinesfalls ausreichend. „Es braucht weitergehende grundlegende strukturelle Verbesserungen.“
"Das Füllhorn ersetzt keine Reformen", sagte auch Grünen-Expertin Kirsten Kappert-Gonther. Allein die Honorarerhöhungen kosteten die Versicherten 800 Millionen Euro mehr im Jahr. "Damit geht Spahn wie seine Vorgänger den Weg des geringsten Widerstandes." Zudem müsse die Bundesregierung sicherstellen, dass sich das Problem nicht umkehre und die finanziellen Anreize zur Behandlung neuer Patienten zulasten von chronisch Kranken gingen.
Elektronische Patientenakte spätestens ab 2021
Auch den elektronischen Zugriff auf medizinische Daten will Spahn mit seinem Gesetz erleichtern. Es schreibt den Krankenkassen etwa vor, ihren Versicherten spätestens ab 2021 eine elektronische Patientenakte zur Verfügung zu stellen. Einblick in ihre Daten sollen die Patienten dann auch mittels Smartphone oder Tablet erhalten.
Schließlich widmet sich Spahns Gesetzeswerk mal wieder dem Ärztemangel auf dem Land. Regionale Zuschläge für Landärzte werden künftig verpflichtend. Zudem haben die Kassenärztlichen Vereinigungen in unterversorgten oder von Unterversorgung bedrohten Gebieten fortan eigene Praxen beziehungsweise mobile und telemedizinische Versorgungsalternativen anzubieten.
Gehälter von Spitzenfunktionären für zehn Jahre gedeckelt
Gleichzeitig nutzt der Gesundheitsminister die Gelegenheit, mit seinem Gesetz auch die Gehälter von Spitzenfunktionären des Gesundheitswesens zu deckeln. Bis zum Jahr 2028 dürften deren Bezüge nicht mehr steigen, kündigte der CDU-Politiker überraschend an. Betroffen davon sind allerdings nicht gesetzliche Krankenkassen, sondern nur Spitzenorganisationen unter der Rechtsaufsicht des Ministeriums. Dazu gehören der GKV-Spitzenverband, die Kassenärztliche und die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung sowie der Gemeinsame Bundesausschuss. Das üppige Salär, das die Kassenärztliche Bundesvereinigung ihren Chefs gewährt, hatte schon Spahns Vorgänger auf den Plan gerufen und auch Gerichte beschäftigt.
Selbst nach 2028 dürften die Vorstandsbezüge der Spitzenorganisationen nicht mehr stärker klettern als der Verbraucherpreisindex, kündigte der Minister an. Und Einkünfte aus Nebentätigkeiten, die sich aus der Vorstandsarbeit ergeben, würden auf die Vergütung angerechnet. Nach offiziellen Angaben, zu denen die Funktionäre verpflichtet sind, kommen Vorstandsmitglieder der Kassenärztlichen Bundesvereinigung derzeit auf ein Jahressalär von bis zu 480.000 Euro. Bei der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung sind es bis zu 450.000 Euro, beim GKV-Spitzenverband bis zu 350.000 Euro.