NSU-Prozess – 219. Tag: Gericht lehnt Entlassung der Zschäpe-Verteidiger ab
Die drei bisherigen Verteidiger der Hauptangeklagten Beate Zschäpe haben am Montag beantragt, ihre Mandate niederzulegen. Doch der Richter lehnte dies nach längerer Auseinandersetzung ab.
Im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München müssen drei Anwälte von Beate Zschäpe gegen ihren Willen weiter die Angeklagte verteidigen. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl wies am Montag die Anträge von Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm ab, ihre Bestellung zu Pflichtverteidigern aufzuheben. Götzl sah „keine Grundlage für eine Entscheidung“, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Zschäpe und den Anwälten „nachhaltig und endgültig erschüttert“ sei. Heer, Stahl und Sturm hatten in ihren Anträgen nur geäußert, eine optimale Verteidigung sei unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht mehr möglich. Gründe wollten die Anwälte unter Hinweis auf ihre Verschwiegenheitspflicht nicht nennen.
Der Streit zwischen Zschäpe und den drei Anwälten hatte sich verschärft, als Richter Götzl der Angeklagten kürzlich einen vierten Pflichtverteidiger beiordnete, den Münchner Anwalt Mathias Grasel. Zschäpe spricht fast nur noch mit ihm. Außerdem hat sie am vorderen Tisch der insgesamt fünf Angeklagten einen Platz eingenommen, der eine Kommunikation mit Heer, Stahl und Sturm während der laufenden Verhandlung nahezu unmöglich macht. Zschäpe sitzt rechts von Grasel, dann folgen an seiner anderen Seite Sturm, Stahl und Heer. Die drei Anwälte erklärten nach der Verfügung Götzls, ihre Anträge auf Entpflichtung abzulehnen, sie sähen sich weiterhin außerstande, ihre Mandantin zu verteidigen.
Zschäpe hatte schon vor einem Jahr dem Richter mitteilen lassen, sie habe das Vertrauen zu Heer, Stahl und Sturm verloren. Götzl änderte jedoch nichts. Er wies auch im Juni einen Antrag Zschäpes zurück, Sturm zu entpflichten. In einem Schriftsatz hatte Zschäpe zudem verkündet, sie denke daran, auszusagen. Angeblich fühlt sie sich jedoch von Heer, Stahl und Sturm daran gehindert.
Der Prozesstag war voller scherfer Töne. „Aufgrund meiner anwaltlichen Verschwiegenheitsverpflichtung kann ich eine weitere Begründung nur gegenüber Frau Zschäpe abgeben“, betonte Heer. Doch das genügte Götzl nicht - zumal der Anwalt betonte, er habe den Richter mehrfach gewarnt, „dass „solche Bedingungen eintreten werden und der ungestörte Fortgang des Verfahrens gefährdert sein wird“. Schließlich lehnte er die Entlassung ab.
Götzl war zuvor genervt und geriet nach einer längeren Pause mit Heer aneinander. „Sie schreiben, Sie hätten mich mehrfach gewarnt“, sagte Götzl und hob die Stimme, „und Sie sprechen von Bedingungen, die eintreten werden. Wann, wie und welche?“ Heer antwortete lakonisch, „ich denke Herr Vorsitzender, das wissen Sie“. Götzl steigerte die Lautstärke. Dass er Warnungen „in den Wind geschlagen“ habe, sei „in sehr vorwurfsvollem Ton“ von Heer gekommen. Der Verteidiger blieb aufreizend ruhig, „genauso ist es gemeint“.
Ping Pong im Gerichtssaal
So ging es wie in einem Ping-Pong-Spiel mehrmals hin und her. Götzl fragte, Heer wiederholte seine Antwort. Der Richter gab auf und fragte Stellungnahmen bei den anderen Prozessbeteiligten ab. Für die Bundesanwaltschaft betonte Oberstaatsanwältin Anette Greger, Gründe für einen Widerruf der Bestellung zum Pflichtverteidiger seien „substantiiert darzulegen“, doch dem seien die drei Anwälte nicht nachgekommen. Deshalb sei der Antrag abzulehnen. Schärfer noch reagierten Anwälte von Opfern des NSU-Terrors. Der Vorgang sei „unwürdig“, sagte eine Anwältin und deutete den Verdacht eines prozesstaktischen Manövers an: „Ich habe den Eindruck, dass verhindert werden soll, dass Zeugen gehört werden, die Zschäpe belasten“.
