Folgen der Coronakrise für das Verhältnis zu Polen: „Geschlossene Grenze führt zu einer neuen Entfremdung“
Der Vorsitzende der deutsch-polnischen Parlamentariergruppe, Manuel Sarrazin, warnt vor einem „dauerhaften Schaden in den Beziehungen unserer Länder“.
Der Vorsitzende der deutsch- polnischen Parlamentariergruppe im Bundestag, Manuel Sarrazin (Grüne), sieht durch die Coronakrise und ihre Folgen die guten Beziehungen zwischen Deutschland und Polen gefährdet. In einem Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel und den polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki warnt er vor einem „dauerhaften Schaden in den Beziehungen unserer Länder“ und fordert die beiden Regierungen zum Handeln auf.
„Die geschlossene deutsch-polnische Grenze führt nicht nur in den Grenzregionen zu einer neuen Entfremdung, zum Abriss von persönlichen Beziehungen, zu Problemen beim Arbeitsweg und zu Schwierigkeiten in der Lieferkette“, heißt es in dem Brief, der dem Tagesspiegel vorliegt.
Wegen der Corona-Pandemie hatte Polen die Grenze nach Deutschland am 15. März geschlossen. Seitdem ist die Einreise für Ausländer nur noch in begründeten Ausnahmefällen möglich. An den Grenzübergängen bildeten sich lange Staus. Zudem wurden viele Übergänge ganz dicht gemacht. Die jetzige Regelung gilt zunächst bis zum 12. Juni. Polens Außenminister Jacek Czaputowicz sagte am Mittwoch, er hoffe, dass die Beschränkungen in den kommenden Wochen aufgehoben würden.
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Sarrazin sieht es kritisch, dass in der deutschen Debatte über die Folgen der Pandemie nur über die Situation an den Grenzen im Westen und Südwesten Deutschlands gesprochen wurde. Dagegen seien die „massiven Auswirkungen an der deutsch-polnischen Grenze“ höchstens regional gewürdigt worden. Zudem fehle eine „deutliche gemeinsame Kommunikation“ der Regierungen, dass sich beide Seiten eine Wiederherstellung des „Status quo ante“ an der Grenze wünschten. „Die aktuelle Krise gefährdet einige der stärksten Errungenschaften der deutsch-polnischen Beziehungen: die persönlichen und zivilgesellschaftlichen Kontakte und die engen und andauernden politischen Gespräche“, heißt es in dem Schreiben an Merkel und Morawiecki.
Beziehungen drohten „in eine Phase der Sprachlosigkeit zu fallen“
Die ursprünglich für diese Woche geplanten Regierungskonsultationen beider Länder konnten wegen der Corona-Pandemie nicht stattfinden. Die Beziehungen zwischen Deutschland und Polen drohten „in eine Phase der Sprachlosigkeit zu fallen“, warnte Sarrazin. Beide Länder seien jetzt gefordert, trotz der Pandemie das Gespräch zu suchen. Denn die deutsch-polnische Freundschaft bleibe „eine der Herzkammern der europäischen Einigung“.
Und wie sehen die Menschen in den beiden Staaten das Verhältnis zum jeweiligen Nachbarland? Die Beziehungen zu Deutschland bewerten 72 Prozent der Polen als gut, umgekehrt schätzen nur 55 Prozent der Deutschen das Verhältnis als gut ein. Das ist das Ergebnis des Deutsch-Polnischen Barometers (hier als PDF), einer seit dem Jahr 2000 regelmäßig stattfindenden Umfrage, die von der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit, dem Deutschen Polen-Institut und weiteren Partnern organisiert wird.
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Jeder vierte Deutsche bewertet das bilaterale Verhältnis als schlecht, dieser Meinung sind in Polen nur 14 Prozent der Befragten. In beiden Ländern machen die meisten von denjenigen, die die Beziehungen so negativ einschätzen, die nationalkonservative polnische Regierung für die Situation verantwortlich. An zweiter Stelle werden unterschiedliche wirtschaftliche Interessen genannt.
Insgesamt haben die Deutschen heute aber ein positiveres Bild von ihrem Nachbarland als vor zwei Jahren. Umgekehrt ging der Anteil an eindeutig positiven Bewertungen Deutschlands in Polen zwar zurück, aber die Polen bewerten ihr westliches Nachbarland sogar besser als ihr eigenes Land. Allerdings hat in beiden Staaten ein großer Teil der Befragten eine ambivalente Haltung zum jeweiligen Nachbarn. Und noch etwas ist bemerkenswert in der Umfrage: „Fast ein Drittel aller Assoziationen der polnischen Befragten zu Deutschland sind mit dem Thema Krieg verbunden“, heißt es in der Studie.
Wie sich die Coronakrise auf das Verhältnis auswirkt, konnte in dieser Studie noch nicht berücksichtigt werden, denn die Umfrage fand bereits im Februar statt.