Sebastian Kurz in Österreich: Generation Start-Up in der großen Politik
Sebastian Kurz wird Europas jüngster Regierungschef. Er steht für eine Zeitenwende, nicht nur in der EU. Worauf die Volksparteien sich einstellen müssen. Ein Kommentar.
Das hätt’s früher nicht gegeben. Da ist also dieser Sebastian Kurz mit seinem nie beendeten Jurastudium, der innerhalb von nur fünf Monaten seine Partei ÖVP übernimmt, umkrempelt, damit auch noch die Nationalratswahlen in Österreich gewinnt – und der soll jetzt Kanzler werden. Mit 31! Als jüngster EU-Regierungschef, den es je gab. Wie kann das sein?
Die Jungen warten nicht mehr, bis altehrwürdige Parteigremien entscheiden, dass ihre Zeit gekommen sei. Es ist eine Zeitenwende, die sich da gerade vollzieht. Das eigentlich Überraschende daran ist aber, dass sie in der Politik so spät kommt.
Kurz ist trotz seines geringen Alters ein erfahrener Staatsmann. Er hat sich als Außenminister erfolgreich gegen Angela Merkel positioniert, quasi im Alleingang die Schließung der Balkanroute für Flüchtlinge durchgesetzt.
Dass er den Coup wagte, die ÖVP im Mai vor die Wahl stellte: So wie ich will oder gar nicht. Dass er nach dem Parteivorsitz griff und Neuwahlen verlangte, war also kein jugendlicher Leichtsinn, der gut für ihn ausgegangen ist. Es war Kalkül und Sebastian Kurz ist nicht der erste. In Frankreich hat Emmanuel Macron, 39 Jahre alt, in ähnlich kurzer Zeit Ähnliches fertiggebracht. Ein halbes Jahr vor den Präsidentschaftswahlen gründete er 2016 seine Bewegung „En Marche“ – und gewann. Die beiden werden nicht die letzten aus dieser Riege sein, die die Macht suchen und zu packen wissen.
Der Erfolg der Jungen erzählt einerseits von der Krise der sogenannten Volksparteien, die heute überall in Europa froh sein können, wenn sie überhaupt noch ein Drittel ihres Landes repräsentieren. Und vom Bedürfnis der Wähler, das daraus resultiert, nämlich dem nach echter, spür- und sichtbarer Veränderung. Dieses Bedürfnis allerdings vermochten beispielsweise in den USA Donald Trump und Bernie Sanders, zusammen fast 150 Jahre alt, bei ihren Anhängern auch zu befriedigen.
Der Erfolg der Jungen zeugt daher vielmehr auch vom Selbstverständnis einer neuen Generation von Politikern. Sebastian Kurz hat einmal, da war er gerade mit 27 Außenminister geworden, auf die Frage nach seinen Vorbildern geantwortet, er habe keine. Und vielleicht ist das ja symptomatisch für eine Generation, die aufgewachsen ist in dem Wissen, dass nichts so bleiben muss wie es ist. Die aufgewachsen ist mit Mark Zuckerberg, der – nur zwei Jahre älter als Kurz – an Giganten wie Microsoft und Apple vorbei mit Facebook eine Website programmierte, die die Welt völlig neu miteinander vernetzte. In der Musiker nicht mehr hoffen, von Produzenten entdeckt zu werden, sondern ihre Songs direkt auf Youtube stellen. Und in der Unternehmer ihren Business-Plan nicht an die KfW schicken, sondern auf Kickstarter posten, um an Startkapital zu kommen.
Die Generation Start-up ist nun in der großen Politik angekommen, mit allem, was sich damit verbindet. Das bedeutet mehr Innovation, mehr Flexibilität, mehr Chancen, aber auch weniger Sicherheit, weniger Planbarkeit, weniger Kontrolle.
Mit Emmanuel Macrons Versuch, den Arbeitsmarkt zu deregulieren und eine Reform des Rentensystems durchzusetzen bekommt Frankreich gerade eine Kostprobe davon, was das bedeuten mag. Und Sebastian Kurz hat zwar mit seinem Versprechen einer harten Linie in der Flüchtlingsfrage die Wahlen gewonnen, doch wie er seine Linie durchsetzen will, ohne Österreich in Europa zu isolieren, bleibt offen. Bei beiden gilt: Dass sie es an die Macht geschafft haben, bedeutet nur, dass es anders, nicht notwendigerweise, dass es besser wird.
In Deutschland übrigens ist man von solcherlei politischen Experimenten weit entfernt. Für die ehemalige Volkspartei SPD heißt Erneuerung Martin Schulz und Andrea Nahles. Bei der CDU Angela Merkel und – nun ja. Ist eben so. Haben wir noch nie anders gemacht. Da könnte ja jeder kommen!
Wer traut sich?
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