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Joachim Gauck zieht nach fünf Jahren im Amt Bilanz. Der elfte Bundespräsident hatte vergangenen Sommer aus Altersgründen seinen Verzicht auf eine zweite Amtszeit erklärt.
© Odd Andersen/AFP

Abschiedsrede des Bundespräsidenten: Gauck: In sozialen Netzwerken wird "fast grenzenlos gelogen“

Wie soll es aussehen, unser Land? Diese Frage hatte Bundespräsident Gauck vor fünf Jahren voller Zuversicht gestellt. Zum Ende seiner Amtszeit ist seine Sicht deutlich pessimistischer.

Bundespräsident Joachim Gauck hat in einer Rede zum Ende seiner Amtszeit eine „wehrhafte und streitbare Demokratie“ gefordert. Er erinnerte am Mittwoch vor etwa 200 Gästen im Schloss Bellevue an seine Antrittsrede 2012 und sagte: „Nun, nach fast fünf Jahren, bin ich stärker beeinflusst von dem Bewusstsein, dass diesem demokratischen und stabilen Deutschland auch Gefahren drohen. Und dass große Anstrengungen notwendig sein werden, um es für die Zukunft stark zu machen.“

Gauck nannte die Krise der Europäischen Union mit dem bevorstehenden Austritt Großbritanniens, aber auch die Kriege im Nahen Osten und in der Ostukraine sowie die russische Besetzung der Krim. Damit seien die begrenzten Handlungsmöglichkeiten deutscher und europäischer Außenpolitik sichtbar geworden. Auch die Bedrohung durch den islamistischen Terror sei gewachsen. Mit dem Amtsantritt des gewählten US-Präsidenten Donald Trump entstünden neue Herausforderungen für die internationale Ordnung und die transatlantischen Beziehungen.

Mehr Sicherheit zum Schutz der Demokratie

In der Debatte über Konsequenzen aus den Terroranschlägen in Deutschland plädierte Gauck für einen starken Staat. „Der Rechtsstaat verliert, wenn er sich im Kampf gegen Gewalt und Terror als zu schwach oder gar hilflos erweist.“ Mehr Sicherheit sei keine Gefahr für die Demokratie, sondern notwendig zu ihrem Schutz.

In der internationalen Politik bekräftigte Gauck seine Forderung, Deutschland müsse mehr Verantwortung übernehmen. „Gemessen an den Herausforderungen unserer Zeit und an unseren Möglichkeiten könnten und sollten wir deutlich mehr tun.“ Deutschland und Europa müssten ihre Verteidigungsbemühungen verstärken, um nicht zum Spielball der Interessen anderer zu werden. „Das ist der Kern der wehrhaften Demokratie, das ist republikanische Verteidigungsbereitschaft“, sagte er.

„Die liberale Demokratie und das politische und normative Projekt des Westens, sie stehen unter Beschuss“, betonte Gauck. Er kritisierte, dass in Teilen der Gesellschaft ein Anspruchsdenken gewachsen sei, das den Staat allein als Dienstleister sieht. „Doch Demokratie ist kein politisches Versandhaus. Demokratie ist Mitgestaltung am eigenen Schicksal“, betonte er.

Für eine "effiziente Sicherung der europäischen Außengrenzen"

Zwar sei es gelungen, die Zahl der Flüchtlinge und illegalen Einwanderer nach Europa und nach Deutschland deutlich zu reduzieren. „Aber wir alle wissen: Ohne eine effiziente Sicherung der europäischen Außengrenzen, ohne eine geregelte europäische Einwanderungspolitik und letztlich ohne Verbesserung der Lebenssituation in Herkunftsländern werden krisenhafte Zuspitzungen auch in Zukunft zu erwarten sein.“

In der Auseinandersetzung mit populistischen Strömungen forderte Gauck eine offensive und robuste Streitkultur. „Austausch und Diskussion sind der Sauerstoff der offenen Gesellschaft, Streit ihr belebendes Element“, sagte er. „Heftig streiten, aber mit Respekt und mit dickem Fell.“ Wie im Sport müssten dabei aber Regeln anerkannt werden. „Wir leben in rauen Zeiten“, sagte Gauck: „Oft ist nicht mehr erkennbar, was wahr ist und was falsch. Vor allem in den sozialen Netzwerken wird fast grenzenlos gelogen, beschimpft, verletzt.“

Gauck hatte vergangenen Sommer aus Altersgründen seinen Verzicht auf eine zweite Amtszeit erklärt. Sein Nachfolger wird am 12. Februar von der Bundesversammlung gewählt, dort haben Union und SPD zusammen eine überwältigende Mehrheit. Daher gilt als praktisch sicher, dass der gemeinsame Kandidat der großen Koalition, bisherigen Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), zum neuen Staatsoberhaupt gewählt wird. (dpa/AFP)

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