Justizministerin Katarina Barley: "Für die Wut der Hausbesetzer habe ich Verständnis"
Bundesjustizministerin Katarina Barley über den Kampf um bezahlbaren Wohnraum, asoziale Finanzinvestoren und ihr Gesetz für einen besseren Mieterschutz. Ein Interview.
Frau Barley, wohnen Sie in Berlin noch zur Miete? Oder gehören Sie zur glücklichen Gruppe der Wohnungseigentümer?
Ich hatte Glück mit einer Mietwohnung in Berlin-Mitte, die sehr schön gelegen ist.
Klingt nach einer hohen Miete.
Ich habe die Wohnung 2013 von einer FDP-Bundestagsabgeordneten übernommen. Seither musste ich tatsächlich eine deftige Mieterhöhung hinnehmen, leider.
Mit einem Ministergehalt lässt sich das womöglich verkraften.
Gefreut habe ich mich natürlich trotzdem nicht. Ich kann die Sorgen von Mietern nachvollziehen. Ich weiß, wie es ist, wenn man in einer langen Schlange von Wohnungssuchenden steht. Das habe ich in Hamburg erlebt, als ich eine Wohnung für mich und meine Familie suchte. Das hat etwas Entwürdigendes.
Warum entwürdigend?
Man muss sein halbes Leben offenlegen. Man wird gezwungen, seine persönlichen Verhältnisse dazustellen. Man muss Verdienstbescheinigungen vorlegen, Bürgschaften beibringen – oder was sonst noch alles verlangt wird.
Und haben Sie die Wohnung in Hamburg damals bekommen?
Nein, ich war Rechtsanwältin und mir wurde knallhart gesagt, der Eigentümer wolle keine Juristen als Mieter.
In Berlin werden aus Protest wieder Häuser besetzt. Haben Sie Verständnis dafür?
Für die Wut der Hausbesetzer habe ich Verständnis. Es ist asozial, wenn reine Finanzinvestoren Häuser kaufen, die alteingesessenen Mieter mit teuren Modernisierungen vertreiben und die Wohnungen dann in teure Eigentumswohnungen umwandeln. Illegale Protestaktionen kann ich als Bundesjustizministerin natürlich nicht gutheißen. Meine Aufgabe ist es, die Gesetze so zu ändern, dass sie Mieter besser schützen.
Sind die Mieten ein Thema, mit dem die Sozialdemokraten das Umfragetief verlassen können? Ihre Partei steht ein gutes halbes Jahr nach dem Start der großen Koalition nur noch bei 17 Prozent.
Ich habe mir abgewöhnt, auf Umfragen zu starren. Aber was Ihre Frage angeht: Nicht das Thema Mieten allein, sondern das Thema Wohnen ist für die SPD entscheidend. Das ist die soziale Frage des 21. Jahrhunderts. Wir sind die Partei, die neuen Wohnraum schafft und dafür sorgt, dass Artikel 14 des Grundgesetzes auf dem Wohnungsmarkt wieder gilt. Der heißt bekanntlich auch: Eigentum verpflichtet.
Was folgt daraus?
Wir werden diesen Grundsatz durchsetzen, indem wir die Machtverhältnisse auf dem Immobilienmarkt verändern. Es muss wieder klarwerden, dass eine Wohnung keine beliebig handelbare Ware ist. Eine Wohnung ist kein Stück Seife. Die Gesetzgebung muss dem Grundsatz wieder stärker Rechnung tragen, dass Wohnungen für Mieter ein Raum der Sicherheit, Lebensmittelpunkt und Heimat sind. Mit dem neuen Mieterschutzgesetz sorgen wir dafür, dass die Rechte der Mieter mehr zählen als überzogene Profitinteressen.
Wie soll das funktionieren?
Wir wollen zum Beispiel schikanöse Modernisierungen bestrafen. Vermieter, die das tun, sollen eine Geldbuße von bis zu 100.000 Euro und Schadensersatz an den Mieter zahlen.
Wie wollen Sie denn einem Vermieter nachweisen, dass es ihm nur darum geht, die alteingesessenen Mieter zu vertreiben?
