Merkels Besuch bei Trump: Für eine Wiederbelebung des transatlantischen Bündnisses
Ein starkes Europa kann gemeinsam mit progressiven Kräften die wertebasierte Partnerschaft mit den USA neu begründen. Ein Gastbeitrag.
Wenn Angela Merkel am Freitag in die USA reist, ist das Herausforderung und Chance zugleich. Die enge Partnerschaft zwischen Europa und den USA hat das 20. Jahrhundert geprägt. Sie war der Grundstein für eine offene, kooperative und rechtsbasierte Weltordnung. Auf ihr fußten der Frieden und Wohlstand Europas. Seit gut einem Jahr jedoch stellt die US-Regierung unter Donald Trump all das infrage. Ohne Rücksicht auf die Beziehungen mit internationalen Partnern setzt er auf Nationalismus und Abschottung, auf das Recht des Stärkeren anstelle der Stärke des Rechts.
Deutschland und Europa trifft das in einer besonders heiklen Phase: Großbritannien steht kurz davor, die EU zu verlassen. Russland unterminiert mit den Kriegen in der Ukraine und in Syrien wie auch den Attacken auf die offenen Gesellschaften die Sicherheitsordnung Europas. China nutzt die von Trump geschaffene Lücke und erweitert seinen Einfluss als neue Weltmacht. Flucht, Klimaerhitzung und andere Krisen nehmen derweil dramatisch zu.
Eine rechtsbasierte Weltordnung braucht ein starkes Europa
Deutschland ist keine Insel. Es liegt jetzt an der Bundesregierung, eine Strategie als Antwort auf diese handfesten Krisen zu formulieren, die auf zwei zentralen Pfeilern ruhen muss: Der Stärkung Europas und der Wiederbelebung des transatlantischen Wertebündnisses.
Angetreten ist diese Bundesregierung mit einem starken Bekenntnis zu Europa. Die Umsetzung dieses Versprechens bleibt sie jedoch schuldig. Es liegt an ihr, beim EU-Gipfel im Juni echte Reformprojekte zu voranzutreiben und mehr Solidarität gegenüber unseren osteuropäischen Partnern zu zeigen, zum Beispiel indem der deutsch-russische Sonderweg der Nord Stream 2 Pipeline endlich beendet wird. Auch sicherheitspolitisch müssen wir Europäer mehr tun. Im Falle gewaltsamer Auseinandersetzungen in unserer Nachbarschaft muss die EU selbst in der Lage sein, Konflikten vorzugreifen, sie zu lösen und Frieden zu sichern. Statt des sturen Fokus‘ auf die nationalen Verteidigungsausgaben ist die zentrale Aufgabe jedoch, die notwendigen zivilen und militärischen Fähigkeiten Europas gemeinsam zu entwickeln.
Der zweite Pfeiler ist die Neuformulierung unserer Wertegemeinschaft mit den USA, um diese wieder auf stabile Füße zu stellen. Das wird mit Trump nicht möglich sein – mit anderen progressiven Akteuren jedoch durchaus. Kaum ein Land ist so föderal und vielfältig wie die USA. Die EU könnte auf Initiative der Bundesregierung einen umfangreichen transatlantischen Austausch, so wie das europäische Erasmus-Programm, mit mehreren Tausend Plätzen für Schülerinnen, Azubis, Gründern und Studierende auf den Weg bringen. Solch ein Programm würde das altehrwürdige Fulbright-Stipendium in breitere Bevölkerungsschichten tragen. Auch der Kulturaustausch kann und sollte gezielt gestärkt werden. Die sechs Goethe-Institute in den USA etwa befinden sich nur an tendenziell liberalen oder europafreundlichen Standorten. Warum eigentlich nicht weitere in Texas, Ohio oder Florida?
Trotz Trump ist eine erweiterte Form der Zusammenarbeit möglich
Dass eine erweiterte Form der Zusammenarbeit möglich ist, lässt sich anhand dreier Politikfelder illustrieren: Trotz Trumps Absage an das Pariser Klimaabkommen haben sich bereits elf Bundesstaaten und 13 US-Großstädte im Rahmen eines von Baden-Württemberg und Kalifornien initiierten Memorandums zu ihren klimapolitischen Verpflichtungen bekannt. Dies könnten wir ab 2021 mit dem neuen EU-Haushalt durch eine eigene EU-Förderrichtlinie in der Strukturpolitik noch vertiefen. So könnte die EU europäischen Regionen, die zusammen mit amerikanischen Partnerregionen bei der Klimapolitik vorangehen, Anreize zur Kooperation geben. Beim Thema Digitalisierung liegt es in unserem gemeinsamen transatlantischen Interesse, Netzfreiheit, Datensouveränität oder Leitplanken für künstliche Intelligenz zu etablieren. Die Gemeinwohlorientierung der Daten muss der Maßstab sein. Diesen Dialog mit der US- Regierung und dem Kongress zu führen ist alles andere als einfach, mit China ist er jedoch um Welten schwieriger. Schließlich ist im Bereich der Gesellschaftspolitik der Austausch zwischen den Zivilgesellschaften Europas und den USA wichtiger denn je: Ob “#metoo“, der “Women‘s March”, “Black Lives Matter” oder die Schülerproteste gegen lasche Waffengesetze – sie alle sind Inspiration und Anlass, sich einzumischen und Politik mitzugestalten. Sie alle sind Hoffnung und Ansporn, gemeinsam für Freiheit, Demokratie und Zusammenhalt einzutreten.
Es sind diese gemeinsamen Projekte und geteilten Herausforderungen, die neben den tagesaktuellen Krisen den Hintergrund für Merkels Besuch bilden sollten. Der Trumpismus hinterlässt in der US-amerikanischen Gesellschaft genauso Spuren wie die rechtspopulistischen Brandstifter in ganz Europa. Gerade deswegen ist jetzt die Zeit, statt Trennendem die Gemeinsamkeiten in den Blick zu nehmen und durch neue Partnerschaften progressive Kräfte zu bündeln und zu bestärken. Nur so können wir die wertebasierte Partnerschaft mit den USA neu begründen.
Katrin Göring-Eckardt ist Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag und Bastian Hermisson ist Leiter des Washington-Büros der Heinrich-Böll-Stiftung.
Katrin Göring-Eckardt, Bastian Hermisson