Für den Montag war ein ehemaliger Skinhead geladen, der bereits im April ausgesagt hatte. Kay S., der sich schon lange von der rechten Szene gelöst hat, sagte den Richtern, Zschäpe sei bei einer Straftat dabei gewesen. Im Frühjahr 1996, knapp zwei Jahre vor dem Gang in den Untergrund, sollen die späteren NSU-Mörder Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos an einer Autobahnbrücke nahe Jena einen Puppentorso aufgehängt haben, der an einer Schlinge baumelte und als „Jude“ gekennzeichnet war.
Der Torso war zudem mit einer Bombenattrappe verbunden. Zschäpe und der im NSU-Prozess mitangeklagte Ralf Wohlleben sollen dabei gewesen sein. Nun sollte Kay S., der zugab, auch zu der Autobahnbrücke mitgekommen zu sein, an diesem Montag weiter befragt werden. Bei seiner Aussage im April hatte Zschäpe unwirsch reagiert und auf Heer, Stahl und Sturm eingeredet. Offenbar deutete sich damals schon das Zerwürfnis zwischen Zschäpe und den drei Verteidigern an.
Im Juni hatte sich Zschäpe dann endgültig mit ihren Anwälten zerstritten und die „Entbindung“ von Anja Sturm beantragt.
Das lehnte Götzl ab. Er holte jedoch den jungen Münchner Anwalt Mathias Grasel als vierten Pflichtverteidiger in den Prozess. Zschäpe spricht nun fast nur noch mit ihm. Außerdem sitzt Grasel jetzt zwischen ihr und Heer, Stahl und Sturm. Die drei Anwälte haben in der Hauptverhandlung kaum noch die Möglichkeit, ihre Mandantin direkt anzusprechen. Heer, Stahl und Sturm fühlen sich offenbar nach mehr als zwei Jahren Prozess zu Statisten degradiert.
Probleme mit den Verteidigern
Die Sitzordnung kam nun am Montag auch noch zur Sprache. Götzl verlas ein Schreiben Zschäpes, in dem sie fordert, ihr neuer Verteidiger Grasel müsse auf dem Platz von Heer sitzen, gleich neben dem Richtertisch. Das habe Heer abgelehnt, behauptete Zschäpe. Nachdem Götzl den Schriftsatz verlesen hatte, sah Heer sich erst recht in seinem Willen bestätigt, die Verteidigung abzugeben: „Ich begründe meinen Antrag also ergänzend mit diesen Ausführungen“.
Heer hatte 2011 als erster die Verteidigung Zschäpes übernommen, die sich nach dem dramatischen Ende des NSU im November des Jahres der Polizei gestellt hatte. Angesichts des monströsen Ermittlungsverfahrens – es geht um zehn Morde, zwei Sprengstoffanschläge, 15 Raubüberfälle und weitere Verbrechen – nahm Heer erst Stahl und dann Sturm hinzu.
Hätte Götzl die Anwälte entlassen, wäre der ganze Prozess gefährdet gewesen. Götzl hatte zwar im Juli die Hauptverhandlung für eine Woche unterbrochen, damit Grasel sich in den gewaltigen Prozessstoff einarbeiten kann, doch den dürfte er bislang nur in Ansätzen bewältigt haben. Auf sich alleine gestellt wäre Grasel vermutlich kaum in der Lage, Zschäpe angemessen zu verteidigen. Zschäpe selbst reagierte auf den Antrag von Heer, Stahl und Sturm mit einem mokanten Grinsen. Grasel meinte nur, „dem Antrag wird seitens meiner Mandantin nicht entgegengetreten“.
Frank Jansen