Nach Merkels Teil-Rückzug: Gefesselt in Europa
Merkels Spielraum in der EU wird mit ihrer Rückzugs-Ankündigung kleiner. Darunter leiden könnte in erster Linie Frankreichs Staatschef Macron.
Als Angela Merkel am Montag vor den versammelten Medienvertretern in Berlin ihren Rückzug vom Parteivorsitz ankündigte, wurde sie auch nach ihren wichtigsten politischen Zielen für die kommende Zeit gefragt. Die Kanzlerin nannte zunächst außenpolitische Themen. Und dabei fiel als erstes Stichwort der Brexit, der zu einer erheblichen wirtschaftlichen Belastung werden könnte, falls es zu einem ungeregelten Austritt Großbritanniens aus der EU kommen sollte. Was Merkel allerdings verschwieg: Über den Fortgang der Brexit-Verhandlungen bestimmt im Detail nicht sie, sondern der Brüsseler Chefverhandler Michel Barnier. Zudem drückt auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron den Verhandlungen über Großbritanniens EU-Austritt zunehmend seinen Stempel auf: Beim Gipfel in Salzburg verfolgte er im vergangenen Monat gemeinsam mit EU-Ratschef Donald Tusk demonstrativ einen harten Kurs gegenüber der britischen Premierministerin Theresa May.
Die Salzburger Episode zeigt, dass Deutschlands Regierungschefin spätestens seit dem vergangenen Jahr ihre Führungsrolle in der EU abgegeben hat. Im Verlauf ihrer bislang 13-jährigen Kanzlerschaft war es zuvor ein ums andere Mal Merkel gewesen, die – um zwei Beispiele zu nennen – entweder 2007 das Tauziehen mit dem damaligen polnischen Regierungschef Jaroslaw Kaczynski um einen neuen EU-Vertrag für sich entschied oder 2010 gemeinsam mit dem damaligen französischen Staatschef Nicolas Sarkozy einen EU-Rettungsschirm für Griechenland auf die Beine stellte. Doch das ist vorbei. Die französische Zeitung „Le Monde“ analysierte angesichts von Merkels Verzicht auf den CDU-Vorsitz, wann der Machtverlust der Kanzlerin auf europäischer Ebene begann: im Herbst 2015, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise.
An die Stelle von Merkels unumschränkter Regentschaft in Europa ist seit einigen Jahren eine neue Unübersichtlichkeit getreten. Auf der einen Seite versucht Ungarns Regierungschef Viktor Orban das Lager derjenigen Staats- und Regierungschefs anzuführen, die sich in der Flüchtlingspolitik für eine komplette Abschottung aussprechen. Wie stark dieses Lager inzwischen geworden ist, wurde beim letzten EU-Gipfel Mitte des Monats deutlich: Österreichs Kanzler Sebastian Kurz, dessen Land gegenwärtig die EU-Ratspräsidentschaft innehat, schlug vor, dass sich die Europäer endgültig von einer Quotenregelung zur Verteilung von Flüchtlingen verabschieden sollten. Merkel konnte einen entsprechenden Beschluss gerade noch abbiegen.
Neben Orban will sich auch Macron als neue europäische Führungsfigur profilieren. Frankreichs Staatschef hat allerdings mindestens zwei Probleme: In seiner Heimat hat er mit miesen Umfragewerten zu kämpfen, und in Brüssel kommt sein Projekt einer Erneuerung der EU nicht voran.
Mit Merkels innerparteilichem Machtverzicht droht Macron nun auf EU-Ebene weiter in die Defensive zu geraten. Frankreichs Präsident hält es für unabdingbar, den Wählern vor der Europawahl im kommenden Mai Erfolge zu präsentieren. So dringt er auf eine Reform der Euro-Zone, die demnächst angesichts möglicher Turbulenzen rund um Italien mehr denn je gefragt sein könnte. Im Detail geht es unter anderem um die Einrichtung eines „Backstop“, also einer Letztsicherung für in Schieflage geratene Banken. Falls sich die Lage in Italien zuspitzen sollte, könnten italienische Geldhäuser mit diesem „Backstop“ stabilisiert werden. Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire erklärte in der vergangenen Woche nach einem Gespräch mit seinem deutschen Amtskollegen Olaf Scholz (SPD) in Berlin, dass sich die Gespräche über das geplante europaweite System zur Absicherung der Bankguthaben kurz vor dem Abschluss befänden.
Aber auch wenn Macron darauf dringt, dass es beim nächsten EU-Gipfel im Dezember bei der Euro-Zonen-Reform endlich konkrete Beschlüsse gibt, nachdem er in Berlin schon seit über einem Jahr hingehalten wird, so ist auch klar: Merkels Spielraum ist seit ihrer Rückzugs-Ankündigung nicht größer geworden. Im Gegenteil: Wer auch immer künftig die CDU führt, wird im Hinterkopf haben, dass es in der Partei starke Widerstände gegen Macrons Pläne gibt. Beim letzten Parteitag im Februar folgte die CDU einem Antrag der Unions-Mittelstandsvereinigung, in dem „jeder Vergemeinschaftung von Schulden und Haftungsrisiken eine klare Absage“ erteilt wurde.