Aleppo, Syrien, Russland: Steinmeier als Bundespräsident – eine gute Wahl?
Frank-Walter Steinmeier hat als Außenminister Assad hofiert und Putin umgarnt. Beide Politikansätze sind gescheitert. Das muss er erklären. Ein Kommentar.
Er ist der beliebteste deutsche Politiker. Er strahlt Ruhe und Besonnenheit aus, eines seiner Lieblingsworte ist „unaufgeregt“. Sein Mentor und politischer Förderer ist Gerhard Schröder. Frank-Walter Steinmeier hat dessen Büro in der niedersächsischen Staatskanzlei geleitet, folgte dem Kanzler 1998 nach Bonn, wurde Staatssekretär, Beauftragter für die Nachrichtendienste, im Juli 1999 Chef des Bundeskanzleramtes. Steinmeier gilt als Architekt der Agenda-2010-Gesetze und gehörte dem Steuerungskreis zur Umsetzung der Hartz-Reformen an. Als Nachfolger von Joachim Gauck wird er demnächst ins Schloss Bellevue einziehen.
Aber ist Steinmeier ein guter Diplomat, urteilssicher und prinzipienfest? Gerade in diesen Tagen wünscht man sich von ihm klare, vielleicht sogar selbstkritische Antworten auf zwei Fragen: War es richtig, bis kurz vor Beginn des Bürgerkrieges in Syrien das Regime in Damaskus hofiert zu haben? War es richtig, Sanktionen gegen Russland wegen der Unterstützung des Assad-Regimes strikt abgelehnt zu haben? Dazu muss Steinmeier sich verhalten. Andernfalls könnte die Politik des bald obersten Repräsentanten der Bundesrepublik eng mit den Bildern aus Aleppo verbunden werden.
Im Dezember 2006 reiste Steinmeier zum erstenmal als Außenminister nach Damaskus. Damals waren die Folterkeller des „Schurkenstaat“-Despoten ebenso bekannt wie die schweren Menschenrechtsverbrechen gegen das eigene Volk. Zwei Stunden lang besprach sich der Außenminister mit dem syrischen Regierungschef und versicherte anschließend seinem Amtskollegen, Walid al-Muallim: „Ihr Land ist ein wichtiger Faktor in der Region, und wenn Sie eine konstruktive Rolle finden, haben Sie in Deutschland einen Partner."
Als Muallim zwei Jahre später von Steinmeier nach Berlin eingeladen wurde, kam es zum Eklat. Angela Merkel hielt nichts von derlei protokollarischer Aufwertung und verweigerte dem syrischen Außenminister einen Besuch im Kanzleramt. Ihr Vorgänger Schröder hatte da weniger Berührungsängste. Im Juni 2007 freute er sich in Damaskus über die Verleihung der Ehrendoktorwürde, verbunden mit der arabischen Übersetzung seiner Memoiren.
„Wieso redet Steinmeier wie Trump, Le Pen, Netanjahu, AfD und Linke?“
Im Juli 2009 reiste Steinmeier wieder zu Assad, konferierte wieder mit dem Präsidenten länger als geplant und sah in ihm immer noch einen wichtigen Akteur, der den Schlüssel zum Frieden im Nahen Osten in seiner Hand halte. Vorsichtig optimistisch hieß es, nach Jahren des Stillstands sei plötzlich politische Dynamik in der Region zu spüren.
In welche Richtung sich diese Dynamik entwickelte, ist nach Giftgaseinsätzen und Zigtausenden Toten hinlänglich bekannt.
Maßgeblich mitverantwortlich dafür ist Wladimir Putin, der selbst ernannte Schutzpatron Syriens. Noch vor einem Jahr, im Mai 2015, antwortete Schröder auf die Frage, ob er Putin auch heute noch als seinen Freund bezeichnen würde: „Ja, sicher.“ Und wie der Herr, so’s Gescherr. Wann immer die EU überlegte, eine härtere Gangart gegenüber Moskau einzulegen, betätigte Steinmeier sich als Bremser. Statt dessen kritisierte er die Nato, der er „lautes Säbelrasseln und Kriegsgeheul“ vorwarf wegen angeblich aggressiver Manöver an der Ostgrenze. Auch „Zeit“-Herausgeber Josef Joffe war irritiert: „Wieso redet Steinmeier wie Trump, Le Pen, Netanjahu, AfD und Linke?“
Bezeichnend ist ebenfalls das Schweigen des Außenministers zu den offenbar massiven russischen Cyberkriegs-Interventionen in den US-Wahlkampf. Wer noch Zweifel an diesen Attacken hat, möge das jüngste Dossier der „New York Times“ darüber lesen. Das Thema kocht schon seit langer Zeit hoch. Die Kanzlerin, das Bundesamt für Verfassungsschutz, der Bundesnachrichtendienst und viele andere haben dazu Stellung genommen und vor ähnlichen Manövern während des Bundestagswahlkampfes gewarnt. Bloß Steinmeier hält sich auffallend zurück. Ist er womöglich über den Wahlsieg Trumps wegen dessen Nähe zu Putin gar nicht unglücklich?
Dafür melden die Nachrichtenagenturen vielfältige andere Aktivitäten des Außenministers: Steinmeier trete „weiter für Frieden in Syrien ein“, „unterstütze die europäische Verantwortung für Afrika“, warnt vor den „Folgen eines Abbruchs der EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei“, wünscht sich „dauerhaften Frieden in Kolumbien“, empfängt in Paderborn die Ehrendoktorwürde.
Zyniker sagen, als Bundespräsident kann Steinmeier weniger Schaden anrichten als in seinem jetzigen Amt. Das ist ein schwacher Trost.