Diesen Einwand höre ich immer wieder. Aber was ich auch immer wieder höre, gerade aus Berlin, sind Schilderungen, die wohl vor Gericht Bestand haben würden: Fälle von Mietern, denen der Strom oder das Wasser abgestellt wird oder denen eine Mauer vor das Fenster gesetzt wird, damit sie ausziehen. Wenn der Vermieter zu solchen Methoden greift, kann man das auch beweisen. Wir wollen mit der Verschärfung aber auch eine Botschaft senden: Der Staat duldet ein solches unsoziales Verhalten nicht.
Warum ist es nur eine Ordnungswidrigkeit und keine Straftat, wenn Mieter herausgeekelt werden?
Ich halte es schon für einen großen Schritt, dass wir das Herausmodernisieren nun als Ordnungswidrigkeit ahnden. Das Bundesverfassungsgericht stellt hohe Anforderungen daran, Straftatbestände zu begründen. Ein Gesetz, das später in Karlsruhe scheitert, hilft niemandem. Wir machen Gesetze, die wirken, und keine Schaufensterpolitik.
Wirklich nicht? Die erste Mietpreisbremse Ihres Vorgängers Heiko Maas hat doch so gut wie nichts gebracht. Deshalb müssen Sie jetzt ja auch nachbessern.
Die Kritik an dem Gesetz kommt vor allem von politisch konservativen Kreisen, die damals im Gesetzgebungsverfahren alles daran gesetzt haben, es zu zerschießen. Das soll nicht noch mal passieren. Wir haben uns im Koalitionsvertrag deshalb auf klare Regeln verständigt, um Mieter besser zu schützen. Und im Übrigen: Da, wo sich Mieterinnen und Mieter auf die Mietpreisbremse berufen, wirkt sie durchaus.
Was machen Sie jetzt besser?
Die geltende gesetzliche Regelung hat Schwächen. Man muss bisher als Mieter sagen, dass der Vermieter bei einer Neuvermietung zu viel nimmt – nämlich mehr als zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete beziehungsweise mehr als die Vormiete – und muss das konkret mit Zahlen belegen. In der Praxis ist es aber so, dass die meisten Mieter Informationen, wie die genaue Höhe der Vormiete, nicht haben. Deswegen können sie ihre zu hohe Miete auch nicht rügen. Das ändern wir jetzt.
Was heißt das konkret?
Künftig reicht es, wenn der Mieter sagt, dass der Vermieter zu viel Miete nimmt. Weitere Nachweise muss er für eine Rüge nicht vorbringen. Es liegt am Vermieter, zu begründen, warum die Miete so hoch ist.
Und das setzen Sie im Kabinett auch bald durch?
Das Paket besteht ja aus drei Teilen: einem Transparenzanspruch für die Mieter, dem Schutz vor schikanösen Modernisierungen und einer geringeren Modernisierungsumlage. Ich möchte, dass das Gesetz im Januar in Kraft tritt. Ich bestehe darauf, dass sich das Kabinett spätestens im September mit meinem Entwurf befasst. Allerdings gibt es noch Differenzen innerhalb der Regierung. Ich muss sehr aufpassen, dass das Versprechen eines besseren Mieterschutzes von allen Beteiligten auch eingehalten wird.
Wer blockiert?
Von konservativer Seite gibt es immer wieder Versuche, Regelungen so auszulegen, dass sie mehr dem Vermieter als dem Mieter nutzen. Was jetzt im Gesetzentwurf steht, ist nötig, um den Mieterschutz wirklich zu verbessern. Das muss auch die Union einsehen. Zudem ist unser Entwurf sehr ausgewogen. Er hilft Mietern, aber auch den anständigen Vermietern. Die können etwa kleine Modernisierungen künftig mit deutlich weniger Bürokratie über die Bühne bringen.
Gehen nicht alle Bemühungen um mehr Mieterschutz ins Leere, solange Mieter faktisch erpressbar sind und alles unterschreiben, weil sie dringend eine Wohnung brauchen?
Nein, denn auch nach Vertragsabschluss kann sich ein Mieter noch gegen eine ungerechtfertigt hohe Miete wehren.
Wenn es um die Zahl bezahlbarer Wohnungen geht, ist das Mietrecht nur ein Hebel. Es müssen auch mehr Wohnungen gebaut werden. Warum geht das so langsam?
