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Bundespräsident Gauck besucht für vier Tage die Türkei.
© dpa

Besuch der Türkei: Gauck riskiert Ärger mit Erdogan

Bundespräsident Joachim Gauck reist für vier Tage in die Türkei und hält dort eine Rede vor Studenten. Schon zuvor hatte Gauck mehrfach Kritik an Premier Erdogan geübt, nun könnte es zur direkten Konfrontation kommen.

Bei seinem bevorstehenden Besuch in der Türkei riskiert Bundespräsident Joachim Gauck möglicherweise Ärger mit Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan. Gauck dürfte während seines viertägigen Staatsbesuchs ab Samstag die Bedeutung der Freiheitsrechte betonen und die politischen Entwicklungen in der Türkei unter Erdogan in den vergangenen Monaten offen oder indirekt kritisieren. Und Kritik wird Erdogan überhaupt nicht gerne hören.

Beim letzten Besuch eines deutschen Staatsoberhauptes in der Türkei im Oktober 2010 ging es Gaucks Vorgänger Christian Wulff vor allem um das Verhältnis zwischen Muslimen und Christen. Beim Besuch des protestantischen Pastors Gauck spielt die Religion keine herausragende Rolle. Nach Einschätzung von Beobachtern in Ankara ist zu erwarten, dass der 74-jährige auch in der Türkei das zentrale Thema seiner Präsidentschaft in den Vordergrund rücken wird: Freiheit und Verantwortung des Individuums.

Ein Herzstück des Staatsbesuchs ist eine Rede Gaucks an der Technischen Universität des Nahen Ostens (ODTÜ) in Ankara am kommenden Montag. In der Ansprache dürfte Gauck die Bedeutung von Meinungs- und Pressefreiheit hervorheben – angesichts des harten Vorgehens gegen die Gezi-Proteste im vergangenen Jahr und der von der Erdogan-Regierung erlassenen Beschränkungen für das Internet ein heikles Thema.

Zur Abwehr von Korruptionsvorwürfen gegen seine Regierung hatte Erdogan unter anderem den Zugang der Türken zum Kurznachrichtendienst Twitter sperren lassen. Twitter wurde inzwischen auf Anweisung des Verfassungsgerichts wieder freigeschaltet, der Zugang zum Videoportal Youtube ist weiter blockiert. Mit einer Justizreform wollte Erdogan zudem den Einfluss der Regierung auf die Justiz stärken; auch diese Initiative wurde teilweise von den Verfassungsrichtern gestoppt.

Erdogan wittert Intrige des Westens

Erdogan sieht die Korruptionsvorwürfe als Teil eines Komplotts von Regierungsgegnern in der Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen. Im Wahlkampf vor den Kommunalwahlen Ende März machte er in- und ausländische Feinde der Türkei für angeblich gegen sein Land gerichtete Destabilisierungsversuche verantwortlich.

Schon bei Erdogans jüngstem Besuch in Berlin im Februar war deutlich geworden, dass der Premier in Deutschland nicht mit viel Verständnis für seinen Umgang mit der Korruptionsaffäre erwarten kann. Bundeskanzlerin Angela Merkel erneuerte zudem ihre Absage an eine EU-Mitgliedschaft der Türkei. Erdogans Internet-Verbote sind auch von der Bundesregierung scharf kritisiert worden. Die türkische Opposition wirft Erdogan diktatorische Tendenzen vor.

Gauck ist der erste Staatschef des westlichen Auslands, der in dieser angespannten Situation die Türkei besucht. Beobachter rechnen damit, dass sich Erdogan im Falle von offener Kritik durch Gauck in seiner Sicht bestätigt sehen wird, dass im Ausland gegen die Türkei intrigiert wird. „Höchstwahrscheinlich wird er verärgert reagieren“, sagte der Journalist Aydin Engin über Erdogan. „Er sieht überall Feinde, auch in der EU“, sagte Engin dem Tagesspiegel.

Erdogan könnte bald Präsident werden

Murat Somer, Politologe an der Istanbuler Koc-Universität, glaubt nicht, dass Erdogan die Kritik unwidersprochen hinnehmen wird. Nach dem Motto „Angriff ist die beste Verteidigung“ werde der Ministerpräsident den deutschen Gast mit der Hinhaltetaktik der EU gegenüber der Türkei konfrontieren, sagte Somer. „Beim Thema Meinungsfreiheit dürfte er auf Beschränkungen in westlichen Ländern hinweisen, deshalb sollte Gauck klarstellen, was an den Zuständen in der Türkei – etwa beim Twitter-Verbot – anders und in fortschrittlichen Demokratien nicht akzeptabel ist.“

Beim amtierenden Staatspräsidenten Abdullah Gül, der unter anderem das Twitter-Verbot kritisierte, wird Gauck mit der Forderung nach Stärkung der Freiheitsrechte auf mehr Verständnis treffen. Doch mit Erdogan hat Gauck möglicherweise seinen nächsten Amtskollegen vor sich: Im August wird mit einer Kandidatur Erdogans für das Präsidentenamt gerechnet. Der 60-jährige lässt bereits Wahlkampfveranstaltungen auch in Deutschland vorbereiten, wo 1,5 Millionen türkische Wähler leben.

Zum Auftakt seines Besuches will Gauck im südanatolischen Kahramanmaras die Patriot-Einheit der Bundeswehr sowie ein Lager für syrische Flüchtlinge besuchen. In Istanbul nimmt er am kommenden Dienstag an der offiziellen Eröffnung der Deutsch-Türkischen Universität teil.

Thomas Seibert

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