Manche haben die Hoffnung, mit dem neuen Gesetz allein könne man das Problem steigender Mieten für immer lösen. Das ist aber ein Irrtum. Wir brauchen vor allem mehr Wohnraum. Das haben wir im Koalitionsvertrag auch verabredet und ein Paket von Instrumenten geschnürt. Wir werden in den sozialen Wohnungsbau investieren. Schon in der vergangenen Legislaturperiode haben wir damit angefangen, nun wollen wir die Investitionen des Bundes verstetigen. Wir werden dafür sorgen, dass die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben ihre Liegenschaften günstig an Kommunen verkaufen kann, wenn damit preiswerter Wohnraum geschaffen wird. Auch das Baukindergeld wird Familien helfen, Wohnraum zu erwerben.
Für das Bauen ist Ihr CSU-Kabinettskollege Horst Seehofer zuständig. Kümmert sich der Innenminister zu wenig darum, dass neue Wohnungen entstehen?
Sagen wir so: Die wochenlange Fokussierung der politischen Debatte auf Flüchtlingsfragen war überhaupt nicht hilfreich. Viele Bürger haben den Eindruck gewonnen, dass die Bundesregierung ihre Probleme, etwa beim Wohnen, bei der Rente oder bei der Pflege, nicht ernst nimmt und nicht bearbeitet. Tatsächlich arbeiten wird an diesen Problemen, aber der Streit um den Umgang mit Geflüchteten hat das überdeckt.
Die Probleme auf dem Wohnungsmarkt sind nicht neu. Warum hat es so lange gedauert, bis die Bundesregierung gegensteuert?
So pauschal stimmt das nicht. Schon in der letzten Regierung haben wir schärfere Regeln für den Mietmarkt beschlossen und auch den sozialen Wohnungsbau angekurbelt. Aber die Umsetzung solcher Entscheidungen im Bausektor braucht Zeit. Man kann nicht einfach einen Schalter umlegen. Übrigens: Wenn Länder und die Kommunen ihre Möglichkeiten besser nutzen würden, wären wir auch schon weiter.
Was meinen Sie?
Schauen Sie sich beispielsweise hier in Berlin die vielen eingeschossigen Supermärkte an, die oft ein großes Grundstück in toller Lage blockieren. Solche Freiflächen müssen für bezahlbare Wohnungen erschlossen werden. Der Supermarkt kann ja im Erdgeschoss bleiben.
Die SPD ist mit vier Jahren Unterbrechung seit 1998 an der Regierung. Warum hat sich die Lage auf dem Wohnungsmarkt in dieser Zeit nicht verbessert, sondern verschlechtert?
Es macht nicht nur in der Wohnungspolitik einen Unterschied, ob die SPD regiert. Schauen Sie nur, wie CDU/CSU und FDP zwischen 2009 und 2013 die Mittel für den sozialen Wohnungsbau auf null zusammengestrichen haben. Am Ende sind ja aber die Bundesländer für den sozialen Wohnungsbau verantwortlich. Die haben das ganz unterschiedlich gehandhabt. In Bayern etwa hat der damalige Finanzminister Markus Söder tausende Wohnungen aus öffentlicher Hand an private Wohnungsgesellschaften verscherbelt.
Auch SPD-Politiker haben in Zeiten knapper Kassen Wohnungen aus öffentlichem Eigentum an große private Wohnungsbaugesellschaften verkauft, die nun Rendite machen wollen. War das ein Fehler?
Ich habe noch nie viel davon gehalten, Wohnungen zu verkaufen, um öffentliche Haushalte zu sanieren. Das war ein Fehler, der sich nun auswirkt.
Ein Grund für die hohen Immobilienpreise gerade in Berlin ist auch, dass ausländische Investoren ihr Geld in Wohnungen investieren. Nun hat Neuseeland den Verkauf von Immobilien an Ausländer verboten – ist das kein Vorbild?
Neuseeland ist ein Inselstaat. Eine solche Regelung mitten in Europa ist nicht vorstellbar. In der EU gilt nämlich nicht nur die Freizügigkeit von Personen, sondern sie können auch Kapital zwischen EU- Ländern frei bewegen. Mein Vater ist Brite. Er hat fast sein ganzes Leben in Deutschland verbracht, er hätte nach dem neuseeländischen Modell dann hier keine Wohnung kaufen dürfen – das wäre doch Unsinn.
Katarina Barley ist Bundesjustizministerin. Das Gespräch führten Heike Jahberg und Hans Monath.